Jean Asselborns Fazit nach zwei Jahren um UN-Sicherheitsrat

"Nicht instrumentalisieren lassen"

Interview: Dhiraj Sabharwal

Tageblatt: Wie groß war die Belastung im UN-Sicherheitsrat für den Menschen Jean Asselborn?

Jean Asselborn: Der Politiker muss die eigenen Interessen in den Hintergrund stellen. Es zählt nur, wem man zu dienen hat. Das habe ich so als Bürgermeister von Steinfort gelernt. Das Gleiche gilt für meine Zeit als Parteipräsident und als Fraktionspräsident in der Chamber. Ich bin da, um der Öffentlichkeit zu dienen. Wenn man sich also für etwas wie den Sicherheitsrat einsetzt, muss man sich bewusst sein, dass man eine enorme Ausdauer haben muss. Wie viele Wochenenden habe ich mit meinen Pressesprechern Robert Steinmetz und Thomas Barbancey im Flugzeug verbracht! Ich war in den letzten zwei Jahren alleine 17 Mal in New York.

Tageblatt: Anders gefragt: Spürt man irgendwann die eigenen Grenzen?

Jean Asselborn: Man muss sich einteilen. Ich bin trotz des Aufwands jedes Jahr noch 12.000 Kilometer Rad gefahren. Es gibt 100 Ursachen, um Nein zu sagen, "heute fahre ich nicht". Und es gibt eine Ursache, um es zu machen. Ich war natürlich ab und zu so geschlaucht, dass ich nicht mehr konnte. Ich war allerdings in den zehn Jahren nie krank.

Tageblatt: Wie hat die Krise in der Koalition mit der CSV die Arbeit im Sicherheitsrat beeinflusst?

Jean Asselborn: Das war natürlich nicht einfach. Wir waren 2013 und 2014 im Sicherheitsrat. Aber letzten Herbst habe ich die innenpolitische Unruhe und den außenpolitischen Einsatz gespürt. Ich weiß allerdings, dass ich in unserer Koalition und von den Menschen im Land unterstützt werde und unsere Arbeit im Sicherheitsrat anerkannt wird.

Tageblatt: Für viele ist das Tandem Juncker-Asselborn bis heute ein Rätsel. Wie haben Sie außenpolitisch zusammengearbeitet?

Jean Asselborn: Es war ein Paar, das physisch nahe beieinander gelebt hat (lacht). Das sich verstanden hat, ohne viel miteinander zu reden. Sich in einem gewissen Maß auch respektiert hat. Obwohl es zwei verschiedene Parteien und Charakter waren. Ich sage nicht, der eine sei besser als der andere. Ich habe nicht nur schlechte Erfahrungen gemacht. Es war aber in den letzten zwei Jahren der Koalition mit der CSV schwierig - auch für mich. In Sachen Europa- und Außenpolitik hat Juncker mir, einmal um 2004 gesagt: "Im Ausland gibt es nur einen bekannten Luxemburger: und das bin ich." Ich habe mir gedacht: Dazu sagst du jetzt nichts und du versuchst, Schritt für Schritt deine Netzwerke aufzubauen. Heute ist es ja nicht mehr so, dass der Außenminister nur in Schouweiler bekannt ist. Es ist also wichtig, dass wir eine außenpolitische Nischenpolitik - hier: die humanitäre Hilfe - einzubinden verstehen. Und auch in der Außenpolitik darf man nicht immer todernst sein. Man muss auch ein Mensch bleiben.

Tageblatt: Luxemburgs Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Sylvie Lucas, ist ein zentraler Ansprechpartner für Sie. Wie haben Sie sich in den letzten zwei Jahren ausgetauscht?

Jean Asselborn: Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht miteinander reden. Wegen der Zeitverschiebung haben wir entweder abends kurz vor Mitternacht miteinander telefoniert oder manchmal ist sie wach geblieben, wenn ich morgens um 6 Uhr aufgestanden bin. Das geht nicht anders.

Tageblatt: Sie haben während der Zeit im UN-Sicherheitsrat 100 Länder bereist. Sieht man vor allem Hotels oder erhält man tatsächlich einen Einblick in die Lebenswelt der Menschen?

Jean Asselborn: Man kann seine Unterlagen durchlesen, alle Medien konsumieren: Es ist nicht das Gleiche wie vor Ort zu sein. Man kann sich weder ein Bild vom Nahen Osten noch vom Balkan machen, wenn man noch nicht da war. Außer man hat eine Vorstellungskraft wie Karl May. Wir sind nicht Deutschland, Frankreich, Russland oder die USA. Man muss zu den Leuten reisen. Ich wurde aber in keinem Land schlecht empfangen. Die niederländischen Botschaften waren hierbei sehr behilflich.

