Discours de Jean Asselborn à l'université de Berne

"Das Subsidiaritätsprinzip ist von grundlegender Bedeutung für die Arbeitsweise der Europäischen Union (...)"

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

1. Es ist mir eine große Ehre und auch eine große Freude heute Abend bei Ihnen sein zu dürfen. Wie sie sich vorstellen können ist das Thema meines Vortrags - Kleinstaat und nationale Souveränität in der Europäischen Union - von besonderem Interesse für Luxemburg. Ohne dass ich jetzt schon meinen Schlussfolgerungen vorweg greifen will, kann ich sagen, dass Luxemburg sich in den vergangenen Jahren bemüht hat ein gutes Gleichgewicht zwischen europäischem Integrationsprozess und nationaler Souveränität herzustellen, und dass das sich positiv ausgewirkt hat auf die Stellung Luxemburgs in Europa und darüber hinaus.

2. Die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen moderne Staaten in Anbetracht der gegenwärtigen Weltlage stehen, sind äußerst komplex. Sämtliche moderne Staaten sehen sich täglich mit neuen Problemen konfrontiert, unabhängig von ihrer geographischen Größe, von ihrem demographischen Potential oder gar von ihrer Wirtschaftsleistung.

3. Ich denke zunächst an die Herausforderungen im Rahmen der Flüchtlingskrise. Eine nicht abnehmende Anzahl von Menschen versuchte im letzten Jahr in Europa Schutz vor Krieg, Verfolgung und Armut zu finden. Neben Problemen wie etwa der mangelhaften Versorgung und Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, sowie Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Betreuung und Integration, droht nun auch eine Polarisierung unserer Gesellschaft.

4. Ich denke auch an die Herausforderungen im Kampf gegen den Terror. An die unschuldigen Opfer in Paris, in Brüssel, in der Türkei und an vielen anderen Orten dieser Welt, die in gemeinen und hinterhältigen Anschlägen, ihr Leben verloren haben oder schwer verletzt wurden. Die Staaten stehen vor enormen Herausforderungen und sie sind gezwungen die Sicherheit ihrer Bürger besser zu gewährleisten ohne dabei die Grundfreiheiten entscheidend einzuschränken.

5. Doch nicht nur die Flüchtlingskrise und der Terrorismus beschäftigen unsere Gesellschaft. Auch die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die weltweit entweder das Wirtschaftswachstum geschwächt oder gar Rezessionen herbeigeführt hat, wirken nach.

6. Moderne Staaten stehen darüber hinaus vor den weitreichenden Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung, des zunehmenden internationalen Wettbewerbs, der nachhaltigen Entwicklung sowie der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit.

7. Alle Staaten, unabhängig von ihrer Größe, stehen in vielerlei Hinsicht vor der Aufgabe, Lösungen zu den Problemen unserer Zeit zu finden. Ein jeder Staat verfügt - insbesondere aufgrund seiner historischen Entwicklung und der gesammelten Erfahrungen - über andere Mittel und Methoden, und somit unterscheiden sich auch die möglichen Lösungen erheblich. Das ist auch für Luxemburg so. Um Luxemburg und die Entscheidungen die es getroffen hat, hinsichtlich des europäischen Integrationsprozesses und seiner nationalen Souveränität, besser zu verstehen, erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick auf unsere Geschichte:

8. Der Wiener Kongress hat Luxemburg 1815 nominell zu einem selbständigen Großherzogtum gemacht, das unter den Königen des Hauses Nassau-Oranien in Personalunion mit dem Königreich der Niederlande verbunden war. Luxemburg blieb aber Teil des Deutschen Bundes und trat 1842 auch dem deutschen Zollverein bei. Als deutsche Bundesfestung erhielt die Hauptstadt Luxemburg eine preußische Garnison. Als sich Belgien 1830 in seiner Revolution vom den Niederlanden trennte, verlor Luxemburg mehr als die Hälfte seines Staatsgebietes an den neu gegründeten Staat, erhielt dafür aber mehr Autonomie. Nach dem preußischen Sieg im Deutschen Krieg von 1866 löste sich der Deutsche Bund auf. Unter der Führung Preußens wurde der Norddeutsche Bund als Bundesstaat gegründet, der jedoch Luxemburg nicht umfasste, obschon die preußischen Truppen gleichwohl vorerst in Luxemburg blieben.

