Interview von Jean Asselborn im ZDF Morgenmagazin

"Waffenstillstand in Syrien und drei Milliarden Euro für Flüchtlinge in der Türkei"

Interview: ZDF Morgenmagazin (Mitri Sirin)

ZDF Morgenmagazin: Herr Asselborn, heute stehen diese Regierungskonsultationen an und es ist wirklich schwierig. Presse- und Meinungsfreiheit, der Kampf gegen die Kurden, das Verhältnis ist angespannt. Wie soll man in dieser Situation jetzt verhandeln? Pragmatisch oder werteorientiert?

Jean Asselborn: Pragmatisch und natürlich auch werteorientiert. Also, es ist ganz klar, es sind 850.000 Menschen über die türkisch-griechische Grenze zu uns gekommen. Wenn wir einwirken wollen um das Volumen zu reduzieren haben wir auf zwei Ebenen zu arbeiten. Das erste ist natürlich die Quelle - dass wir es fertigbringen in Syrien einen Waffenstillstand hinzubekommen, Frieden hinzubekommen. Der fällt nicht vom Himmel aber man muss, als Europäische Union, diesem Prozess eine Chance geben, - vielleicht startet er ja am 25. Januar in Genf. Das zweite ist die Türkei. Nicht nur die geografische Lage. Die Türkei hat - und ich glaube da sollen wir in aller Bescheidenheit das auch unterstreichen - mehr als zwei Millionen Syrer aufgenommen. Das Problem ist, dass wir ja einen Gipfel hatten, im Dezember, das ist noch nicht lange her, wo wir entschlossen haben, einerseits den Türken zu helfen, mit 3 Milliarden, und andererseits, dass die Türken den Menschen, den Syrern in der Türkei eine Perspektive geben. Diese 3 Milliarden sind nicht für Herrn Erdogan oder für Herrn Davutoglu. Es wird ein Fonds geschaffen und dieses Geld ist da, um den syrischen Menschen in der Türkei eine Perspektive zu geben, dass sie arbeiten können, dass ihre Kinder in die Schule kommen, dass sie gesundheitlich gecheckt werden können. Das ist das was wir als Europäische Union jetzt schnell umsetzen müssen. Und ich glaube, dass heute in Berlin, das eines der Hauptthemen ist.

ZDF Morgenmagazin: Und schon jetzt hört man, dass das Geld, zumindest aus der türkischen Perspektive, nicht reicht. Aber da schauen wir mal, wie sich das weiter entwickelt. Die Gemengelage ist jedenfalls sehr schwierig. Zuletzt hat jetzt Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge beschlossen. Vereinfacht das die Situation oder erschwert sie das?

Jean Asselborn: Also wenn ich den österreichischen Kanzler richtig verstanden habe, ist es eine Richtobergrenze. Das ist auch sehr gescheit, das zu sagen, denn eine absolute Obergrenze könnte ein Bumerang sein, den man nicht meistert. Darum glaube ich, dass - und ich kritisiere Österreich absolut nicht, Österreich hat große Last auf sich genommen, und ich bin auch überzeugt, dass Österreich weiterhin hilft europäische Lösungen anzustreben und die europäischen Lösungen liegen alle auf dem Tisch, man muss die nur umsetzen - ich bin auch überzeugt, dass Österreich weiß, dass man nicht nationale Lösungen findet, auch keine bayerischen Lösungen findet, sondern, dass wir europäische Lösungen finden müssen, und daran müssen wir noch härter arbeiten. Wir dürfen uns jetzt nicht zu viel damit beschäftigen mit einem Brexit, was ziemlich irreal ist und auch mit Demokratieverständnis zum Beispiel in Polen. Wir sollen unsere ganze Energie konzentrieren auf die Frage wie wir die Herausforderungen der Migration meistern. Wenn wir sie nicht meistern, Sie wissen das, dann ist es schlecht bestellt um Europa.

ZDF Morgenmagazin: Aber genau daran hapert es ja. Sie sagen, man muss es einfach umsetzen. Aber genau an der Umsetzung, da will es nicht weitervorangehen und deswegen wird der Druck auch immer grösser. Was würde eigentlich passieren - das fordern auch viele hier, Sie kennen die innenpolitische Situation in Deutschland - was würde eigentlich passieren, wenn Deutschland Obergrenzen einführen würde?

Jean Asselborn: Das ist ja eine Debatte bei Euch, die ganz interessant ist. Ich kann nur antworten als ein bescheidener Luxemburger und als ein engagierter Europäer. In der Tat gibt es diese Obergrenze nicht. Wir haben die Konvention von Genf zu respektieren. Wir müssen alles tun - und das ist klar, dass wir nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen können - wir müssen alles tun, dass dieses Volumen reduziert wird, an der Quelle, wie ich gesagt habe und natürlich auch in der Verhandlung mit der Türkei. Aber das genügt ja nicht. Wir haben auch das Problem Libyen. Was sehr sehr schnell im Frühjahr wieder aufflammen kann. Darum muss man auch als Europäische Union sich stark engagieren, dass dieser Prozess der UNO weitergeführt wird und zu einem Resultat kommt. Wenn - ich sage das noch einmal - wenn alles was auf dem Tisch liegt, da bräuchten wir vielleicht eine halbe Stunde um das zu erklären, wenn das umgesetzt wäre, von Relocation bis besserer Schutz oder Kontrolle der Außengrenzen, bis auch Ausnahmen, die Schengen betreffen, dass Schengen nicht kaputt geht, all das muss umgesetzt werden. Aber die Lösungen wurden die letzten 6 Monaten praktisch alle ausgearbeitet. 

ZDF Morgenmagazin: Ja, man kann es mit dem einfachen Satz beschreiben: es bleibt schwierig. Vielen Dank für die Einschätzung.

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