Discours de Jean Asselborn à l’occasion de la remise du prix "Moyen-Orient" à Martin Schulz

"Er ist(...)kein Mann der halben Sachen"

"Lieber Martin,

Über Dich wurde in diesem Jahr schon viel gesagt und geschrieben. Dich darzustellen, in Deinem spannenden Werdegang als Mensch und Politiker, in Deinem Schaffen, ist eine Herausforderung. Nicht aus Mangel an Beweisen, ganz im Gegenteil.

Schon in jungen Jahren wurdest Du zum "homo politicus". Als Kind der Fünfzigerjahre, in der deutschen Grenzregion zu Belgien und den Niederlanden in der Nachkriegszeit aufgewachsen, hast Du früh, durch die tragische Geschichte Deiner eigenen Familie erschüttert, den Beschluss gefasst, Unrecht, Tyrannei und antidemokratisches Gedankengut zu bekämpfen und Dich gegen falsche, reduzierende und faschistische Ideologien zur Wehr zu setzen.

Die dramatische Geschichte Deines eigenen Landes und des gesamten europäischen Kontinents hat Dich sicherlich zutiefst berührt. Du warst aber auch ein Kind der frühen Jahre der deutsch-französischen Annäherung und Versöhnung - und somit Zeuge der ersten Jahrzehnte des europäischen Projektes. Wir Menschen aus Dreiländerecken an den aus Weltkriegen entstandenen Vernarbungen zwischen Deutschland, Frankreich und den Beneluxländern haben ein sehr besonderes Einfühlungsvermögen entwickelt für die Notwendigkeit guter Nachbarschaft und ein akutes Verständnis für die Überwindung von ewigen Antagonismen, für friedliches Zusammensein und für Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Ich erinnere in diesem Zusammenhang zB. an Gründervater Robert Schuman, einen Menschen mit vielschichtiger Identität, multikulturell, mehrsprachig, befähigt ein Brückenbauer zu sein. Nie wieder Krieg, nie wieder solche Grausamkeit und Unmenschlichkeit, forderten die Gründer... Dem hast auch Du Dich verpflichtet.

Als knapp Zwanzigjähriger gingst Du 1974 zu den Jungsozialisten, angespornt durch die Politik herausragender Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, allen voran Willy Brandt, der der deutschen Politik neue Bewegungsspielräume in Europa und der Welt eröffnete.

Als Dreißigjähriger wurdest Du in den Stadtrat Deiner Heimatgemeinde Würselen gewählt und konntest im alltäglichen politischen Geschäft erste Erfahrungen machen bevor Du dort 1987 zum jüngsten Bürgermeister Nordrhein-Westfalens wurdest. An einer Nahtstelle Deutschlands, Belgiens und der Niederlande wurdest Du Dir der Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Interesse der Bürger bewusst - einem Substrat des europäischen Projekts.

Die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern, die direkte Beziehung zu den Menschen hat Dich geprägt. Auch heute noch, in einem Spitzenamt der Europäischen Institutionen, bleibst Du ihnen treu, achtest sie und stehst für ihre Rechte und Interessen ein. Du gehörst zu denen, die Tragweite und Konsequenz der Beschlüsse ganz oben mit den Wirkungen und dem Nutzen nach unten, bis hin ins tägliche Leben der Leute messen.

Die Europawahl 1994 brachte Dich ins Europaparlament nach Straßburg - den Ort, der als Symbol schlechthin der deutsch-französischen Versöhnung gilt. Seither hat Dir daran gelegen, das innereuropäische Verständnis zu verbessern, die demokratischen Prozesse zu stärken und die immer tiefere Einbindung der parlamentarischen Dimension Europas einzufordern. Mit Erfolg.

Lieber Martin,

Bei der Verleihung des Hammer-Preises 2015 hat Kardinal Lehmann, der Bischof von Mainz, Dich vor vierzehn Tagen auf einfühlsame Art gewürdigt. Er hat den Werdegang eines Menschen geschildert der es in seiner Jugend nicht leicht hatte und der es trotz aller Widrigkeiten geschafft hat, sich einen starken und bedeutsamen Lebensinhalt zu geben. Das hat imponiert, lieber Martin. Du hast Dir Respekt und Anerkennung erarbeitet, sozusagen von der Pike auf. Das macht Dich glaubwürdig.