9. Napoleon der Dritte war sehr an Luxemburg interessiert und im Jahre 1867 versuchter er, sehr zum Missfallen Bismarcks, Luxemburg vom niederländischen König Wilhelm zu kaufen. Die Öffentlichkeit im Großherzogtum war empört und stellte sich gegen den beabsichtigten Verkauf des Landes an Frankreich. Eine starke Protestbewegung wendete sich mit ihrer Petition an den König-Großherzog Wilhelm und verlangte den Status quo. Der Wahlspruch "Mir wëlle bleiwe wat mir sinn" (Wir wollen bleiben was wir sind.) wurde unter der luxemburgischen Bevölkerung populär. Die Krise mündete in den Londoner Vertrag von 1867, in dem Luxemburg als Kompromiss für immer neutral erklärt wurde. Das Vereinigte Königreich, Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn und Russland waren die Garanten dieser Neutralität. Die Festung in Luxemburg, das Gibraltar des Nordens, wurde daraufhin geschleift. Frankreich kam nicht zum Zuge und die preußischen Truppen zogen ab.

10. Die vollständige Unabhängigkeit erreichte Luxemburg nach dem Tod des niederländischen Königs Wilhelm III. im Jahr 1890. Da ihm in den Niederlanden seine Tochter Wilhelmina auf den Thron folgte, in Luxemburg aber das salische Erbfolgerecht galt, wurde die Personalunion aufgelöst. Somit fiel das Großherzogtum Luxemburg nach den Regeln der Thronfolge und dem bereits 1783 geschlossenen Familienpakt an Adolph von Nassau als nächsten Erbberechtigten. Er entstammte der Nebenlinie Nassau-Weilburg der niederländischen Dynastie Nassau-Oranien. Seither gehen die Staatschefs Luxemburgs aus der Linie Nassau-Weilburg hervor.

11. Im Zuge der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die nationale Souveränität und völkerrechtliche Neutralität Luxemburgs gleich zwei Mal verletzt. Das erste Mal am 2. August 1914 als die Truppen des deutschen Kaisers in Luxemburg einmarschierten. Dann ein zweites Mal am 10. Mai 1940 als das Naziregime über Luxemburg herfiel. Während Historiker heute die deutsche Besetzung während des ersten Weltkriegs als relativ freundlich einstufen, hatte der Überfall Hitlers schlimme Konsequenzen: Luxemburg bekam einen Gauleiter der im Frühjahr 1942 die Verpflichtung zum Reichsarbeitsdienst für Luxemburger einführte und am 30. August 1942durchsetzte, dass auch Luxemburger zur deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert wurden. Die Luxemburger wehrten sich mit einem nahezu spontanen landesweiten Generalstreik am 31. August 1942. Er wurde von der Gestapo blutig niedergeschlagen, 21 Streikende wurden noch am selben Tag standrechtlich erschossen, viele weitere wurden in Konzentrationslager verschleppt. Bis zur Befreiung durch die US-Armee am 10. September 1944 wurden 3.963 Luxemburger verhaftet und in Konzentrationslager oder Gefängnisse gebracht: 791 von ihnen verloren ihr Leben. 4.187 Personen wurden verschleppt, meist in östliche Gebiete des damaligen Deutschen Reichs. Insgesamt starben 5703 Einwohner Luxemburgs während des Zweiten Weltkrieges.

12. Aufgrund dieser historischen Katastrophe war für uns in Luxemburg das Festhalten an einem rein neutralitätsbezogenen Modell keine sinnvolle Option mehr. Die auferlegte Neutralität des Londoner Vertrags von 1867 hatte Luxemburg nicht vor zwei Invasionen schützen können. Luxemburg hatte keine andere Wahl als seine Neutralität aufzugeben um in internationalen Allianzen seine Sicherheit zu gewährleisten. Sicherheit wurde zur existentiellen Frage und zum obersten Prinzip. Damit war Luxemburg auch bereit Teilsouveränität an zwischenstaatliche, beziehungsweise supranationale, Strukturen abzugeben, um so - es mag paradox erscheinen - seine Souveränität zu wahren.

13. So unterschrieb Luxemburg 1945 – gemeinsam mit 51 anderen Staaten - die Charta der Vereinten Nationen. 1948 wurde das Neutralitätsprinzip aus der luxemburgischen Verfassung gestrichen und so konnte Luxemburg ein Jahr später dem Nordatlantischen Vertrag beitreten. Luxemburg stimmte der am 9. Mai 1950 bekanntgegebenen Schuman-Erklärung zu und nahm ab 1952 an der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) teil, bevor es 1957 den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterschrieb. So wurde Luxemburg allmählich Mitglied in einem kooperativen Staatenbund, in dem Souveränität gezielt und zweckorientiert gebündelt wurde. Wirtschaftliche Integration im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zielte nicht nur darauf ab den Frieden zu sichern, sondern trug ebenfalls dazu bei den materiellen Wohlstand zu erhöhen.

