Jean Asselborn, invité de l'émission "Müncher Runde extra"

Interview: Bayrischer Rundfunk (Sigmund Gottlieb)

Bayrischer Rundfunk: Ja, Herr Asselborn, Sebastian Kurz könnte eigentlich Ihr Sohn sein. Was haben Sie eigentlich gedacht vor mehr als einem Jahr als er mit 27 Jahren zu dieser eingeführten seriösen Runde der Außenminister stieß?

Jean Asselborn: Fescher Junge, und er ist ein – glaube ich – sehr tüchtiger Außenminister. Er hat sehr schnell gelernt. Und ich glaube er ist auch ein Mensch mit dem man sich unterhalten kann, auch über die politischen Grenzen hinweg. Und die Unterschiede zwischen uns beiden, jedenfalls was die großen Ausrichtungen der Außenpolitik in Europa angeht, sind nicht total verschieden.

Bayrischer Rundfunk: Herr Kurz, was haben Sie eigentlich für ein Gefühl als junger Mann aus Österreich, welchen Einfluss haben Sie eigentlich auf die Außenpolitik in dieser Europäischen Union? Kann man da etwas bewegen?

Sebastian Kurz: Nein, uns geht es ähnlich wie Luxemburg, Österreich ist keine Supermacht, kein großes Land wie Deutschland, sondern ein mittlerer Staat in der Europäischen Union, und somit die Möglichkeit dass eins von 28 Ländern einen Beitrag zu leisten, mit zu gestalten als einer von 28, und natürlich in einigen Bereichen, die uns besonders wichtig sind, auch eine Themenführerschaft zu übernehmen. Das gelingt uns ganz gut beim Westbalkan, das ist für Österreich eine ganz entscheidende Region. Und dann gibt es natürlich viele andere Themen, wo andere Länder wesentlich mehr involviert sind, oder auf Grund ihrer Größe einfach schlicht und ergreifend auch mehr Einfluss haben.

Bayrischer Rundfunk: Herr Kurz hat ja vor einiger Zeit gesagt, wir stehen vor der schwersten Krise auf diesem Kontinent seit vielen Jahrzehnten. Da stimmt sicherlich jeder zu, das kann jeder unterschreiben.

Aber ist das nicht auch, Herr Asselborn, dass es zu dieser Krise gekommen ist, und dass Lösungen so schwer zu finden sind, nicht auch ein Ausdruck von, ja, ich sage jetzt einmal, Begrenztheit von Handlungsmöglichkeiten innerhalb dieser Europäischen Union? Ich weiss wir Journalisten tun uns leicht das immer zu reklamieren, aber es ist natürlich schon auch ein Teil des Befundes.

Jean Asselborn: Herr Gottlieb, wo ich Ihnen total Recht gebe, als ich vor 10,5 Jahren Aussenminister wurde, da war noch sehr, sehr viel Hoffnung, auch aussenpolitisch, in der Welt. Sie erinnern sich vielleicht, im Nahen Osten war Arafat fort, der neue Mann, Abbas, war gewählt. Balkan 2004, Saloniki: In 10 Jahren sind alle Balkanländer in der Europäischen Union. Der Irakkrieg war vorbei 2004, wir hatten große Hoffnungen im Nahen Osten, aber auch für Amerika-Russland. Es war eine Stimmung, wo sehr viel Hoffnung war.

Und heute haben wir eine Stimmung wo sehr viel Angst ist. Das ist, jedenfalls wenn ich 10 Jahre zurück schaue, eine Schlussfolgerung die ich ziehen kann. Und darum ist es richtig, wenn heute gesagt wird – und was Sebastian gesagt hat – dass wir vor sehr, sehr entscheidenden Herausforderungen stehen.

Bayrischer Rundfunk: Sie sprechen zu Recht von Angst. Nun sind sie ja sozusagen qua Amt, qua Ihrer Verantwortung, Manager der Krisen, dafür sind Sie da, das ist Ihre Profession, Sie müssen das managen.

Wäre das eigentlich nicht sehr viel einfacher, Herr Kurz, und sehr viel wirkungsmächtiger, und sehr viel effektiver, wenn diese Europäische Union irgendwann einmal endlich mit einer Stimme sprechen würde?

Sebastian Kurz: Also ich glaube das ist klar. Wir würden [wird unterbrochen]

Bayrischer Rundfunk: Tut sie aber nicht immer.

Sebastian Kurz: Wir würden international noch wesentlich mehr Gewicht haben, wenn es eine noch stärkere gemeinsame Außen- aber auch Verteidigungspolitik gäbe. Und ich glaube da hat die Europäische Union noch viel Luft nach oben.

