Interview von Jean Asselborn mit dem Tageblatt

Jean Asselborn: "Ich kann es nicht anders formulieren: Der türkische Präsident ist dabei, alles zu zerstören, was mit der EU aufgebaut wurde."

Interview: Tageblatt (Dhiraj Sabharwal)

Tageblatt: Wie muss sich die EU gegenüber der Türkei verhalten?

Jean Asselborn: Ich bin kein Hellseher. Ich weiß nicht, wie sich die Situation in der EU weiterentwickeln wird. Wir müssen aber in der EU eine Debatte darüber führen, welche Position wir gegenüber der Türkei einnehmen. Wir müssen eine gemeinsame, solidarische Position entwickeln.

Tageblatt: Welche Folgen hat das Handeln des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für sein Land?

Jean Asselborn:  Ich kann es nicht anders formulieren: Der türkische Präsident ist dabei, alles zu zerstören, was mit der EU aufgebaut wurde. Wenn man bedenkt, dass der Wohlstand der letzten zehn Jahre in der Türkei wegen der Wirtschaftsbeziehungen zu Europa gewachsen ist, kann dies auch dem türkischen Präsidenten nicht egal sein. Wenn das ihm jedoch egal ist und nur noch ideologische Aspekte zählen, ist das sehr schlimm für die Türkei. Dies könnte das Land in seiner Entwicklung wieder sehr schnell zurückwerfen. 

Tageblatt: Haben die Niederländer richtig gehandelt?

Jean Asselborn: Ich bleibe der Überzeugung, dass Diplomatie immer noch den Vorrang hat. Man muss natürlich betonen, was richtig und was falsch ist. Man darf jedoch nicht deshalb alle diplomatischen Wege und Mittel zerstören. Wenn diese erst einmal zerschlagen sind, stehen wir vor einem Scherbenhaufen. 
Ich glaube aber, dass Holland absolut recht hat: Wenn man verhindern will, dass Geert Wilders bei den bevorstehenden Wahlen 40 Prozent der Stimmen erhält, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Die Reaktion der Niederländer war richtig. 

Tageblatt: ist Erdogan zu weit gegangen?

Jean Asselborn: Man kann sich nicht im Kontext der niederländischen Wahlen als türkische Regierung einfach über die nationalen Begebenheiten in den Niederlanden hinwegsetzen. Am Mittwoch wird in Holland gewählt, das hat einen Impakt. Wenn die Türkei dann aber mit solch einer Vehemenz vorgeht, nur ihre eigenen Interessen sieht und das Land als Faschisten bezeichnet, stelle ich fest, dass die Holländer keine andere Option als das Auftrittsverbot hatten. Dies nicht nur aus holländischen Interessen, sondern um die Interessen der Demokratie aufrechtzuerhalten. Wir müssen mit den Niederländern solidarisch sein.

Tageblatt: Sie pflegen gute Kontakte nach Deutschland. Wie sieht man die Situation dort?

Jean Asselborn: Ich habe mich mit dem designierten deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier unterhalten. Es werden noch 15 Auftritte türkischer Politiker in Deutschland beantragt werden. In Deutschland wurde bislang kein weiteres Auftrittsverbot verhängt. Aber in Deutschland wird auch die Position vertreten, dass der türkische Wahlkampf sich nicht auf einmal nach Deutschland verlagern darf. 

Tageblatt: Wieso reagiert die türkische Regierung so hysterisch?

Jean Asselborn: Die Nervosität der türkischen Regierung erkläre ich mir damit, dass die Umfragewerte nicht sehr klar sind. Ich stelle mir zudem die Frage, was passiert, wenn Präsident Erdogan mit seinem Verfassungsreferendum nicht durchkommt. Ich glaube nicht, dass sich die Situation dann verbessert. 

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