Interview mit Jean Asselborn (ZDF, Morgenmagazin - Mitri Sirin)

Klartext auf EU-Gipfel

Mitri Sirin : Isolation statt Gemeinsamkeit in der EU. Die Visegrad-Staaten verfolgen ihre eigenen Interessen. Frankreich wendet sich ab und unterstützt keine Kontingent-Lösung. Was kann, was soll eigentlich ein EU-Gipfel unter diesen Vorzeichen noch bringen ?

Jean Asselborn: Sie haben jetzt etwas viel beieinander gesagt. Aber es stimmt. Das was der Premierminister von Frankreich gesagt hat kann irritieren, kann sogar provozierend wirken. Aber ich glaube es ist auch der Zeitpunkt gekommen, dass man einen Punkt machen muss. Es ist ganz einfach: die Relocation funktioniert nicht. Italien hat darum gebeten. Alle Lösungen liegen auf dem Tisch, aber es tut sich nichts. In Griechenland wissen wir, dass große Probleme bestehen, die man aber lösen kann. Aber man braucht natürlich noch Zeit. Das zweite ist, Frankreich - ich bin nicht der Anwalt von Herrn Valls - aber da muss ich ihn in Schutz nehmen. Frankreich hat schon im Oktober vorgeschlagen, dass wir einen europäischen Grenzschutz einsetzen für die Aussengrenzen, vor allem in Griechenland. Die Antwort bis jetzt war, nachdem die Kommission das ja auch vorgeschlagen hat, eine Souveränitätseinschränkung. Es gibt keine unbefleckte Souveränität in der Europäischen Union, wenn wir wirklich daran glauben, dass wir nur europäisch diese Migrationsfage nicht nur angehen können, sondern auch lösen können. Darum glaube ich das was Frankreich gesagt hat. Zu diesem Zeitpunkt, wo wir jetzt miteinander reden, im Sinne dieser Koalition der Willigen, Sie haben es gesagt, gibt es heute eine Koalition der Unwilligen. Aber diese Abschottungsmanöver: es gibt keine Visegrad-Lösung, es gibt keine deutsche Lösung, es gibt keine französische Lösung, es gibt nur eine europäische. Und das müssen wir endlich kapieren und das umsetzen, was wir beschlossen haben, das respektieren, was wir beschlossen haben und hier all unser Potenzial von Energie daraufsetzen.

Mitri Sirin: Ich muss da noch einmal nachhaken. Es ist jetzt keine Neuigkeit, dass die Osteuropäer Nein sagen zur Flüchtlingspolitik, zur aktuellen, zumindest wie sie sich Kanzlerin Merkel vorstellt. Aber dass Deutschlands engster Verbündeter und eines der wichtigsten Länder in Europa – Frankreich - sagt, wir sind hier nicht an Bord – wie bewerten Sie das? Also, Sie haben gerade Verständnis sogar dafür geäußert, aber das bedeutet doch auch eine Abkehr von der Politik von Frau Merkel!

Jean Asselborn: Ich habe nur Verständnis für eine europäische Lösung. Aber man muss sehen, dass man nich, und das wurde Valls ja auch gefragt, von einem permanenten Umverteilungsmechanismus reden kann, wenn der Mechanismus überhaupt nicht funktioniert, zurzeit. Wenn wir nicht imstande sind 160.000 zu verteilen, wie kann man denn jetzt schon von einem permanenten Mechanismus reden? Die beiden Sachen waren immer eine Funktion, die eine von der anderen. Ich will aber auch sagen: ich respektiere Kanzlerin Merkel sehr für das was sie gemacht hat, sehr! Aber, das Problem ist doch, wir können nicht weitermachen und weitermachen und sagen, den Menschen in Europa, wir finden eine Lösung und dann sehen wir, dass verschiedene Mitgliedstaaten, die nicht weit von Deutschland weg liegen, sich solidarisieren um die Grenzen in Mazedonien zu schließen. Das kann nicht gehen. Und darum glaube ich, dass bei diesem Gipfel, diese Woche, dass man wirklich Klartext reden muss. So wie es jetzt funktioniert, so wie das, sagen wir mal, das Bild, was wir als Europäische Union abgeben, das kann nicht so weitergehen. Darum müssen wir jetzt endlich uns zusammensetzen und sagen, die Europäische Union ist aufgebaut auf Solidarität. Brüssel ist nicht nur ein Payer und kann nicht nur ein Payer sein für die Menschen, für die Mitgliedstaaten, die kein Player mehr sein können, was die Solidarität angeht. Das ist, glaube ich der Druck, der auch klargemacht werden muss diese Woche. Und vielleicht sagt man auch den Innen- und Immigratiounsminister: sperrt Euch ein! Zwei Tage, drei Tage! Aber sucht zusammen eine Lösung mit der Kommission, ganz schnell, sonst geht Europa den Bach runter.

