Jean Asselborn au sujet de l'Union européenne

"Frankreich macht mir Sorgen"

Interview: Michael Jungwirth, Stefan Winkler

Kleine Zeitung: Herr Asselborn, wie schafft das kleine Luxemburg es nur, auf der großen internationalen Bühne so präsent zu sein?

Jean Asselborn: Sind wir das?

Kleine Zeitung: Ja. Mit Jean-Claude Juncker stellt das Großherzogtum nach Gaston Thorn und Jacques Santer bereits den dritten Präsidenten der Europäischen Kommission.

Jean Asselborn: Luxemburg liegt in der Mitte von Europa. Wir haben unsere Türen stets offengehalten. Aber noch ist Juncker nicht Präsident. Das Europäische Parlament muss ihn erst wählen. Und auch dann ist nicht entscheidend, dass er Luxemburger ist.

Kleine Zeitung: Was dann ist entscheidend?

Jean Asselborn: Juncker war Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, die die EU -Wahl gewonnen hat. Vereinbart war, dass der Gewinner Kommissionspräsident wird. Es geschieht nicht zur Unzeit, wenn ich als Sozialdemokrat jetzt sage, dass der Präsident des Rates und der Hohe Vertreter Sozialdemokraten sein sollten. Wichtig ist mir aber insbesondere auch die Debatte, was Europa in Zukunft bewirken soll.

Kleine Zeitung: Was soll es bewirken?

Jean Asselborn: Europa startete einst als Friedensprojekt. Heute muss es zeigen, dass es auch den sozialen Frieden bewahren kann.

Kleine Zeitung: Ist der soziale Friede in Gefahr?

Jean Asselborn: Er wurde vernachlässigt. In der Krise hat man auf Austerität fokussiert. Das war notwendig. Nur kann man Europa nicht so weiterführen. In Italien, Spanien und anderen Ländern spricht man schon von verlorenen Generationen. Das ist auch die große Herausforderung für Juncker. Er weiß, dass hier mehr geackert werden muss, wenn wir Europa nicht verlieren wollen.

Kleine Zeitung: Heißt das, Sie fordern mehr Flexibilität beim Stabilitätspakt?

Jean Asselborn: Flexibilität ist gut, aber wird allein nicht reichen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie in Europa Arbeit und Wachstum geschaffen werden sollen, ohne zu investieren. Das sagt nicht nur der neue EU -Ratsvorsitzende, der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Das sagen auch viele kleinere Länder.

Kleine Zeitung: Renzi fordert auch Eurobonds.

Jean Asselborn: Eine alte Forderung von uns Luxemburgern. Was spricht dagegen, dass die stärkeren Euro-Länder Solidarität zeigen und ein wenig mehr Zinsen zahlen und die schwächeren Staaten auf diese Weise aus dem Sog lösen, der sie in die Tiefe zieht?

Kleine Zeitung: Deutschland will es nicht.

Jean Asselborn: Deutschland steht so glänzend da, weil es schmerzhafte Reformen hinter sich hat. Es sollte aber nicht vergessen, dass die massive Verschuldung vieler Euro-Länder zum Teil auch mit seiner Exportstärke zu tun hat. Es gibt Staaten, die, sobald sie den Euro hatten, geglaubt haben, Defizite könnten ihnen nichts anhaben. Es hat Jahre gedauert, bis man da seriös kontrolliert hat. Inzwischen wurden sehr viele Audis und Mercedes exportiert.

Kleine Zeitung: Haben Sie Verständnis für antideutsche Reflexe in Europa?

Jean Asselborn: Vieles von dem, was Deutschland angekreidet wird, hat das Land nicht verdient. Aber wenn es einem schlecht geht, dann kommt es halt zu emotionalen Reaktionen. Wenn Deutschland klug ist, kann es kein Interesse daran haben, dass es mit den Euro-Ländern bergab geht. Das größte Problem derzeit ist jedoch die immer größere Schere zwischen dem Potenzial Deutschlands und jenem Frankreichs.

Kleine Zeitung: Bereitet Ihnen das Sorge?

Jean Asselborn: Das macht jedem Sorge. Frankreich hat nun endlich den Willen, Reformen anzupacken. Ich hoffe, dass dieser Wille nicht gebrochen wird. Zumal die Situation, die wir mit dem Höhenflug von Marine Le Pen und der Debatte rund um Sarkozy und die Rechtsstaatlichkeit haben, sehr gefährlich ist und auch auf die ökonomische Lage des Landes drücken kann. Wenn aber das deutsch -französische Tandem nicht funktioniert, dann funktioniert auch Europa nicht.

Kleine Zeitung: Können Sie sich ein Europa ohne Großbritannien vorstellen?

Jean Asselborn: Nein, und es wird auch nicht dazu kommen. Allerdings braucht es dazu Politiker jenseits des Ärmelkanals, die damit aufhören, alles zu unterstützen, was gut für England ist, und zugleich alles, was gut für Europa ist, unter dem Vorwand zu torpedieren, dass es schlecht für England ist.

Kleine Zeitung: Österreich hat Kremlchef Putin unlängst den roten Teppich ausgerollt. War das eine gute Idee?

Jean Asselborn: Der rote Teppich ist ein Zeichen von Höflichkeit, wenn ein ausländisches Staatsoberhaupt auf Besuch kommt. Und es war ja kein Solo, sondern mit vielen europäischen Ländern abgestimmt. Ihr Bundespräsident hat Putin unter vier Augen die richtige Botschaft mitgegeben. Da können Sie sicher sein.

Kleine Zeitung: Spielt Putin in Wahrheit mit den Europäern nicht Katz und Maus?

Jean Asselborn: Richtig ist, dass er in dieser Auseinandersetzung viel verloren hat. Die russische Wirtschaft leidet unter starken Einbußen, der Rubel hat an Wert verloren. Und auch politisch hat Putin in den ehemaligen Sowjetrepubliken in Osteuropa und Zentralasien mittel- und langfristig mehr verspielt als gewonnen. Länder wie Kasachstan oder Weißrussland wollen zwar in seine Eurasische Zollunion, aber nicht mehr.

Kleine Zeitung: War Europa im politischen Umgang mit der Ukraine zu naiv?

Jean Asselborn: Wir haben die Ukraine als Land gesehen, das losgelöst von seiner russischen Vergangenheit ist und wo es keinen Osten und Westen, sondern nur ein Zentrum gibt. Das war ein Fehler, Kiew ist nicht die ganze Ukraine. Und Kiew hat den Osten über Jahrzehnte hinweg stark vernachlässigt. Jetzt müssen wir als Europäer alles unternehmen, damit die Rechtsstaatlichkeit im Land obsiegt und es Parlamentswahlen gibt. Der Plan des neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko muss umgesetzt werden. Und wir müssen Russland dazu bringen, wieder internationales Recht zu respektieren. Die grünen und schwarzen Männchen müssen aus dem Osten verschwinden.

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