Was man, glaube ich, schon noch positiv aber bemerken muss ist, in der Europäischen Union ist es in der Krise in der Ukraine in diesem einen Jahr doch gelungen, auch wenn es manchmal schwer war, bis jetzt jeden Beschluss einstimmig zu treffen. Und wenn wir uns überlegen wie unterschiedlich die Erfahrungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten mit Ländern wie Russland ist, wie unterschiedlich die Balten und die Polen Russland sehen im Vergleich zu Ländern wie Österreich und anderen, ist es, glaube ich, durchaus eine Errungenschaft, dass es gelungen ist sich in diesem Jahr in dieser schwierigen Phase nicht auseinander dividieren zu lassen, und stets gemeinsam vorzugehen.

Bayrischer Rundfunk: Nun hat sich ja, Herr Asselborn, trotz aller möglicher auch Einigkeitsbeschlüsse innerhalb der EU, die Krise in der Ukraine, und zwischen Russland und der Ukraine weiter zugespitzt, gerade auch in den letzten Tagen. Die Menschen sind beunruhigt, wir spüren dass das nicht weit weg ist, sondern dass das ganz nahe ist, und das spürt vor allem auch die junge Generation. Also die Leute sind beunruhigt.

Heute sind die Kanzlerin und der französische Präsident Hollande nach Kiew und nach Moskau geflogen. Wie schätzen Sie die Lage ein? Wie besorgt sind Sie? Was passiert da im Augenblick?

Jean Asselborn: Lassen Sie mich ein Wort sagen zu der Frage, die Sie gestellt haben an Sebastian. Wir haben keine gemeinsame europäische Außenpolitik. Und solange wir zwei Sitze als Europäische Union im Sicherheitsrat haben, wird es auch sehr schwierig werden die zu bekommen. Das ist eine Tatsache. Wir waren jetzt zwei Jahre im Sicherheitsrat, ich habe das gesehen. Da werden natürlich auch die spezifischen Interessen dieser zwei Länder vertreten.

Das zweite ist, ich gebe auch Sebastian Recht, wenn er sagt, dass wir haben trotzdem in verschiedenen Gebieten – nehmen Sie Iran – sehr vieles erreicht.

Bayrischer Rundfunk: Sind Sie besorgt?

Jean Asselborn: Ja, wir sind in einer sehr, sehr entscheidenden Phase, jetzt vielleicht in diesen Tagen, und in den Wochen die kommen.

Sie wissen, dass Präsident Poroschenko Waffen [wird unterbrochen]

Bayrischer Rundfunk: angefordert hat.

Jean Asselborn: …angefordert hat. Um aus seiner Sicht zu sagen, wenn wir keine Waffen, keine schweren Waffen haben, können wir den Frieden nicht mehr herstellen. Dann werden wir von den Separatisten, sprich von russischer Seite, überwältigt.

Wenn dies geschehen würde – wir sind hier in Deutschland – müssen Sie sich vorstellen was es hiesse wenn deutsche Waffen, europäische Waffen in die Ukraine kämen, und es käme zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland,

Bayrischer Rundfunk: Sie sprechen im Konjunktiv, und sagen, das wird nicht passieren, oder?

Jean Asselborn: Was das hieße. Darum glaube ich, um es kurz zu machen, darum glaube ich, dass Frau Merkel und Präsident Hollande auch ganz klar die Signale gehört haben, dass wir in einer entscheidenden Phase sind, wo wir nicht nur allein über Sanktionen reden, oder über andere Maßnahmen, sondern verhindern müssen, dass die einzige Alternative eine militärische Alternative ist. Das muss man auch mit unseren Freunden in der Ukraine sehen. Ich hoffe dass in Russland auch eingesehen wird, dass Russland nicht nur wirtschaftlich angeschlagen ist, sondern dass wenn man diese Spirale weiter dreht, es zu einer Katastrophe kommen wird.

Bayrischer Rundfunk: Herr Kurz, Sie haben einen ziemlich dramatisch klingenden Satz formuliert. Sie haben gesagt, die düstere Warnung dass wir an der Schwelle eines neuen Kalten Krieges stehen, droht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden.

Nun hat gerade Herr Asselborn das Thema Waffenanforderungen sozusagen von der Nato, von Seiten der Ukraine angesprochen. Das ist ja nicht die einzige gedankliche Spur, es gibt ja noch die, die aus den USA kommt sozusagen, man könne sich vorstellen Waffenlieferungen ins Auge zu fassen. Das wurde dann wieder zurück genommen. Das ist natürlich eine Ebene der Diskussion, die uns schon alle sehr beunruhigt. Und der Konflikt ist dann eben plötzlich mitten in München schon in den Köpfen, oder in Hamburg, oder in Berlin, oder in Wien, oder in Luxemburg.

