Interview von Jean Asselborn mit der Passauer Neue Presse

"Beruhigt bin ich noch nicht"

Interview: Passauer Neuer Presse (Tobias Schmidt)

Passauer Neuer Presse: Herr Asselborn, US-Vizepräsident Mike Pence hat der Nato in München die "unverbrüchliche" Treue der Amerikaner zugesichert. Wie glaubwürdig ist die Botschaft, die er ausdrücklich im Namen von Präsident Donald Trump übermittelte? 

Jean Asselborn: Pence wollte mit seiner Rede die bisherigen Aussagen Trumps zurechtstutzen. Die Nato ist nicht obsolet. Die EU ist kein wirtschaftlicher Gegner der USA. Und Pence hat die gemeinsamen Werte bekräftigt. Jetzt muss die US-Regierung beweisen, dass Abschottung, eine Aufhebung der Gewaltenteilung und das Abkanzeln von Journalisten nicht zu diesen Werten gehören! Pence hat wichtige Sätze gesagt. Beruhigt bin ich aber noch nicht. 

Passauer Neuer Presse: Spricht Pence wirklich für Trump, oder war das nur Schaufensterpolitik, ein Beschwichtigungsversuch? 

Jean Asselborn: Das müssen wir wohl noch abwarten. Zurzeit sind die Signale noch widersprüchlich. Es gibt aggressive Äußerungen Trumps in Richtung Europa, in Richtung Nato, die spalten sollen. Und dann gibt es die viel differenzierteren Äußerungen von Pence und vom Außen- und Verteidigungsminister, die mit den Füßen auf dem Boden stehen und besser Bescheid zu wissen scheinen als ihr Präsident. Den Widerspruch müssen die Amerikaner auflösen. Aber Trump wird sehr schnell einsehen, dass die Verteidigung der Sicherheit Amerikas schon in Europa beginnt. 

Passauer Neuer Presse: Die USA fordern eine Aufrüstung der Europäer. Wie sollen diese damit umgehen? 

Jean Asselborn: Die Forderung ist zwar verständlich. Aber es ist trotzdem eine irreführende Debatte, wenn nur die Zahlenarithmetik in Betracht gezogen wird. Die Debatte sollten wir uns nicht aufzwingen lassen. Wir lösen die Probleme der Welt nicht, wenn plötzlich alle Staaten der Nato mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft in die Verteidigung stecken. Im Gegenteil: Wenn wir es schaffen würden, ein Prozent für Entwicklungspolitik aufzuwenden, dann hätten wir viel weniger Kriege! Aber die meisten EU-Länder leisten weniger als die vereinbarten 0,7 Prozent. Wir dürfen uns von den USA nicht erpressen lassen oder in Panik verfallen, wenn wir das Zwei-Prozent-Verteidigungsziel nicht erreichen. Höhere Militärausgaben müssen ja auch sinnvoll sein. Wenn die Wehretats etwa zu Lasten von Sozialausgaben massiv aufgestockt würden, wäre das Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und derjenigen, die sich abgehängt fühlen.

Passauer Neuer Presse: Wird es Trump gelingen, einen Keil in die EU zu treiben? 

Jean Asselborn: Dazu hat er nicht das Werkzeug, wenn wir das nicht wollen. Die einzigen, die die EU kaputtmachen können, sind wir Europäer selbst. Und da gibt es echte Gefahren. Wenn einige Länder in der EU glauben, dass sie die Union und das Gemeinschaftliche nicht mehr ertragen können. dann müssen sie daraus die Konsequenzen ziehen. Aber die EU als Ganze ist viel zu wichtig, als dass sie wegen verbalen Angriffen aus dem Weißen Haus in die Knie gehen darf. Das dürfen wir nicht zulassen! 

Passauer Neuer Presse: Aus München ist Trump-Vize Pence gleich nach Brüssel weitergereist, um mit der EU über Handelspolitik zu sprechen. Müssen sich die Europäer auf einen neuen Handelskrieg einstellen? 

Jean Asselborn: 70 Prozent der Investitionen in den USA kommen aus der EU. Da wird bei Trump schnell der Groschen fallen, dass sich die USA durch Abschottung ins eigene Fleisch schneiden würden. 

Passauer Neuer Presse: Eine der großen Sorgen in München war, dass sich Trump dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Hals wirft. Ist diese Sorge kleiner geworden? 

Jean Asselborn: Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau wäre auch in unserem Interesse. Ich sehe aber nicht, dass Putins Hoffnung in Erfüllung geht, Trump vollführe eine radikale Kehrtwende in der bisherigen US-Politik und suche den Schulterschluss mit ihm. 
Die USA haben sich mit Blick auf die Ukraine klar zum Minsk-Prozess bekannt und üben Druck auf Moskau aus. Das gibt Hoffnung, dass wir hier mit der Trump-Administration zu einer gemeinsamen Linie kommen. 

Passauer Neuer Presse: Aus der gemeinsamen Linie in der Nahost-Politik, dem Ziel einer Zweistaatenlösung für Israel und die Palästinenser, ist Trump schon ausgeschert. Wird das die Spannungen erhöhen? 

Jean Asselborn: Das ist hoch gefährlich. Wir müssen sehr gut aufpassen, dass wir in der Nahost-Politik nicht vor eine Mauer laufen. Trump kann die Zweistaatenlösung nicht einfach beerdigen, bevor es einen besseren Ansatz gibt. Im UN-Sicherheitsrat ist die israelische Siedlungspolitik verurteilt worden, es gibt gemeinsame Elemente für eine Überwindung dieses schlimmen, jahrzehntelangen Konfliktes. Dabei wäre er rasch zu überwinden, wenn in der Staatengemeinschaft alle an einem Strang ziehen würden. 

Dernière mise à jour