Interview de Romain Schneider avec le Tageblatt

"Die Betonung liegt auf Nachhaltigkeit (...)"

Interview: Tageblatt

Tageblatt: Herr Minister, den Millenniumszielen aus dem Jahre 2000 sollen nun 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung folgen. Warum hat man Erstere nicht einfach verlängert? Oder wurden die Zielsetzungen erreicht?

Romain Schneider: Vier der jetzt auslaufenden acht Millenniumsziele wurden erreicht, die anderen werden es bald sein. Bei dei Bekämpfung der Armut ist man vorangekommen, auch bei der Gleichstellung der Geschlechter; es ist gelungen, die Zahl der Toten durch ansteckende Krankheiten zu reduzieren, und immerhin haben 1,6 Milliarden Menschen mehr Zugang zu Trinkwasser als im Jahre 1990. Jetzt wurde Bilanz gezogen und geprüft, was gut und was weniger gut gelaufen ist und wie die Entwicklung weiter vorangebracht werden kann. Diese Schlussfolgerungen sind nun in die neuen 17 Ziele, die wir uns bis 2030 in der so genannten Post-2015-Agenda setzen, eingeflossen.

Tageblatt: Wo liegen denn die Unterschiede?

Romain Schneider: Der wohl wichtigste Unterschied ist, dass die Millenniumsziele von den Vereinten Nationen lediglich definiert wurden und über die jetzt vorliegenden 17 Objektive für nachhaltige Entwicklung zwischen und mit allen Ländern über zwei Jahre intensiv verhandelt wurde. Dem Gipfel in New York liegt nun ein Dokument vor, dem alle 193 Mitgliedstaaten im Vorfeld bereits grünes Licht gegeben haben. Ein einmaliger Vorgang. Umso mehr, als die Ziele universell sein sollen, also für alle Länder, ob Nordoder Südländer, gleichermaßen verbindlich. Alle Länder sollen aktiv werden, auch Entwicklungsländer.

Tageblatt: Worauf wurden bei den neuen Zielsetzungen die Hauptakzente gesetzt?

Romain Schneider: Der Leitfaden bei den Objektiven wird durch die so genannten 5 "P" gegeben, "population", "planète", "prospérité, "paix", "partenariat" (Bevölkerung, Planet, Wohlstand, Frieden, Partnerschaft). Die großen Herausforderungen bleiben wohl die gleichen. Es geht um die Bekämpfung der Armut, des Hungers, der Ungleichheiten, um die Genderproblematik oder die good governance, die gute Staatsführung usw... Die 17 Ziele sind jedoch umfassender als die Millenniumsziele, weil ihnen 169 punktuelle Ziele anhängen. Den Zielen liegt an erster Stelle die nachhaltige Entwicklung zugrunde mit den Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Die Betonung liegt auf Nachhaltigkeit und das ist neu. Und es erklärt, warum auch Umweltministerin Carole Dieschbourg, neben dem Permlerminister und mir, in New York dabei ist. Wir können nicht über nachhaltige Entwicklungsziele reden, wenn wir nicht auch gleichzeitig die nachhaltigen Klimaziele mit einbinden. Ansonsten reden wir aneinander vorbei. Der Gipfel in New York reiht sich ein zwischen dem Gipfel von Addis Abeba, wo ein Abkommen über die Finanzierung der Entwicklungshilfe zustande kam, und dem kommenden Klimagipfel COP2I im Dezember in Paris. Es ist das erste Mal, dass auf eine Kohärenz der Politiken geachtet wird. Zusätzlich haben wir uns Überprüfungsmöglichkeiten gebeben, was bei den Millenniumszielen nicht der Fall war.

Tageblatt: Wie soll das funktionieren?

Romain Schneider: Hierfür wird die statistische Kommission der Vereinten Nationen zuständig sein. Sie soll bis spätestens März nächsten Jahres so genannte Indikatoren ausarbeiten. Mit deren Hilfe soll festgehalten werden, ob mit den gesteckten 169 Zielen auch reale Fortschritte erzielt wurden. Wenn nicht, besteht die Möglichkeit für eventuelle Anpassungen. Auf jeden Fall soll nicht mehr 15 Jahre lang gewartet werden, ehe Bilanz gezogen wird. Auch das ist neu.

