Interview de Jean Asselborn avec le GENERAL ANZEIGER

"Das Versprechen sozialer Gerechtigkeit ist ein zentrales Leitmotiv der EU"

Interview: GENERAL ANZEIGER (Norbert Wallet)

GENERAL ANZEIGER: Steht die EU nach den Griechenland-Verhandlungen vor einem Scherbenhaufen? Es hatte sich wenigstens vorübergehend ein Riss in der Achse Berlin-Paris ergeben.

Jean Asselborn: Scherbenhaufen? Das nicht, es ist nichts zerbrochen. Aber es wäre auch falsch zu behaupten, dass alles bestens stünde. Am Ende haben Frankreich und Deutschland dann doch in der Zielsetzung zusammengefunden. Dennoch täte es beiden Seiten jetzt gut, genau zu analysieren, warum Verhaltensweisen und Verhandlungsweisen in Paris und Berlin offenbar sehr unterschiedlich sein können.

GENERAL ANZEIGER: Nur zu ...

Jean Asselborn: Man darf nie vergessen, dass sich in Frankreich die "Front National" nahe an der 30-Prozent-Marke bewegt - eine Partei, die nicht nur den Euro zerstören will, sondern auch Europa. Das sind Demagogen und Nationalisten. Der französische Präsident François Hollande wusste genau, dass ein Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro den Populisten als bester Beweis gedient hätte, wie ein herzloses, allmächtiges Brüssel ein souveränes Land einfach fallen lassen kann. Das muss man bedenken. Zweitens: Es gibt unterschiedliche Philosophien. Frankreich glaubt fest, dass Reformen nur möglich sind, wenn Wachstum vorhanden ist. Deutschland ist überzeugt, dass erst Reformen die Voraussetzungen für Wachstum schaffen. Und drittens stoßen Mentalitäten aufeinander: Die Deutschen sind rational und gründlich, die Franzosen sind flexibler und gelassener. Und hinter beiden Denkmustern versammeln sich jeweils eine Reihe ähnlich denkender Völker. Im Ergebnis heißt das: Man muss sich eben extrem gut abstimmen.

GENERAL ANZEIGER: Diese Abstimmung hat gefehlt?

Jean Asselborn: Ich mische mich nicht in die deutsche innenpolitische Debatte. Aber das Schäuble -Papier mit der etwas seltsamen Idee eines befristeten Grexits hat objektiv für Irritationen gesorgt. Es entstand zunächst der Eindruck, dass es das Ziel der Bundesregierung sein könnte, den Grexit direkt anzusteuern. Erst als sich dann herausstellte, dass dies so nicht gemeint war, konnte eine gemeinsame Verhandlungsführung von Merket und Hollande für wichtige Impulse sorgen.

GENERAL ANZEIGER: Was ist aus diesen Irritationen zu lernen?

Jean Asselborn: Es ist doch glasklar, dass es ohne Deutschland keinen Euro und keine EU geben würde. Gerade weil diese Rolle Deutschlands so unbestritten klar ist, wäre es ganz gut, wenn Berlin sie nicht so deutlich in den Vordergrund stellte. Das starke Deutschland hat das gar nicht nötig. Das erzeugt unnötiges Unbehagen.

GENERAL ANZEIGER: Müssen Deutschland und Frankreich nicht gerade jetzt ein neues Zeichen setzen, dass der EU-Motor noch immer funktioniert?

Jean Asselborn: Sicher. Die allererste konkrete Initiative liegt ja eigentlich schon auf dem Tisch, auch wenn man das in Deutschland nicht so deutlich sieht: Es ist der Juncker-Plan zur Stimulierung von bis zu 315 Milliarden Euro privater Investitionen durch die Übernahme von öffentlichen Bürgschaften in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro-Geld das bereits in bestehenden EU-Töpfen vorhanden ist. Auch die Schaffung eines gemeinsamen digitalen Marktes ist eine große Wachstumschance. Dieses Projekt könnten Paris und Berlin anführen. Warum ist das so wichtig? Ohne Zweifel ist Europa ein Friedensprojekt. Das war den Menschen in 20. Jahrhundert ganz klar. Aber es muss im 21. Jahrhundert zu einem sozialen Friedensprojekt entwickelt werden. Das Versprechen sozialer Gerechtigkeit ist ein zentrales Leitmotiv der EU.

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