Sebastian Kurz: Also ich glaube, wir sind zwar Angehörige unterschiedlicher Parteienfamilien, aber in dem Fall ganz klar auf einer Linie. Ich glaube für diesen Konflikt kann es, und wird es keine militärische Lösung geben. Insofern ist jedes Liebäugeln mit einem Nato-Beitritt, jedes Verlangen nach zusätzlichen Waffen sicherlich nicht der richtige Weg, sondern eher ein ständiges Öl ins Feuer giessen. Und insofern, glaube ich, teilen wir alle die Meinung dass es ein Hoffnungsschimmer ist, dass Merkel und Hollande gemeinsam in der Ukraine und in Russland sind in diesen Tagen. Ich gehe einmal davon aus dass sie nicht hingefahren wären, wenn es nicht eine Chance auf einen positiven Fortschritt gäbe.

Bayrischer Rundfunk: Das wollte ich gerade sagen. Was sagen die Diplomaten dazu? Man setzt sich ja nicht auf dieser Augenhöhe ins Flugzeug, fliegt vor den Augen der Weltöffentlichkeit nach Kiew und Moskau, und kalkuliert dann schon sofort das Scheitern ein, sondern es soll ja eigentlich etwas rauskommen. So ist das zu interpretieren.

Sebastian Kurz: Ich glaube es gibt jetzt noch keinen Grund zur Euphorie, weil Deutschland war im vergangenen Jahr oft sehr aktiv, und hat viele Bemühungen unternommen um einen Fortschritt zu erreichen, und hat viele Rückschläge einstecken müssen. Insofern glaube ich wäre Euphorie noch verfrüht. Aber dass die beiden Regierungschefs nach Russland und in die Ukraine reisen, zeigt doch, dass sie einen Hoffnungsschimmer zumindest sehen, sonst würden sie diese Reise wahrscheinlich nicht unternehmen.

Bayrischer Rundfunk: Herr Asselborn, Sie haben gesagt, die Diplomatie, und da gibt Ihnen auch jeder Recht, stösst angesichts eben der Reaktion auch aus Russland, in diesem Fall an eine Grenze. Das ist richtig. Man hat dann sozusagen die Grenzen erweitert indem man zur Diplomatie, oder neben die Diplomatie das Thema Sanktionen gesetzt hat. Da sind wir jetzt mittendrin.

Jean Asselborn: Also seit Monaten und Monaten diskutieren wir, wie bringen wir es fertig Russland, sagen wir einmal, so einzustimmen, dass auch im Kreml gesehen wird, dass wir gegen eine Mauer rennen.

Allerdings haben wir auch nie vergessen zu sagen, dass auch in der Ukraine, die Dezentralisierung, die Verfassung, und auch viele andere Sachen, wie die Dominierung der Milizen, die ja auch da operieren, notwendig ist. Aber Sanktionen, glaube ich, sind ein diplomatisches Mittel. Und die größte Sanktion gegen Russland wurde nicht von der Europäischen Union, und auch nicht von Amerika entschieden. Das haben die Saudis gemacht, als sie [wird unterbrochen]

Bayrischer Rundfunk: Stichwort Ölpreis.

Jean Asselborn: Als sie diesen Ölpreis fixiert haben, haben sie einerseits Fracking in Übersee visiert, und andererseits natürlich auch, sagen wir einmal, etwas was mit der Politik in Syrien zu tun hat, um es diplomatisch zu sagen.

Aber die Sanktionen, Herr Gottlieb, sind ein Mittel was auch in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Wir kommen nicht zu einer Lösung mit Sanktionen. Aber ich will noch einmal sagen, ich hoffe dass wir am Montag Sanktionen unter  Punkt A, das heisst ohne Diskussion, ohne Debatte akzeptieren.

Bayrischer Rundfunk: Sie sprechen Montag vom Aussenministertreffen.

Jean Asselborn: Am 9. in Brüssel. Wir haben heute mit allen Ländern der Europäischen Union – auch Griechenland – eine weitere Liste akzeptiert, die werden die Außenminister dann definitiv annehmen. [wird unterbrochen]

Bayrischer Rundfunk:  Das ist jetzt eine Tranche, die geht bis September oder?

Jean Asselborn: Nein, das ist eine neue Tranche, die ein Jahr läuft. Wir haben ja bis September die Sanktionen verlängert.