Tageblatt: Die Kosten für die Umsetzung werden auf mindestens 3.500 Milliarden Dollar für den gesamten Zeitraum geschätzt. Woher sollen die kommen?

Romain Schneider: In Addis Abeba wurde festgestellt, dass die Mittel nicht mehr alleine aus der Entwicklungshilfe kommen können. Ohnehin wurde das UNO-Ziel von 1970, dass 0,7% des Bruttoinlandprodukts der reichen Länder in die Entwicklungshilfe fließen sollen, bislang nur von Dänemark, Norwegen, Schweden, Großbritannien und Saudi-Arabien sowie Luxemburg erreicht. Bei uns sind es 1,05%. Auch wenn mehr Länder Anstrengungen in diese Richtung machen werden und sich einige Länder in Äthiopien dazu bereit erklärt haben, zwischen 0,15--0,20% ihres BIP an die am wenigsten entwickelten Länder weiterzuleiten, wird es nicht einfach. Daher sollen auch Mittel aus den Entwicklungsländern selbst einfließen. Diese können z.B. nationale Entwicklungspläne erstellen, die zumindest zu einem Teil vom nationalen Haushalt getragen werden. Einige Länder, wie Laos z.B., eines der Zielländer der Luxemburger Entwicklungshilfe, tun dies bereits seit langem.

Tageblatt: In Addis Abeba wurde auch über eine Beteiligung des Privatsektors gesprochen. Welche Bedeutung kommt diesem zu?

Romain Schneider: Dem Privatsektor soll eine neue Rolle zuteil werden. Und der Zivilgesellschaft. Beide sollen verstärkt und koordiniert in die Hilfe eingebunden werden. Innovation und Forschung sollen mehr Spielraum bekommen. Die öffentlich eingesetzten Gelder sollen dabei der Vektor für die privaten Anstrengungen sein. Es gibt Bereiche, wie Trinkwasser oder Biomasse, in denen der Privatsektor bereits aktiv ist und gemeinsam mit der öffentlichen Hilfe Lösungen entwickelt. Aus Luxemburger Sicht kann ich auf Kap Verde verweisen. Oder auf Laos, Vietnam und Nicaragua. Wenn wir dort z.B. die Tourismusbranche unterstützen, muss der Privatsektor mitspielen, weil es sonst nicht geht. Der Privatsektor hat Potenzial. Das Gleiche gilt für die Zivilgesellschaft.

Tageblatt: Eines der von Ihnen angeführten fünf "P" steht für Frieden. Was kann Entwicklungshilfe hierzu beitragen?

Romain Schneider: Das ist nicht einfach. Man sieht jedoch, dass es oft dann zu Konflikten kommt, wenn etwa die Verfassung in einem Land angetastet werden soll. Die jungen Menschen von heute wehren sich gegen solche Versuche, was dann zu Auseinandersetzungen führen kann. Die Zuteilung von Entwicklungshilfe wird daher immer mehr an den Begriff der guten Staatsführung geknüpft. Diese ist oft entscheidend bei der Lösung von internen Problemen eines Landes. Zum Frieden kann Entwicklungshilfe auch dadurch beitragen, dass sie den Menschen hilft, Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Fehlen solche Elemente, dann fehlen Perspektiven, was wiederum zu Konflikten führen kann.

Tageblatt: Viele Menschen aus Entwicklungsländern machen sich auf den Weg in die Industriestaaten. Hat die Entwicklungshilfe angesichts dieser Flüchtlingsweile nicht versagt?

Romain Schneider: Da sind wir wieder bei den Perspektiven. Ich glaube nicht, dass man die Entwicklungshilfe wegen der Flüchtlinge in Frage stellen sollte. Sie hilft den Ärmsten der Armen. Im Gegenteil sollte man mehr helfen. In den Bereichen Gesundheit und Bildung z.B. Der Zugang zu Information und Ausbildung ist ebenso wichtig wie eine gute Staatsführung, nicht nur, aber auch um die wirtschaftliche Entwicklung in den verschiedenen Ländern voranzubringen, die dort dringend benötigt wird. Die Entwicklungshilfe hat nicht versagt. Sie ist Teil der Entwicklung vieler Länder hin zu neuen Möglichkeiten.

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