Dass Du kürzlich in Aachen zum Karlspreisträger gekürt wurdest, bestätigt Deine herausragenden europäischen Qualitäten und Deine unermüdliche Arbeit. Heute Abend wirst Du von der Deutschen Initiative für den Nahen Osten für Deinen Einsatz für Frieden und Verständigung im Nahen Osten geehrt. Das Jahr 2015 ist für Dich ein Jahr der Anerkennung in der eigenen Heimat, für lange Jahre des politischen Engagements. Damit strafst Du "en passant" das Sprichwort Lügen, es sei niemand Prophet im eigenen Land.

Meine Damen und Herren,

Ehre wem Ehre gebührt. Der heutige Preisträger beweist Engagement in Allem was er unternimmt und lässt niemals Zweifel aufkommen, was seine Überzeugungen betrifft. Seine Botschaft ist glasklar. Er ist nun mal kein Mann der halben Sachen!

Er ist Deutscher und Europäer; in dieser positiv gelebten Dualität nimmt keines von dem anderen. Im Gegenteil ergänzen und verstärken sich beide Attribute.

Lieber Martin,

In Bezug auf Deine Biographie wirst Du oft auf Dein erstes Lebenswerk angesprochen, den Buchhandel, in Deiner Heimatstadt. Er entspricht Deiner Liebe für das geschriebene Wort, das Buch, die Idee. Als Buchliebhaber und begeisterter Leser ist Literatur für Dich nicht nur "de l’art pour l’art“ sondern auch Inspiration und Denkanstoß, Analyse zwecks Lösungsvorschlag.

Als Laudator komme ich nicht umhin, den Autor Schulz zu erwähnen. Sein 2013 erschienenes Buch "Der gefesselte Riese. Europas letzte Chance“ ist eine Hommage an Europa, ein Plädoyer für die Vertiefung des Einigungsprozesses und für seine institutionelle Demokratisierung. Als kritischer Beobachter und engagierter Akteur auf der europäischen Bühne liefert Martin seinen Lesern sein bestes Verständnis der europäischen Integration. Es steht dem Autor gut zu Gesicht dass er in seinem Werk auf die immer häufigeren negativen Bewertungen Europas eingeht sowie auf die Gefahren einer Dekonstruktion des gemeinsamen Projektes. Martin leistet Überzeugungsarbeit gegenüber dem europäischen Bürger indem er Klartext redet, komplexe Zusammenhänge auseinanderlegt, die europäische Konstruktion entmystifiziert, die institutionelle Sachlage veranschaulicht und die Politik der Europäischen Union dem Volk verständlich macht.

Lieber Martin,

Auch außerhalb von Europa bist Du als Vermittler der europäischen Werte unterwegs sowie als hoher Vertreter einer Institution die ihre Hilfe anbietet wo immer sie kann und wo es Sinn macht. Du möchtest die EU als Erfolgsmodell promovieren, als gemeinschaftliche Methode mit einer starken parlamentarischen Dimension. Kraft Deines Amtes forderst Du für die EU eine wichtigere und politisch aktivere Rolle in globalen Fragen und Herausforderungen, sowie in Bezug auf Probleme, Krisen und Konflikte außerhalb der Grenzen Europas.

Du bist sozusagen ein Reisender der europäischen Versöhnungsidee. Als Mitglied des Europaparlaments und späterhin als sein Präsident ist es Dir wichtig, in Krisengebiete zu reisen um Dir an Ort und Stelle ein Bild zu machen, um erklärend aber auch fordernd nachzuhaken, sei es in der direkten europäischen Nachbarschaft oder weiter entfernt.

