Interview de Jean Asselborn avec la Hannoversche Allgemeine Zeitung

"Wenn man Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten"

Interview: Hannoversche Allgemeine Zeitung (Michael B.Berger)

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Herr Minister Asselborn. Die Holländer haben diese Woche gegen die Assoziierung EU mit der Ukraine gestimmt. Ist das nicht ein weiteres Zeichen für den Zerfall Europas?

Jean Asselborn: Nein, ich sehe vielmehr ein anderes Problem: Das Referendum ist kein geeignetes Instrument in einer parlamentarischen Demokratie, um komplexe Fragen zu beantworten. Wenn man Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten. Denn die Menschen antworten nicht auf sachliche Fragen, sondern erteilen ihren jeweiligen Regierungen Denkzettel. Aber das holländische Referendum ist auch eine Ohrfeige für die Europäische Union, die in ihren Beschlussgremien zu intransparent ist und auf diese Art und Weise Glaubwürdigkeit verliert. Dabei ist doch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union das Allerwichtigste.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Ist Europa denn nicht viel zu groß geworden?

Jean Asselborn: Nein. Sie können es nicht an der früheren Mauer des Kalten Krieges enden lassen, sondern Staaten wie Rumänien oder Bulgarien gehören einfach dazu. Auch die Ukraine. Wir haben Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur als Friedens-, sondern auch als großes Sozialprojekt aufgebaut, das den Rahmen bildet für die Lösung aller großen Probleme. Vom Kampf gegen die Kriminalität bis hin zum Klimawandel können alle großen Probleme nur europäisch gelöst werden. Man würde einen kapitalen Fehler begehen und den Kindern des 21. und 22. Jahrhunderts etwas antun, wenn wir wieder in die alten nationalen Zustände zurückfallen würden. Das wäre eine Katastrophe.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Aber was bleibt vom europäischen Geist, wenn man jetzt in der Flüchtlingskrise die Türkei das schmutzige Geschäft der Abschottung machen lässt?

Jean Asselborn: Das Abkommen mit der Türkei ist die Konsequenz des Unvermögens der Europäischen Union, zu einer Einigung über die Überwachung der äußeren Grenzen und Verteilung der Lasten zu kommen. Da hat Europa in den letzten sieben, acht Monaten versagt. Aber wenn die Anarchie weiter bestanden hätte, wären in den Mitgliedsstaaten immer mehr Parteien und Bewegungen an die Macht gekommen, die Europa mit dem falschen Geist des Nationalismus zerstören. So hat das Abkommen mit der Türkei auch eine sehr gute Seite. Es eröffnet Syrern die Chance, ohne Lebensgefahr nach Europa zu kommen. Die etwas weniger schöne Seite ist, dass wir Menschen aus Griechenland wieder zurück in die Türkei führen müssen.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Aber widerspricht das nicht dem europäischen Geist?

Jean Asselborn: Nein, es widerspricht nicht unserem Geist, wenn wir eng mit dem UN -Flüchtlingsrat zusammenarbeiten und alles dafür tun, dass die Menschen in Griechenland ein faires Verfahren bekommen und sich auch rechtlich wehren können. Wir müssen dafür sorgen, dass in der Türkei dieselben Garantien bestehen wie für Menschen, die von hier aus rückgeführt werden.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Das setzt aber auch voraus, dass in der Türkei rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen, von denen dieser Staat noch weit entfernt ist.

Jean Asselborn: Da stimme ich Ihnen zu. Aber wir müssen auch sehen, dass die Türkei bereits 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Und die Flüchtlinge leben zum Teil schon seit Jahren da. Wenn die Türkei eine Sicherheit gibt, dass die Kinder zur Schule gehen, dass es eine gesundheitliche Versorgung gibt, dass die Eltern Arbeit finden, dann ist das schon viel und verdient unsere Anerkennung. Man darf die Türkei nicht nur fokussieren auf ihren Präsidenten. Das türkische Volk verdient einen wesentlich besseren Ruf. 

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