Interview von Jean Asselborn mit der Passauer Neuen Presse

"Dieses Jahr ist ein ganz entscheidendes für Europa"

Interview: Passauer Neue Presse (Tobias Schmidt)

Passauer Neue Presse: Herr Asselborn, der Rechtspopulist Geert Wilders ist in den Niederlanden gescheitert. Welches Signal geht vom Sieg des liberalkonservativen Mark Rutte für Europa aus?

Jean Asselborn: Das Jahr 2017 zeigt, dass es in Europa keinen Freifahrtschein für diejenigen gibt, die die Europäische Union zerstören wollen. Nach dem Brexit-Votum der Briten haben schon die Österreicher einen pro-europäischen Präsidenten gewählt. Und mit Blick auf die anstehende Präsidentschaftswahl in Frankreich ist das Ergebnis aus den Niederlanden Gold wert! Für Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, aber auch für die AfD in Deutschland hat der Sieg von Mark Rutte gezeigt: Die Menschen wollen nicht in den Schlamassel des Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert zurück!

Passauer Neue Presse: Wird die Wilders-Schlappe Le Pen in Frankreich wirklich schwächen?

Jean Asselborn: Natürlich ist ein Le-Pen-Sieg nicht völlig ausgeschlossen. Aber das Zeichen aus den Niederlanden ist gleichwohl sehr wichtig. Stellen Sie sich vor, Wilders hätte gewonnen. Dadurch hätten die EU-Gegner und Nationalisten in Frankreich massiven Auftrieb bekommen!

Sollte Marine Le Pen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl erreichen, wird es eine Dynamik wie in Holland geben: einen Zusammenschluss der Pro-Europiier und Anti-Populisten. Davon bin ich überzeugt.

Passauer Neue Presse: Im September wird auch in Deutschland gewählt. Welche Auswirkungen werden die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich haben?

Jean Asselborn: Es ist zu früh, aufzuatmen, aber wir können durchatmen! Dieses Jahr ist ein ganz entscheidendes für Europa.

Nach den Wahlen in Holland kommen die Wahlen in Frankreich, in Tschechien und dann in Deutschland. In der Bundesrepublik spielt natürlich auch eine große Rolle, dass die beiden Volksparteien, CDU/CSU und SPD, wieder auf Augenhöhe sind. Die AfD ist der klare Verlierer. Die positive Lehre aus der Niederlande-Wahl ist aber auch folgende: Wilders ist nicht nur an seinen provozierenden Auftritten und seinen Twitter-Zündeleien gescheitert. Sehr viele Niederländer — das hat die hohe Wahlbeteiligung belegt — haben seiner EU-Feindlichkeit, der Kampfansage an den Euro, der Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie die Rote Karte gezeigt. Die Menschen haben genug von diesen abgedroschenen Ritualen.

Passauer Neue Presse: Eine wichtige Rolle in den Niederlanden hat der heftige Streit mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gespielt. Muss die EU nicht schnell eine gemeinsame Haltung gegenüber Ankara finden?

Jean Asselborn: Erdogan ist neben Wilders der zweite große Verlierer der Wahl. Rutte hat mit den Einreiseverboten für türkische Regierungsmitglieder klug und schnell auf Erdogans schlimme Provokationen reagiert. Was den Holländern neben dem Nazi-Vorwurf sehr wehgetan hat, war Erdogans Behauptung, sie seien für das Massaker in Srebrenica verantwortlich. Dennoch ist Rutte cool geblieben, hat die Beleidigungen nicht mit gleicher Münze heimgezahlt. Denn es ist wichtig, die Brücken trotz allem nicht einzureißen. In den Niederlanden, in Deutschland und ganz Europa leben Millionen türkische Europäer oder europäische Türken.

Passauer Neue Presse: Von Drohgebärden gegenüber Ankara, etwa einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen oder einem Stopp der Wirtschaftshilfe, halten Sie nichts?

Jean Asselborn: Wir sollten jetzt ruhig bleiben und den Ausgang des Verfassungsreferendums in der Türkei in einem Monat abwarten. Danach werden zwei Länder in entscheidender Position sein, mitzubestimmen, wie es weitergehen soll mit Ankara: die Niederlande und Deutschland, weil beide Staaten zum Ziel von Erdogans infamen Attacken geworden sind. Erdogan selbst hat doch gemerkt, dass sich die Europäer von ihm nicht nervös machen lassen, auch nicht durch seine Drohungen, den Flüchtlingspakt aufzukündigen. Auch das ist ein Signal der Holland-Wahl.

Dernière mise à jour