Tageblatt: Wie verhält man sich in Ländern, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden?

Jean Asselborn: Das ist leider in sehr vielen Ländern, die man bereist, der Fall. Man darf sich nicht instrumentallsieren lassen. Dennoch: Wir können nicht alles durch die europäische Brille betrachten. Das wäre ein kapitaler Fehler. Dann erteilen wir den anderen nur noch Lektionen.

Tageblatt: UN-Diplomaten wie Kofi Annan kritisieren die mangelnde Repräsentativität des UN-Sicherheitsrates: Wie lautet Ihr Urteil nach zwei Jahren als nicht -ständiges Mitglied?

Jean Asselborn: Ich war 2005 dabei, als man sehr nahe an einer Reform dran war. Sie ist leider größtenteils an einigen afrikanischen Staaten gescheitert. Man verlangte, dass sie zwei Länder für den UN-Sicherheitsrat nominieren sollen. Ägypten, Nigeria und Südafrika konnten sich aber nicht einigen. Wenn man jetzt sagt, man setze sich für die Reform des Sicherheitsrats ein, weiß ich nicht, ob man bis zum Jahr 2050 etwas geändert hat. Bush hat einmal Japan genannt. Das hat den Indern missfallen. In Europa braucht man sich auch nichts vorzumachen: Es gibt Deutschland, Italien und Spanien. Annan hat recht.

Tageblatt: Ist das Veto -Recht immer noch zeitgemäß?

Jean Asselborn: Es geht nicht nur um das Veto -Recht. Man muss die Herangehensweise viel breiter fächern. Es braucht eine Repräsentation, die dem 21. Jahrhundert und nicht dem Ende des Zweiten Weltkriegs entspricht.

Tageblatt: Ist der Sicherheitsrat erst durch einen globalen Konflikt und eine neue Weltordnung reformierbar?

Jean Asselborn: Ich glaube das nicht. Die fünf mit dem Vetorecht sind in einer positiven Ausgangslage. Aber selbst wenn: Neben diesen fünf müssten sich die nicht -ständigen Mitglieder dann auf einen Vertreter einigen. Ich sehe da keinen Fortschritt. Je mehr in der Welt gestritten wird, umso langsamer verläuft der Reformprozess. Das Veto ist an die Atommächte gebunden. Deshalb gibt es in verschiedenen Ländern den Willen, eine Atommacht zu sein: Man will von den davon abhängigen Privilegien profitieren, wenn es zu einer Neuaufteilung der globalen Ordnung kommt. Und: Auch nach einem globalen Konflikt gibt es wieder Sieger und Verlierer.

Tageblatt: Die gemeinsame EU -Außenpolitik bleibt also weiterhin geschwächt?

Jean Asselborn: Eine europäische, gemeinschaftliche Außenpolitik gibt es nur, wenn ein gemeinsamer Vertreter Mitglied des Sicherheitsrats ist. Die zwei Europäer, die jetzt einen Sitz haben - und das liegt in der Natur der Sache -, vertreten vor allem ihre eigenen Länder und politischen Philosophien. Es ist undenkbar, einen von ihnen auszuschalten und zu sagen: "Wir machen der EU jetzt Platz für einen Sitz."

Tageblatt: Sie haben letztes Jahr erlebt, dass die USA den Sicherheitsrat fast umgingen, um in Syrien zu intervenieren - und Sie haben gegen militärische Gewalt in Syrien plädiert. War das die richtige Entscheidung?

Jean Asselborn: Ich denke immer noch nicht, dass eine Intervention sinnvoll gewesen wäre. Wer glaubt, dass man mit Waffen etwas hätte ändern können, irrt. Das ursprüngliche Ziel, die chemischen Waffen des Assad-Regimes zu eliminieren, wäre mit Waffengewalt unmöglich gewesen. Das gelang über den diplomatischen Weg und unter Kontrolle. Was sich jetzt entwickelt hat, hätte sich zudem noch schneller ausbreiten können. Etwa die Terrormiliz Islamischer Staat. Und es hätte bedeutet: Der Westen bombardiert Syrien. Gegen Russland, gegen China. Wo hätten sich die arabischen Staaten positioniert? Saudi-Arabien, Katar, Libanon, die Türkei ... Was wäre mit dem Iran passiert? Die Konsequenzen wären noch dramatischer gewesen als jetzt - und wir sind bereits bei über 200.000 getöteten Menschen. Waffengewalt hätte vielleicht diese Zahl mal zehn bedeutet.

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