Außenminister Jean Asselborn zum Ukraine-Konflikt und dem IS-Terror

"Intervention für und nicht gegen den Irak"

Interview: Dhiraj Sabharwal

Tageblatt: Sie konnten sich im Rahmen einiger Treffen innerhalb der Vereinten Nationen mit vielen Diplomaten und Regierungschefs über die Krisenherde dieser Welt unterhalten. Beginnen wir mit der Ukraine: Was wurde in New York thematisiert?

Jean Asselborn: Der Absturz von Flug MHI7 war einer der Hauptdiskussionspunkte im Rahmen einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats vergangenen Freitag. Die Niederlande leiten die Ursachenuntersuchung. Es sind zahlreiche Staaten an diesen Ermittlungen alleine nur deswegen interessiert, da Bürger ihres Landes bei diesem Unglück ums Leben gekommen sind - sowohl Russen als auch Amerikaner. Die Auswertung der Spuren hat in einem ersten Schritt ergeben, dass die Maschine von einer Luftabwehrrakete getroffen wurde. Nicht bekannt ist jedoch, wer für diese Tat verantwortlich ist. Aus den Gesprächen, die ich geführt habe, geht hervor, dass eine Schuldzuweisung vor dem Sommer 2015 unwahrscheinlich ist.

Tageblatt: Was haben Sie über die Ermittlungsarbeiten vor Ort erfahren?

Jean Asselborn: Bislang konnten die Ermittler nur unter erschwerten Bedingungen an die Absturzstelle gelangen, da noch zahlreiche Separatisten vor Ort waren. Es sieht jetzt allerdings so aus, dass der Zugang in den nächsten Wochen erleichtert wird. Demnach können die Ermittlungen unter sicheren und einfacheren Umständen geführt werden.

Tageblatt: Kommen wir auf die eigentliche Auseinandersetzung zu sprechen. Was halten Sie und Ihre Gesprächspartner von den Friedensbemühungen der Konfliktparteien in der Ukraine -Krise?

Jean Asselborn: Ich drücke mich vorsichtig aus: Es herrscht Tauwetter. Bei Russland bewegt sich etwas. Die Russen haben Teile ihrer Truppen aus der Ostukraine abgezogen. Unter der Leitung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), wird über die Umsetzung eines langfristigen Friedens verhandelt. Es sollte bemerkt werden, dass die Souveränität der Ukraine dabei beachtet werden muss. Es gibt immer noch russische Waffen und Milizen, die kontrolliert werden müssen.

Tageblatt: Die von der ukrainischen Verfassung vorgesehene Dezentralisierung der Ukraine könnte zu einer Entschärfung der Situation führen. Teilen Sie diese Ansicht?

Jean Asselborn: Ich denke, dass die Kommunalwahlen im Dezember tatsächlich sehr wichtig sind. Dadurch können legitime Reformen in die Wege geleitet werden. Und die von der Verfassung vorgesehene Dezentralisierung der Ukraine ist auch sehr wichtig. Die Voraussetzung für diese Wahlen bleiben nach wie vor friedliche Verhältnisse. Die Europäer und die Russen müssen deshalb dafür sorgen, dass friedliche Wahlen stattfinden können.

Tageblatt: Bereitet Ihnen die finanzielle Situation der Ukraine keine Sorgen?

Jean Asselborn: Zunächst sollte man hervorheben, dass es positiv ist, dass das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine erst Ende 2015 in Kraft treten wird. Das gibt Kiew die Möglichkeit, den weiteren Verlauf der Dinge zu analysieren und sich darauf einzustellen. Aber, das stimmt, es bleibt schwer für die Ukraine. Sie ist von den internationalen Geldgebern, man denke nur an den Internationalen Währungsfonds (IWF), abhängig. Sie braucht auch die EU, um aus dem wirtschaftlichen Loch rauszukommen.

Tageblatt: Ein weiteres Thema, das die internationale Gemeinschaft beschäftigt, sind die Machenschaften der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Was denken Ihre Kollegen. bei den Vereinten Nationen über das brutale Vorgehen des IS?

Jean Asselborn: Im Sicherheitsrat ist die Einschätzung eindeutig: Es sind Akte der Barbarei. Es handelt sich um eine Triebfeder der Gewalt, die gestoppt werden muss. Das ist meine und auch die Botschaft von Premierminister Xavier Bettel. Luxemburg will dabei behilflich sein, diese sinnlosen Gewaltakte zu bremsen. Wir helfen aber nur humanitär. Es geht allerdings nicht nur über diesen Weg. Auch Resolutionen reichen hier nicht mehr aus. Der militärische Einsatz der internationalen Gemeinschaft ist auch gerechtfertigt. Es ist wichtig, dass die USA und Frankreich eingreifen. Es ist jedoch umso begrüßenswerter, wenn die Golf -Staaten ihrer Pflicht nachkommen. Denn dieser Konflikt kann in seiner Gesamtdimension nicht über einen militärischen Weg gelöst werden.

Tageblatt:  Zahlreiche Muslime haben weltweit den Generalverdacht gegen ihre Religion thematisiert. Welche Rolle spielen Religionsführer Ihrer Ansicht nach in dieser schwierigen Situation?

Jean Asselborn: Die Religionsführer aus der arabischen Welt müssen sich dafür einsetzen, dass Radikale keine Chance haben. Sie müssen es jungen Menschen verdeutlichen, dass der Islam eine friedliche Religion ist. Sie müssen erklären, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) nichts Gutes zu bieten hat. Ich stimme dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama in seiner Aussage zu, dass kein Gott solch eine Gewalt propagieren kann.

Tageblatt: Für viele Beobachter sind die aktuellen Ereignisse die Konsequenz der Intervention von 2003. Sehen Sie einen Unterschied?

Jean Asselborn: Man muss die Sachlage eindeutig und klar sehen. 2003 spaltete die Invasion im Irak die Weltgemeinschaft. Heute treffen wir eine andere Situation an. Es handelt sich dieses Mal um eine Intervention für und nicht gegen den Irak.

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