14. Insgesamt ist die europäische Integration für uns also nicht gleichbedeutend mit nationaler Selbstauflösung. Ganz im Gegenteil, für Luxemburg hat der europäische Integrationsprozess zu einem Souveränitätsgewinn geführt: im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion besitzen wir heute mehr Mitspracherechte als zuvor, doch auch in vielen anderen Bereichen konnte Luxemburg im Zuge des Integrationsprozesses seinen Einfluss ausweiten. Staatliche Souveränität wird also nicht durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eingeschränkt, sondern sie wird dadurch bewahrt. Und ich stelle auch fest - a contrario -, dass unsere nationale Souveränität durch eine Nichtbeteiligung an den europäischen Entscheidungsprozessen wesentlich beeinträchtigt sein würde.

15. Das Schweizer Modell oder gar Erfolgsmodell unterscheidet sich natürlich grundsätzlich von dem luxemburgischen, nicht zuletzt aufgrund von unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen. Das neutralitätsbezogene Modell der Schweiz ist meines Erachtens deshalb so erfolgreich, weil es die nationale Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellt. Die Demokratieerfahrung der Schweiz und insbesondere die direktdemokratischen Elemente des politischen Systems der Schweiz ergänzen das Prinzip der Eigenverantwortung und Eigenbestimmung zusätzlich. Dazu gehört auch, dass in der Schweiz der Volkssouverän im absoluten Mittelpunkt des politischen Systems steht – hierbei handelt es sich um ein System das einzigartig ist. So verwundert es nicht, dass das Modell der Schweiz sich nicht ohne weiteres auf andere Staaten oder gar auf die Europäische Union übertragen lässt. Die Schweiz verfügt über eine tiefgreifende historische Erfahrung im Hinblick auf den Umgang mit direktdemokratischen Elementen. Diese Erfahrung ist in vielen anderen Staaten in diesem Maβe nicht gegeben, wie des niederländische Referendum der letzten Woche gezeigt hat. Aufgrund ihrer Demokratieerfahrung gelingt es der Schweiz daher Volksbefragungen auch bei Fragen einzusetzen, die sich aufgrund ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit in vielen anderen Ländern schwer vorstellbar wären.

16. Die geopolitischen Umstände haben dazu beigetragen, dass es der Schweiz gelang - insbesondere im Zuge des Kalten Krieges - die Vorteile der Souveränität, der Neutralität und der Eigenbestimmung auszuschöpfen und seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Der Schweiz gelang es eine höchst diversifizierte Wirtschaft zu entwickeln, die in vielen Bereichen mit hochinnovativen Produkten und viel Unternehmergeist in den internationalen Wettbewerb einstieg - man denke an die chemisch-pharmazeutische Industrie, an die Uhrenindustrie, den Maschinenbau, den Tourismus, das Bankwesen und viele andere Bereiche. Heute gelingt es der Schweiz weiterhin, aufgrund ihrer Flexibilität und ihrer außergewöhnlichen Kapazität zur Eigenbestimmung, individuelle Lösungen auf die aktuellen Herausforderungen zu finden.

17. Doch auch Luxemburg sieht in seinem eigenen Modell auch weiterhin die Möglichkeit, in der modernen Welt zu bestehen. In der Tat, angesichts der aktuellen Herausforderungen scheint die Größe eines Staates von zweitrangiger Bedeutung zu sein. Der einstige Premierminister Belgiens Théo Lefèvre formulierte es bereits in den 60er Jahren so: „Alle Länder in Europa sind inzwischen klein geworden. Es gibt einige, die das bereits wissen, aber eben auch einige, die es noch nicht wissen“. Diese zugegeben etwas zugespitzte Beobachtung deutet darauf hin, dass die aktuellen Herausforderungen Lösungen erfordern, welche die Mittel vieler individueller Nationalstaaten überschreiten. Es ist daher eine ernst zu nehmende Option, dass die einzelnen Nationalstaaten im Rahmen einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit Lösungen erarbeiten, die es ihnen erlauben, die Probleme effizient anzugehen.

18. Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel hat gezeigt, dass die Ordnung in der Anarchie der Staatenwelt aus der Hierarchie der Staatenwelt resultiert, insbesondere deshalb weil es oberhalb der Souveränität des Nationalstaates im Grunde keine Instanz mehr gibt. In Anlehnung daran könnte man jedoch argumentieren, dass das europäische Modell der Versuch einzelner Staaten ist, durch intensive zwischenstaatliche Kooperation eben eine solche Instanz zu schaffen. Ziel dabei ist es über das Selbsthilfeprinzip des Nationalstaates hinaus zu gehen und so neue Mittel freizuschalten, die bei der Lösung der heutigen Probleme hilfreich sein können. Mit gebündelter Souveränität – ich habe den Ausdruck vorher schon verwendet - kann man in vielen Bereichen mehr erreichen und ist durchsetzfähiger als mit nationaler Souveränität.