Du setzt auf Mediation und Konfliktlösung, zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten. Auf Dein Konto geht unter anderem, dass Du im Frühling 2013 in Marseille dem Euromediterranen Konzept neues Leben eingehaucht hast im Rahmen eines Gipfels der Parlamentspräsidenten der Länder der Union für den Mittelmeerraum. Du unterstützt tatkräftig seit 7-8 Jahren das erfolgreiche Forum der "Young leaders for the Middle East" und bist dabei eine solche Formel für die jungen Führungskräfte im Maghreb einzuführen. Du setzt Dich immer wieder für die Freilassung politischer Gefangener und Menschenrechtler ein. Du intervenierst direkt bei Regierungen, weil es wichtig ist, dass glaubwürdige Vertreter der internationalen Gemeinschaft für verfolgte Menschen eintreten. Dein beherzter Einsatz hat Dir Freunde verschafft, in Israel, in Palästina, in Jordanien und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.

Heute Abend erhält der Europapolitiker Martin Schulz den Preis der Deutschen Initiative für den Nahen Osten.

Als engagierter Politiker trittst Du, lieber Martin, für eine wesentlichere externe Rolle der EU ein, zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten - in der direkten Nachbarschaft Europas. Eine anspruchsvolle Aufgabe.

Als Präsident des Europaparlaments bist Du nach Israel und Palästina geflogen, als Deutscher und als Europäer, um eine Botschaft des Friedens und der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Partnerschaft zu überbringen. Vor der Knesset versichertest Du den Abgeordneten, dass Israel auf die Unterstützung der Europäischen Union bauen könne. Um die Vielseitigkeit des Konfliktes dazustellen und Empathie zu schaffen für das Empfinden des Anderen, hast Du auch die palästinensische Sichtweise vor der Knesset eingebracht.

Niemand sollte sich hinter festgefahrenen Positionen verschanzen dürfen und jeder müsste versuchen die Position der anderen Seite zu verstehen. Über das Existenzrecht Israels darf es keine Zweifel geben, ebenso wenig wie über das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Deine Rede vor der Knesset brachte Dir nicht nur die demonstrative Kritik einiger israelischer Hardliners ein, sondern auch ein solides Maß an Anerkennung und Beifall.

Der hundertjährige Konflikt im Nah-Ost Kontext bekräftigt die Pertinenz der Vision des Deutschen Instituts für den Nahen Osten, abgeleitet von den Prinzipien des Westfälischen Friedens von 1648 mit dem der dreißigjährige Krieg beigelegt wurde: Frieden als höchstes Gut, Gerechtigkeit und die Berücksichtigung der Standpunkte beider Parteien. Wie Willy Brandt sagte: "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“.

Geehrter Preisträger, geehrtes Publikum,

Vor gut drei Wochen, am 30. September, verkündete ein sichtlich niedergeschlagener Präsident Mahmud Abbas in New York das Ende des Osloer Prozesses von 1993 ; das Abkommen habe keinen Sinn mehr; es sei für die israelische Seite sowieso längst hinfällig gewesen. Aber dieser selbe Präsident Abbas hisste einige Minuten später die Fahne der Palästinenser im Garten des UNO Geländes in New York. Tags darauf ließ der israelische Premierminister Netanjahu vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen verlauten er sei bereit, sofort und ohne Vorbedingungen die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen.

Auf der einen Seite die überkandidelte Perspektive eines Neubeginns, auf der anderen der wiederholte Versuch des Erhalts des Status Quo, als Antithese eines jeglichen Lösungsversuchs.

Die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen um den Zutritt zum Haram al-Sharif sowie das obstinate Festhalten am Siedlungsbau - ohne jegliche politische Perspektive - haben wiederum nur Gewalt und Hass geschürt. Die Gewalt ist nicht zentral gesteuert; sie ist vielmehr Ausdruck individueller und kollektiver Frustration in einem politischen Vakuum. Die nur allzu gut bekannte Gewaltspirale breitet sich erneut und im Nu aus. Es gibt Tote und Verletzte auf beiden Seiten, es gibt Verzweiflung, Vergeltung, Hass, unvermeidliches Versagen aller gemäßigten Kräfte. Aufrufe beider Seiten zu Zurückhaltung und Vernunft scheinen vergebens; die destruktiven revanchistischen Kräfte gewinnen schon wieder die Oberhand.

