Jean Asselborn zur Palästina-Frage

"So kann es nicht weitergehen"

Interview: Dhirai Sabharwal

Tageblatt: Wie haben Sie das Scheitern der Palästina -Resolution im UN-Sicherheitsrat erlebt?

Jean Asselborn: Der von Jordanien für die Palästinenser eingebrachte Resolutionsentwurf wurde in den letzten Monaten und Wochen heiß diskutiert und der Text teilweise verändert. Auch ein französischer Vorschlag lag vor. Es war ein intensives Hin und Her. Der jetzt abgelehnte Entwurf hatte ganz klare Parameter: Jerusalem als Hauptstadt für beide Staaten und die Grenzen von 1967. Außerdem war eine präzise Zeitschiene vorgegeben. Nach dem Scheitern der Resolution muss ich sagen, so kann es nicht weitergehen.

Tageblatt: Die Resolution war durch das amerikanische Veto zum Scheitern verdammt. Wann war Ihnen klar, dass die USA die Resolution ablehnen würden?

Jean Asselborn: Nachdem bekannt wurde, dass in Israel Neuwahlen stattfinden würden. Damit war das amerikanische Veto im Sicherheitsrat besiegelt. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass sich vieles seit letztem Samstag beschleunigt hat. Es war vorher nicht einmal sicher, ob über die Resolution wirklich noch vor dem 31. Dezember 2014 abgestimmt werden würde. Palästinenser -Präsident Mahmud Abbas hat sich aber dafür eingesetzt. Er wollte noch eine Abstimmung in der damaligen Zusammensetzung des Sicherheitsrats.

Tageblatt: Luxemburg hat für die Resolution gestimmt. Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel an diesem Vorgehen?

Jean Asselborn: Ich hätte als luxemburgischer Außenminister mein Mandat nicht zu Ende bringen können, hätten wir gegen die Resolution gestimmt. Auch eine Enthaltung war keine Option. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Entscheidung die Linie unserer parlamentarischen Debatte über die Motion zur Anerkennung Palästinas respektiert.

Tageblatt: Wenn es bis vor einer Woche noch nicht einmal sicher war, ob es 2014 noch zu einer Abstimmung über die Resolution kommen würde, blieb Ihnen folglich nur wenig Zeit, um sich mit der Regierung über das Vorgehen abzustimmen.

Jean Asselborn: Ich habe mich letzten Samstag mit Premierminister Xavier Bettel abgestimmt. Wir hatten nicht die Möglichkeit, lange Debatten innerhalb der Regierung zu führen. Ich musste ja bereits am Montag in New York bei den Vereinten Nationen anwesend sein. Aber die Entscheidung erfolgte in enger Absprache mit Premier Bettel.

Tageblatt: Bei solch einer wichtigen Abstimmung verbringt man wohl sehr viel Zeit am Telefon. Hat US-Außenminister John Kerry Ihre Entscheidung - ohne proisraelische Charmeoffensive - hingenommen, als er davon erfahren hat?

Jean Asselborn: Ich muss sagen, dass mein Telefongespräch mit Außenminister John Kerry sehr fair verlaufen ist. Er hat meine Meinung respektiert. Das Gleiche gilt für den britischen Außenminister Philip Hammond. Ich habe meine Position auch gegenüber meinem Freund und deutschen Amtskollegen Frank -Walter Steinmeier verteidigt.

Tageblatt: Frankreich, eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, hat auch für die Resolution gestimmt. Wann wussten Sie darüber Bescheid?

Frankreichs Präsident François Hollande hat mir seine Entscheidung letzten Samstag telefonisch mitgeteilt.

Tageblatt: Können die USA und Frankreich überhaupt noch gemeinsam die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern neu beleben?

Jean Asselborn: Beide Staaten müssen einen Weg finden, um gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft die Friedensgespräche wiederzubeleben. Es stimmt mich vor diesem Hintergrund positiv, dass sich die USA gegen den Status quo in diesem Konflikt ausgesprochen haben. Sie haben vor allem auf den unglücklichen Zeitpunkt dieser Abstimmung verwiesen, da Neuwahlen in Israel anstehen. John Kerry und Präsident Barack Obama haben sich wirklich bislang sehr 'viel Mühe gegeben und guten Willen gezeigt.

Tageblatt: Aus Sicht der USA ist der Zeitpunkt doch nie günstig. Man findet immer wieder Entschuldigungen oder Ausreden, um den wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten - Israel - nicht vor den Kopf zu stoßen.

Jean Asselborn: Das ist historisch bedingt. Ich war ja in letzter Zeit auch oft in New York. Wenn man an einem jüdischen Feiertag in Manhattan ist, sieht die Stadt ganz anders aus. Was ich jetzt sage, ist in keiner Weise negativ gemeint, sondern nur eine Beobachtung: Die Präsenz und der Einfluss der jüdischen Gemeinschaft ist in den USA groß. Sie spielt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle. Allerdings wird in diesem Zusammenhang ein Fehler gemacht: Man darf das Schicksal der jüdischen Gemeinschaft nicht mit der Vorgehensweise dieser israelischen Regierung - die große politische Fehler macht - gleichsetzen. Dazu muss man als Demokrat fähig sein. Viele der jüdischen Wahlberechtigten in den USA sind Demokraten. Gleichzeitig betone ich aber, dass wir als Europäer wirtschaftliche Verflechtungen mit Israel haben. Das kann man nicht ignorieren. Das wäre ein Fehler, den man nicht begehen sollte. Man sollte aber auch daran erinnern, dass es nicht wirklich einen Fortschritt geben kann, wenn die Hamas Israel das Existenzrecht verweigert. Gleichzeitig darf 2015 nicht wieder ein verlorenes Jahr für den Frieden im Nahen Osten werden.

Tageblatt: Abbas will den politischen Druck auf Israel über einen anderen Weg erhöhen: Die Palästinensische Autonomiebehörde hat offiziell den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beantragt. Die USA kritisieren das Vorgehen. Was halten Sie von dem Antrag?

Jean Asselborn: Also man kann das palästinensische Volk nicht dafür verurteilen, dass es diesen Antrag gestellt hat. Vereinfacht formuliert, spricht in dieser hoch technischen Frage also eigentlich nichts gegen den Beitritt: Palästina hat den Beobachterstatus als Nicht -Mitglied bei den Vereinten Nationen ("Etat observateur non membre de l'ONU"). Sollte es also so weit sein, können die Palästinenser gegen die Verfehlungen der Israelis auf palästinensischem Boden vorgehen. Allerdings muss man sich dann Folgendes vor Augen führen: Dann wird auch untersucht, welche palästinensischen Personen oder Organisationen Unrecht begangen haben.

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