19. Der Weg ist jedoch nicht immer einfach, denn der Nationalstaat kann nicht vollständig auf das Selbsthilfeprinzip verzichten. Europäische Integration ist langfristig also nur möglich, wenn es gelingt, die Interessen des Nationalstaates mit den europäischen Interessen zu vereinen, beziehungsweise aufeinander abzustimmen. Das ist keine nebensächliche Bedingung für das Gelingen von Integration: die Vereinigung von nationalen und europäischen Interessen ist in der Tat eine Grundbedingung für erfolgreiche Integration! Laufen diese Interessen auseinander, wird es sehr schnell problematisch. Die aktuelle Lage der Europäischen Union spiegelt dies bedauerlicherweise nur allzu gut wider. Für viele Mitgliedstaaten ist es schwierig geworden, einen Konsens zwischen ihren eigenen Interessen und deren der Europäischen Union zu finden. Aufgrund seiner individuellen Erfahrung steht für Luxemburg jedoch fest: nur mit einer Abstimmung nationaler und europäischer Interessen gelingt ein erfolgreiches Bestehen im 21. Jahrhundert. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Luxemburg ausserhalb der Europäischen Union ein wärmerer Wind entgegen wehen würde!

20. Es gibt also sehr pragmatische Gründe, weshalb Luxemburg in der Europäischen Union ein sinnvolles Kooperationsforum sieht, indem zudem die Stimme eines jeden einzelnen Mitgliedsstaates zählt. Die Gemeinschaftsmethode der EU verhindert, dass ein kleines Land nicht gehört wird oder nicht mit am Verhandlungstisch sitzt. Die Stärkung der Europäischen Kommission ist aus diesem Grund für Luxemburg ein bedeutendes und notwendiges Ziel. Als „Hüterin der Verträge“ hat sich die Europäische Kommission stets dafür eingesetzt, dass sämtliche Mitgliedstaaten gleichberechtigt behandelt wurden und kleinere Mitgliedstaaten ebenfalls mitberücksichtigt wurden. Das supranationale Element der Europäischen Union ist gewissermassen ein Garant für unsere Mitspracherechte.

21. Das Subsidiaritätsprinzip ist von grundlegender Bedeutung für die Arbeitsweise der Europäischen Union und vor allem für die europäische Entscheidungsfindung. Auf der Grundlage dieses Prinzips kann entschieden werden, wann die EU für die Gesetzgebung zuständig ist. Es trägt dazu bei, dass Entscheidungen so bürgernah wie möglich getroffen werden. Aber vor allem trägt es dazu bei, dass die Mitgliedstaaten ihre nationale Souveränität wieder zurückerlangen, in den Fällen in denen die Union nicht in der Lage ist, effizienter zu handeln als die EU-Länder selbst. Nationale Souveränität die ein Mitgliedstaat abgibt, kann also, fast wie ein Bumerang, wieder zurückgeleitet werden.

22. Der EU-Binnenmarkt gehört zu den wohl bedeutendsten Leistungen des Integrationsprozesses. Er ermöglicht allen Bürgern, Verbrauchern und Unternehmen einen freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen allen EU-Mitgliedstaaten. Die EU-Bürger besitzen eine größere Freiheit bei der Wahl des Wohn-, Studien- und Arbeitsorts und können darauf verzichten, den Pass an nationalen Grenzen vorzuzeigen. Die Verbraucher profitieren von einer größeren Auswahl an Produkten und Dienstleistungen, einer besseren Qualität und von niedrigeren Preisen. Der Binnenmarkt ermöglicht Unternehmen in allen 28 Mitgliedstaaten tätig zu werden, europaweit zu wachsen und global wettbewerbsfähiger zu werden. Zuvor war die Gründung eines Unternehmens in einem anderen Land kompliziert und mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden. Mit dem Binnenmarkt entfallen Zölle und Abgaben an den EU-Binnengrenzen, somit können auch kleine Unternehmen ihre Effizienz steigern. Sämtliche EU-Mitgliedstaaten haben ein Interesse daran, eine Entflechtung eben jenen Marktes zu verhindern. Insbesondere für kleinere Staaten stellt der Binnenmarkt ein wichtiges Handlungsinstrument dar, denn sie sind wesentlich stärker vom Außenhandel abhängig als größere Staaten. Eine höhere Mobilität des Kapitals sowie von qualifizierten Arbeitskräften ist für kleinere Staaten aufgrund ihrer geographischen Einschränkungen, von besonderer Bedeutung. Nicht nur die EU-Mitgliedstaaten genießen die Vorteile eines Binnenmarktes. Auch die Schweiz ist eng mit dem EU-Binnenmarkt verbunden. Es findet nicht nur ein wirtschaftlicher Austausch statt, sondern auch die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereiche sind eng verflochten. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU werden durch ein dichtes Netz von Abkommen geregelt. Ein Weiterbestehen des EU-Binnenmarktes ist somit nicht nur unerlässlich für die EU, sondern auch für unsere Handelspartner.