Mitri Sirin: Herr Asselborn, trotzdem gibt es ja diese Blockade-Haltung der Visegrad-Staaten, zu denen auch die Slowakei gehört. Und wir haben heute Morgen mit einem slowakischen EU-Abgeordneten gesprochen, mit Richard Sulik, und er spricht sich dafür aus, Griechenland aus dem Schengenraum raus zu schmeißen. Wir hören mal ganz kurz rein, was er gesagt hat.

Richard Sulik: Griechenland sollte aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden, weil die einfach nicht in Schengen hineingehören. Momentan machen sie gar nichts und hoffen, Europa wird, wie die letzen 6 oder 7 Jahre, für Griechenland sorgen. Aber, wie ich gesagt habe. Europa ist keine Solidargemeinschaft, das ist ein Irrtum. Europa ist eine Vertragsgemeinschaft.

Mitri Sirin: Und da fragen sich natürlich viele, wie geht man mit diesen Staaten um, die sich unsolidarisch zeigen? Das hat uns auch Achim Gewarth geschrieben: „Es wird Zeit, dass die EU den unsolidarischen Visegrad-Staaten die Zuschüsse komplett streicht“. Das wird natürlich so nicht gehen, aber wie kommentieren Sie das?

Jean Asselborn: Also das Erste: ich glaube dass dieser Mensch, der jetzt eben gesprochen hat, der weiß nicht was Europa ist. Er hat nicht verstanden, dass wir wirklich Solidarität in Europa brauchen und nicht Ausschlüsse. Man kann auch kein Land aus Schengen einfach hinauswerfen. Man kann doch nicht – wir haben das ja bei der Frage des Euro gesehen – man kann doch nicht einfach Griechenland in ein Land zurückschicken was ein Drittweltstaat wird. Das darf man nicht. Es gibt Ansätze in Griechenland und man muss daran glauben, dass man das mit den Griechen fertigbringt. Natürlich, und da bin ich total mit Ihnen einverstanden, es geht darum, dass wir eine europäische Struktur haben um vor allem die Aussengrenze von Griechenland zu kontrollieren und auch besser zu organisieren. Das schaffen die Griechen nicht allein. Und wir bräuchten auch dieses Frontex Plus, ein Frontex mit viel mehr Kompetenz, mit viel mehr Einmischung auch, damit wir es fertigbringen, eben europäisch Rückführungen zu machen. Denn Griechenland ist das Land was sich am meisten damit herumschlagen muss. Es geht nur wenn wir europäisch Rückführungen organisieren, dann haben wir Erfolg. Wir müssen auch versuchen alles zu tun, damit natürlich in Griechenland die Hotspots funktionieren, damit die Menschen umverteilt werden können, und die Relocation stattfinden kann. Das ist nicht unmöglich. Warum es jetzt zur Zeit nicht funktioniert, in Italien, ist für mich ein großes Rätsel. Aber immer diese Sachen: man muss Griechenland rauswerfen, man muss Mazedonien abschotten, das tut weh, das tut jedem Europäer weh.

Mitri Sirin: Ich muss Sie kurz unterbrechen, Herr Asselborn. Sie haben gerade über Frontex gesprochen. Frontex hat zuletzt auch die Türkei kritisiert für ihre Rolle in der Flüchtlingspolitik. Jetzt hat die Türkei vorgeschlagen, Schutzzonen in Syrien bauen zu wollen. Da sagen viele, das ist kein unvernünftiger Vorschlag. Wie kann Europa hier helfen?

Jean Asselborn: Also Frontex. Sie wissen am 15. Dezember hat die Kommission einen Vorschlag gemacht. Bis jetzt haben wir das nicht umgesetzt weil die Mitgliedstaaten nicht mitgezogen sind. Wir haben noch immer nicht kapiert in unserem Kopf, dass auch für die nationalen Bevölkerungen, vielleicht das - kurzfristig kann man sagen - wir es alleine schaffen, damit wir keine Migrationdurchsflüsse oder Zustrom mehrt haben. Aber generell gesehen geht es doch nur wenn wir uns investieren und Frontex so stärken, dass Frontex auch seine Arbeit machen kann. Vor allem in Griechenland, zusammen mit dem UNHCR, zusammen auch mit EASO. Das ist doch die Lösung die wir anstreben müssen. Was die Türkei angeht. Ich hoffe wirklich, wie jeder Mensch auf der Welt, dass in 8 Tagen Ruhe ist – wenigstens Waffenruhe ist – in Syrien. Hier müssen wir all unsere Diplomatie anstrengen. Und das wir auch an der türkisch-syrischen Grenze vielleicht nicht mit der NATO, aber vor allem mit der UNO, versuchen die Menschen, die sich jetzt dort befinden, dass wir sie so organisieren, dass sie trotzdem auch in dieser großen Gefahr, wo sie sind und in dieser Armut wo sie sind, dass diese Menschen eine Chance bekommen.

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