Jean Asselborn au sujet de la situation en Iran concernant le respect des droits de l'homme

"Die Steinigung, 'ist das rational'?"

Tageblatt: Herr Asselborn, Sie haben sich mit Irans neuem Außenminister über Teherans Beziehung zu Israel unterhalten. Sehen Sie einen Unterschied in der Herangehensweise der neuen Führungsspitze?

Jean Asselborn: Ahmadinedschad hat den Holocaust ja mehrere Male geleugnet. Dies -immer vor dem Hintergrund des israelischen Existenzrechts. Ich habe mich gegenüber meinen iranischen Gesprächspartnern dazu geäußert. Ich habe gesagt, dass diese Form von Aussagen sicherlich nicht bei allen Iranern auf Gegenliebe gestoßen sei. Die Antwort des iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarin lautete, das Ganze habe dem Iran geschadet. Ich  habe dann nachgehakt und gespürt, dass solche Aussagen nicht mehr vom neuen Präsidenten Hassan Rohani zu erwarten sind.

Tageblatt: Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Jean Asselborn: Die Schiiten beschreiben sich selbst als rational. Das Gleiche gilt für Irans Politiker. Israel ist Mitglied der Vereinten Nationen (UN). Ich persönlich glaube, dass es nichts bringt, wenn zwei Länder, die der UN angehören und die UN-Charta respektieren, sich in solch einem Konflikt befinden. Dass man Israels Regierung kritisch beurteilt, ist legitim. Dass man Israel aber das Existenzrecht abspricht, darf, nicht im Rahmen der UN eine Realität sein. Dessen ist man sich im Iran bewusst.

Tageblatt: Wie beurteilen Sie die Anwendung der Scharia?

Jean Asselborn: Im Iran wird die Scharia in den offiziellen Gesetzestexten auch über die internationalen Konventionen gestellt. Das heißt, das islamische Recht steht über den universalen Menschenrechtserklärungen. Die Scharia ist aus ihrer Sicht etwas, das über Jahrhunderte gewachsen ist und deshalb eine zentrale Rolle spielt. Aus dieser Optik sind alle internationalen Gesetze und Konventionen der Scharia untergeordnet. In der Scharia ist unter bestimmten Bedingungen die Todesstrafe, zum Beispiel durch Steinigung, vorgesehen.

Tageblatt: Haben Sie diese Problematik bei iranischen Politikern angesprochen?

Jean Asselborn: Ja, das habe ich. Die Antwort lautete: „Wenn man etwas an der Scharia ändert und dem Mosaik nur einen Stein entnimmt, bricht die ganze Ordnung zusammen.“ Im Gespräch mit dem Parlamentspräsident Ali Laridjani und mit Außenminister Zarif habe ich darauf hingewiesen, dass man mir gegenüber immer wieder betont habe, dass die Schiiten rational seien. Das habe mich zu folgender Frage geführt: „Ist es für Teheran, rational betrachtet, positiv, dass der Iran weltweit die meisten Hinrichtungen im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl hat? Ist es rational, dass man im 21. Jahrhundert eine Frau mit dem Körper bis zum Kopf in den Boden steckt und dann mit Steinen auf sie wirft, bis sie stirbt? Nur weil sie sich in ihrem Privatleben für einen anderen Weg entschieden hat? Ist das rational?“

Tageblatt: Die geläufige Antwort lautet, dass auch Männer gelegentlich gesteinigt würden...

Jean Asselborn: Ja, das hat man mir so auch zum Teil entgegnet. Das ändert nichts am Problem.

Tageblatt: Haben Sie sich auch über andere Formen der Todesstrafe unterhalten?

Jean Asselborn: Ja, man hat mich im Zusammenhang mit der Steinigung darauf hingewiesen, dass 90 Prozent aller Hinrichtungen im Iran an die Drogenproblematik geknüpft sind. Es handle sich um den Krieg gegen den Drogenhandel aus Afghanistan. Der Anbau von Opium habe dramatisch zugenommen. Sie könnten das nicht ignorieren. Wenn man sich jedoch umhört und sich mit anderen Diskussionspartnern unterhält, weiß man, dass die Zahl der Hinrichtungen, die sich auf die Drogenproblematik beziehen, in Wirklichkeit viel niedriger ist. Je nach Perspektive sollen gar weniger als 50 Prozent aller Hinrichtungen im Iran auf den Kampf gegen Drogen zurückgehen. Das kann man den Iranern auch in einer diplomatischen Weise mitteilen, dass wir so etwas nicht mittragen können.

Tageblatt: Inwiefern kann es Ihrer Ansicht nach zu einem Wandel der Menschenrechtssituation im Iran kommen?

Jean Asselborn: Ich stimme dem iranischen Außenminister Zarif zu, wenn er sagt, dass sich die Menschenrechtsbewegungen nicht von außen, sondern aus dem Landesinnern heraus entwickeln sollen: Die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen müssen den Wandel selbst von innen bestimmen. Dann stelle ich natürlich die Frage ...

Tageblatt: ... lässt man diese Menschenrechtsbewegungen überhaupt zu?

Jean Asselborn: Genau. Darauf antwortet Zarif, dass es zu dieser Entwicklung in Irans Gesellschaft kommen werde. Dann frage ich: „Würde man 2014 so reagieren, wie man 2009 nach den Wahlen auf die Proteste reagiert hat?“ Daraufhin sagt er: „Nein“. Das sei eine Abweichung gewesen. So etwas würde sich heute nicht mehr wiederholen. Dazu sollte noch gesagt werden: Diejenigen, die dafür verantwortlich waren, stehen unter Hausarrest. Dieser Prozess ist also noch nicht abgeschlossen.

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