23. Neben der Einbindung in die Weltwirtschaft ist es für kleinere Staaten wichtig, politische Stabilität zu erhalten, Innovationsfreudigkeit zu fördern sowie Ausbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten anzubieten. Gerade Luxemburg, als kleines, rohstoffarmes, exportorientiertes und lohnkostenintensives Land, muss sich kontinuierlich den Veränderungen der wirtschaftspolitischen Integration anpassen. Dass der Wohlstand nicht naturgegeben ist, daran muss sich nicht nur Luxemburg erinnern, sondern auch die Schweiz. Für beide ist es erforderlich wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Bewahrung der Innovationsfähigkeit ist hierfür notwendig. In diesem Bereich ist die Schweiz bekannt dafür eine Vorreiterrolle einzunehmen. In der Tat, unsere beiden Ländern können es sich in der heutigen Welt nicht mehr erlauben sich passiv zu verhalten. Um eine wichtige Rolle in den aktuellen Geschehnissen zu spielen, muss man es wagen, auf die Welt zuzugehen und die Regeln mitzugestalten, um sicherzustellen, dass diese Regeln dem eigenen Land nicht schaden.

24. Die aktuelle Migrationskrise macht deutlich, wie tiefgreifend die Probleme der Europäischen Union derzeit sind. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass nur eine europäische Lösung die Migrationskrise langfristig mildern kann. Die Herausforderung können nicht auf nationaler Ebene bewältigt werden. In der Tat, die Migrationskrise hat ja nicht nur Auswirkungen auf eine einzige nationale Ebene, sondern beeinflusst die nationalen Ebenen sämtlicher betroffener Staaten. Es liegt also auf der Hand, dass eine zwischenstaatliche Koordination unablässig ist. Darauf zu verzichten, wäre einfach zu kostspielig: die Schließung der Grenzen sowie eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes würden schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringen. Wir erkennen also, dass insbesondere bei Problemen, die nicht an nationalstaatlichen Grenzen halt machen, wie der polizeilichen Zusammenarbeit bei grenzüberschreitender Kriminalität oder der Finanztransaktionssteuer, brauchen wir in Zukunft mehr zwischenstaatliche Kooperation.

25. Diese Beispiele zeigen, dass das Übertragen von nationaler Souveränität an eine überstaatliche Struktur in gewissen Bereichen deutliche Vorteile bringt und dass der vermeintliche Verlust an nationaler Souveränität sich bezahlt macht in einem überproportionalen Gewinn an Durchschlagskraft und Effizienz.

26. Angesichts dieser Probleme ist es von Vorteil, dass die Europäische Union in der Schweiz einen pragmatischen Partner hat. Luxemburg weiss dies zu schätzen und wird im Rahmen der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union darüber, wie sich die Masseneinwanderungsinitiative mit den bilateralen Verträgen vereinbaren lässt, für eine beidseitig zufriedenstellende Lösung einsetzen. Aus der Sicht der Europäischen Union bleibt es jedoch nach wie vor von Bedeutung, dass das Prinzip der Personenfreizügigkeit nicht beeinträchtigt wird. Gleichzeitig gilt es natürlich den Wunsch der Schweiz seine Eigenbestimmung zu wahren, zu respektieren. Luxemburg respektiert daher die vom Bundesrat vorgeschlagene einseitige Schutzklausel ohne jedoch die Hoffnung aufzugeben, dass es uns gelingt eine einvernehmliche Lösung zu finden. Aufgrund dieser Überlegungen bin ich der Meinung, dass es sinnvoll ist, dass wir uns die nötige Zeit nehmen um die bestmögliche Lösung zu finden, ohne unsere Kernprinzipien und individuellen Lösungsmodelle aufzugeben, die uns als souveräne Staaten in einer vor herausragenden Herausforderungen stehenden Welt definieren.

Haben Sie vielen Dank."

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