Nach dem Scheitern der Kerry-Initiative im April letzten Jahres und dem verheerenden Gaza-Krieg, dem dritten innerhalb von fünf Jahren, bietet sich seit den letzten Septembertagen dieses Jahres mit noch größerer Wucht das traurige Schauspiel von Gewalt und Gegengewalt. Angesichts des steigenden Ausmaßes der Gewaltszenarien sprechen manche schon von einer dritten Intifada, mit dem inhärenten Risiko einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Irrationale Geschichtsverdrehungen sind fehl am Platze, denn sie heizen das Klima weiter an.

Die Perspektivlosigkeit zehrt unerlässlich an der Glaubwürdigkeit einer noch so hauchdünnen Grundlage eines Friedensprozesses, der wünschenswerter und notwendiger ist als je zuvor.

Die Gesamtwetterlage im Nahen und Mittleren Osten ist so beunruhigend wie selten noch und eine Normalisierung des israelisch-palästinensischen

Verhältnisses würde Spannungen innerhalb der arabischen Welt als auch zwischen der islamischen Welt und dem Westen konsequent reduzieren. Ein Friedensvertrag hätte zusätzlich enorm positive Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung der ganzen Region.

Die Parameter der Zwei-Staaten-Lösung sind seit Jahren bekannt. Sie liegen alle vor. Sie warten darauf, unverzüglich umgesetzt zu werden, denn morgen kann es definitiv zu spät sein.

Ich komme eben aus Jordanien, wo die OSZE Konferenz mit den arabischen Partnerländern stattfand. Syrien war evidenterweise Hauptthema.

Eine dramatische Konsequenz des vielschichtigen syrischen Konflikts, auf dem Hintergrund verschiedenster Machtspiele, ist der beispiellose Exodus Hunderttausender, weg vom Krieg und von der Ausweglosigkeit. Ein Exodus, der sich seit Anfang Oktober dramatisch verstärkt. Wir Europäer sind uns bewusst, dass die Migrationswellen eine enorme Herausforderung sind. Finanzkrisen, Bankenkrisen, Wirtschaftskrisen kommen und gehen. Mit Geld sind hier Lösungen machbar. Menschliches Leid bleibt. Die Europäische Union hat sich dem zu stellen. Nicht mit Stacheldraht und Mauern, aber mit Solidarität, politischem Willen und rationeller Organisation der Migrationsströme für diejenigen, die Schutz aufgrund der Genfer Konvention von 1951 brauchen. Die Rahmenbedingungen hierfür wurden in den letzten Wochen in den EU Instanzen getroffen. Die konkrete Umsetzung bleibt zu großen Teilen noch offen. Die Sitzung am Sonntag in Brüssel muss Resultate bringen.

Meine Damen und Herren,

Wer Kritik wagt, wird kritisiert. Unser Preisträger kann gut mit Kritik umgehen. Sie spornt ihn an. Die Auseinandersetzungen im Europäischen Parlament sind zeitweise sehr laut und hart. Martin Schulz lebt mit und von diesen Herausforderungen. Sie beleben die Politik und den von ihm so heiß geliebten Parlamentarismus. Die demokratische Debatte ist sein Lebensinhalt. Widerspruch und Auseinandersetzung bringen uns vorwärts; sie können den Status Quo nicht leiden, diesen Ausdruck von Immobilismus und intellektueller Trägheit, von Resignation und Rückschritt. Mutig und fortschrittlich ist es, Probleme beim Namen zu nennen und Lösungsvorschläge einzubringen.

Lieber Martin,

Wir freuen uns auf Deinen weiteren Einsatz, für Europa und in der Welt, hier und im Nahen und Mittleren Osten und überall dort wo Frieden und Demokratie gefragt sind. Wir freuen uns auf unbequeme jedoch begründete Kritik, auf Denkanstöße und Verbesserungsvorschläge, in der furios engagierten Art und Weise die Dich auszeichnet. Ich freue mich ganz besonders, Dir zu Deinem verdienten Preis gratulieren zu dürfen."

Dernière mise à jour