Interview mit Jean Asselborn im Tageblatt (Dhiraj Sabharwal)

"Die Gefahr ausländischer Bodentruppen ist real"

Interview: Dhiraj Sabharwal (Tageblatt)

Tageblatt: Gestern haben die Friedensgespräche zu Syrien begonnen. Sind Sie zuversichtlich?

Jean Asselborn:  Ich finde es zunächst positiv, dass die Initiative vom UN -Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, ausgegangen ist. Er hat die Konfliktparteien ins schweizerische Genf eingeladen. Ich sage es offen: Wenn die Friedensgespräche zu keinem Erfolg führen, droht eine Eskalation des Syrien -Konflikts. Ich will nicht pessimistisch klingen, muss aber realistisch bleiben.

Tageblatt: Die Kurden sind ein zentraler Alliierter des Westens im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat" (IS). Sie werden jedoch auf Drängen der Türkei nicht in die Friedensgespräche eingebunden. Klingt nicht gerade erfolgversprechend. 

Jean Asselborn: Es ist schwierig, ohne die Kurden zu einer langfristigen Friedenslösung für Syrien zu gelangen. Gleichzeitig muss man die komplexe Situation mit Blick auf die Türkei berücksichtigen. Hinzu kommt die enorme Anspannung zwischen Moskau und Ankara, welche die Situation nicht vereinfacht. Einigkeit herrscht jedoch zwischen den USA und Russland, dass die Kurden dabei sein sollten.

Tageblatt: Sie kritisieren demnach die Türkei?

Jean Asselborn: Ich will zu diesem kruzialen Zeitpunkt der Friedensgespräche niemandem Lektionen erteilen. Alleine die Situation in Kobane zeigte, wie schwierig das Vorgehen in solch einem internationalen Konflikt sein kann. Es ist aber unbestritten, dass die Kurden alleine aufgrund ihres territorialen Einflusses mit am Verhandlungstisch sitzen müssten. Man sollte sich folgende Tatsache vor Augen führen: Die Türkei pflegt hervorragende Beziehungen zu den Kurdengebieten im Irak. Die Situation ist komplexer, als dies zunächst erscheinen mag. Es existieren gesunde Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ankara und der autonomen Region Kurdistan im Irak. Gleichzeitig stimmt es, dass die Kurden aufgrund ihrer geografischen Verteilung und Präsenz in wichtigen Grenzgebieten einen starken Einfluss haben und dort die Kontrolle ausüben. 

Tageblatt: Angesichts des jüngsten Anschlags in der Türkei ist die Situation aber mehr als nur angespannt. Wie groß ist die Gefahr einer über die Grenzen hinweg reichenden Eskalation?

Jean Asselborn: Ich muss angesichts der geopolitischen Komplexität darauf hinweisen, dass die Situation auch für die Türkei schwierig ist. Man darf gleichzeitig nicht übertreiben. Allerdings bleibe ich besorgt: die Gefahr eines Bürgerkriegs in der Türkei ist real. Es gilt, eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern.

Tageblatt:  Es gibt im Gegensatz zur kurdischen YPG-Miliz viele Konfliktparteien, die vom Westen nicht als Partner oder Feind eingestuft werden können. Die Vereinten Nationen zählen nur den IS und die Al-Nusra-Front zu den Terrororganisationen in Syrien. Allerdings verschwinden bei den Rebellengruppen - aufgrund langjähriger Brutalität und eines zunehmenden Ohnmachtsgefühls - die Grenzen zwischen Moderaten und Dschihadisten.

Jean Asselborn: Es ist in der Tat schwierig, viele der unterschiedlichen Fraktionen auseinanderzuhalten. Man muss aber auch Folgendes berücksichtigen: Die von den USA und Russland ausgehandelte Waffenruhe wurde über weite Strecken von den unterschiedlichen Konfliktparteien, die nicht zu den Terrororganisationen gezählt werden, eingehalten. Die wahre Schwierigkeit ist und bleibt die Frage über Syriens Präsident Baschar Al-Assads Zukunft. Die Rebellen wollen erst über Syriens Zukunft verhandeln, wenn Assads Abgang beschlossene Sache ist. 

Tageblatt: Eine Annäherung in diesem Dossier bleibt quasi unmöglich. Die Verkrampfung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist kaum lösbar.

Jean Asselborn: Das stimmt. Die hinter der syrischen Opposition stehenden arabischen Golfmonarchien haben im Rahmen der Arabischen Liga die auf der Seite des Assad-Regimes kämpfende Schiitenmiliz Hisbollah vor Kurzem auf die Terrorliste gesetzt. Dies erschwert ihre Einbeziehung in eine Regelung zu Syrien maßgeblich. Die wichtigsten Konfliktparteien müssen mit am Tisch sitzen. Handelt jeder wie die Golf -Staaten, werden sinnvolle Friedensgespräche extrem kompliziert.

Tageblatt: Selbst wenn die Konfliktparteien ihre Grabenkriege beenden würden, bleiben die Verhandlungspunkte in Genf umstritten. Ist die Umsetzung der UN-Resolution 2254 von Dezember 2015 überhaupt möglich?

Jean Asselborn: Die Frage ist, ob die moderate Opposition den Wandel in Syrien begleitet. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats haben sich auf die Resolution 2254 geeinigt und somit den Weg für eine langfristige und politische Lösung freigemacht. Vorgesehen sind Friedensgespräche, die Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit, die Formulierung einer neuen Verfassung und freie Parlamentswahlen 2017. Ich bleibe bei meiner ursprünglichen Aussage: Die ganzen Verhandlungen drehen sich um die Zukunft des Assad-Regimes. Hinzu kommt die Herausforderung, die Syrer außerhalb Syriens ebenfalls in den Wahlprozess einzubeziehen.

Tageblatt: Können Sie Assads Vorschlag, diesen April Parlamentswahlen abzuhalten, etwas abgewinnen?

Jean Asselborn: Das ist Unfug, ja Makulatur. Das Assad-Regime hat keinerlei Legitimität, das syrische Parlament keinen Einfluss mehr.

Tageblatt: Sie haben davon gesprochen, Syriens Flüchtlinge außerhalb des Landes zu berücksichtigen. Sind die Genfer Friedensgespräche ein ernst zu nehmender Hoffnungsschimmer für die Flüchtlinge? 

Jean Asselborn: Sie sind zumindest eine große Chance. Denn was passiert, wenn die Gespräche scheitern? Ohne eine politische Lösung des Syrien-Konflikts reißt die Flüchtlingskrise nicht ab. Das spielt auch für uns in Europa und Luxemburg eine Rolle.

Tageblatt: Befürchten Sie im Falle eines Scheiterns noch mehr "boots an the grounds" in Syrien sprich ausländische Bodentruppen?

Jean Asselborn: Ein Scheitern könnte zum Einsatz ausländischer Bodentruppen führen. Wir müssen eine weitere Eskalation der türkisch-russischen Krise über Syrien verhindern. Die Gefahr ausländischer Bodentruppen ist real. Scheitern die Gespräche, ist Syriens Zukunft ungewiss. 

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