Interview mit Jean Asselborn ( Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ - Lorenz Hemiker)

Diplomatie ist wie Gummi

FAZ: Was unterscheidet die Flüchtlingskrise von anderen Krisen die Sie erlebt haben?

Jean Asselborn: Das Problem ist ja, dass wir unsere eigenen Beschlüsse, die wir gefasst haben, dass wir die A) nicht respektieren, alle 28, sondern verschiedene klagen dagegen. Und B), wir sind nicht imstande, sie umzusetzen. Und C), und das ist das allerwichtigste, wenn wir Schengen nehmen, wissen wir, dass Schengen nur funktioniert wenn die Aussengrenzen auch anständig, ich sage jetzt nicht nur kontrolliert werden, sondern gemanagt werden.

FAZ: Wie können die Aussengrenzen der EU wieder zu tatsächlichen Grenzen werden?

Jean Asselborn : Also Schengen funktioniert nicht ohne die Kontrolle – die wirkliche Gestion – der Aussengrenzen. Um das zu bewerkstelligen, vor allem in Italien und in Griechenland, brauchen wir europäische Strukturen. Die Franzosen haben das schon im Oktober vorgeschlagen, dass wir eine Costguard und eine Borderguard aufbauen. Die Kommission hat es vorgeschlagen. Aber wir bringen es einfach nicht fertig den Sprung zu machen, auch dies jetzt auf die Füße zu bringen.

FAZ : Was können NATO-Schiffe in der Ägäis gegen die Flüchtlingskrise ausrichten ?

Jean Asselborn : Also es fällt schwer, wenn Griechenland und die Türkei sich einigen dass die NATO hilft, um da dagegen zu sein. Das findet in der Ägäis statt. Es gibt kein internationales Gewässer. Es ist nur entweder griechisches oder türkisches Gewässer. Das heißt, ich kann nichts dagegen haben, kein Mensch glaube ich, wenn durch die NATO- Schiffe, die Präsenz, mehr Menschen gerettet werden. Was ist geschehen in den letzten Wochen ? Die Türken haben Kontrollen gemacht und versuchen das Geschäft der Schleuser einzudämmen. Das heißt, die Schiffe fahren in der Nacht, die Menschen in den Schiffen haben nicht alle Rettungswesten zur Verfügung und darum sind in den letzten Wochen wieder so viele Tote zu verzeichnen gewesen. Wenn also das mit NATO-Hilfe geschieht, dass man hier mehr Leben retten kann, ist das eine gute Sache. Da wo ich Probleme habe - und ich glaube, da bin ich nicht allein - das ist, dass die NATO eingesetzt wird um Menschen zurück zu führen. Das ist eine zivile Aufgabe. Und das sollte von Frontex gemacht werden, nicht von der NATO.

FAZ : Die Türkei ist NATO-Mitglied und grenzt an Syrien. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für das Bündnis ?

Jean Asselborn : Die Türkei ist ein sehr aktives NATO-Mitglied, um es mal positiv auszudrücken. Dass wir uns nicht an die türkisch-syrische Grenze ziehen lassen und irgendwie in einer Form als NATO eingebunden werden in militärische Aktionen – das wäre ein sehr gefährliches Spiel. Und ich glaube, dass da es genügend Warnungen auch in der NATO geben muss, damit das nicht geschieht.

FAZ : Was wäre das Schlimmste das einem syrischen Flüchtling passieren kann ?

Jean Asselborn : Der worst case wäre ja, wenn Menschen die diese undiskriminierenden Bombardierungen zu ertragen haben, aus Aleppo fortkämen, ihr Leben dort retten würden, den ganzen beschwerlichen Gang durch Syrien, durch die Türkei nach Europa schaffen würden und würden dann, irgendwo in Europa in den Lauf eines Gewehres schauen. Das wäre etwas, wo nicht nur das Bild sondern auch die ganze Ehre Europas gebrochen würde.

FAZ : Wie kann der Westen die lage in Syrien stabilisieren ?

Jean Asselborn : Diplomatie ist ein Gummi, das man sehr weit ziehen kann. Aber wenn man zuviel zieht, dann bricht es. Dann ist es kaputt. Und darum glaube ich, wenn man hier jetzt die Diplomatie so, sagen wir mal, verwandelt, dass sie nicht mehr zu erkennen ist, was eigentlich das Ziel ist, dann glaube ich nutzt sie nichts mehr. Und darum, ich bin auch immer dafür, und auch gerade hier in München, dass die verschiedenen Länder, die zusammensitzen, dass sie auch fertigbringen mit Russland und Amerika – das sind immer noch die zwei Hauptpfeiler – mit dem Iran, mit Saudi-Arabien, einzusehen, was da geschieht. Dieses Drama, was sich da zuträgt. Und dass man eigentlich nur Waffenstillstand dekretieren müsste. Man kann natürlich nicht wissen wie die Barbaren von IS reagieren werden. Aber dass man das fertigbringt und dann versucht diesen Plan der UNO, diesen Plan von Staffan de Mistura durchzuziehen.

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