Bayrischer Rundfunk: Die sind schon verlängert einstimmig?

Jean Asselborn: Ja, die sind verlängert. Das sind Sanktionen gegen Menschen, Ukrainer, Leute von der Krim, und auch russische Persönlichkeiten, die Einreiseverbot haben, und das wo auch Geld blockiert wird auf den [wird unterbrochen]

Bayrischer Rundfunk: eingefrorenen Konten.

Jean Asselborn: Das ist das. Und wir haben ja, daneben auch sektorielle – zum Beispiel Waffenembargo Russland und Öl – visiert. Ich glaube diese Sanktionen sind ein Mittel zu dieser Zeit gewesen.

Aber wenn wir nur noch auf Waffen setzen, wenn die Ukraine und Russland das machen, und auch die Länder der Nato, wie Sie gesagt haben, dann kann man ja alles was Sanktionen sind – alle diplomatischen Mittel vergessen – dann sind wir in einem Krieg.

Hollande hat das gestern gesagt, wir haben Krieg in der Ukraine. Das stimmt, aber wir wollen einen totalen Krieg mit Vorbedacht vermeiden.

Bayrischer Rundfunk: Nur muss man einmal kurz hier, also ich habe den Eindruck, Sanktionen ja, die sind da, die haben auch Wirkung im Land gezeigt. Die haben übrigens auch Wirkung beim Absender gezeigt, also Stichwort deutsche Wirtschaft, wenn sie mit denen diskutieren, kriegen sie einen ganz anderen, aber das ist in Österreich sicher nicht anders. Aber ich habe den Eindruck, sie haben zwar dem Land geschadet, aber sie haben noch zu keinem Umdenken, sozusagen des Adressaten, von Herrn Putin geführt. Wie sehen Sie das? Wie beurteilen Sie das Thema Sanktionen.

Sebastian Kurz: Also ich glaube, es war ganz entscheidend dass gleich zu Beginn der Krise in der Ukraine die Europäische Union klargestellt hat, dass es kein militärisches Einschreiten geben wird, weil das wäre eine fatale Entwicklung geworden.

Und auf der anderen Seite hat die Europäische Union aber klargestellt, dass auch nicht weggesehen wird, und hat politisch mit Sanktionen reagiert. Ich glaube, dass das durchaus ein legitimer Schritt war. Und darum haben wir, aber auch alle Staats- und Regierungschefs das ja stetig mitbeschlossen.

Auf der anderen Seite, und ich glaube, da treffen wir uns auch beide, sind die Sanktionen ja kein Selbstzweck, und sie alleine werden auch die Krise nicht lösen. Und insofern glaube ich, dass jeder neue Anlauf in Verhandlungen mit Russland zu treten, notwendig ist. Und meiner Meinung nach wäre es auch notwendig Diskussionen über die Wurzeln des Konfliktes zu beginnen.

Wir haben mit der eurasischen Zollunion und der Europäischen Union zwei Blöcke, die sich gegenüber stehen, nicht nur politisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich. Und Länder wie die Ukraine, aber auch Georgien und Moldau werden da in eine Zerreissprobe gedrängt.

Bayrischer Rundfunk: Aber darf ich das noch einmal fragen? [wird unterbrochen]

Sebastian Kurz: Ich sage nur den Satz fertig. Und ich glaube, wenn es uns nicht gelingt mit Russland, mit der eurasischen Zollunion einen modus vivendi zu finden, wenn es uns nicht gelingt eine Zusammenarbeit so möglich zu machen, dass diese Länder sich nicht zwischen der Europäischen Union oder der eurasischen Zollunion entscheiden müssen, sondern mit beiden zusammenarbeiten können, wenn uns das nicht gelingt, dann werden wir den Konflikt in der Ukraine nicht lösen können, und dann haben wir dieses Spannungsverhältnis nicht nur in der Ukraine, sondern auch in einigen anderen Ländern, die in dieser Zerreißprobe einfach die Leidtragenden sind.

Bayrischer Rundfunk: Aber man muss natürlich [wird unterbrochen]

Jean Asselborn: Darf ich einen Zwischensatz sagen? Ich komme aus Tallinn, wo die Benelux-Außenminister und die Außenminister der baltischen Länder zusammen waren. Was Sebastian gesagt hat, müssen wir uns auch einmal plastisch vorstellen. Die Debatte in der Europäischen Union unter den 28 war manchmal sehr, sehr hart. Denn die Einstellung der baltischen Länder und verschiedenen östlichen Länder gegenüber Russland, ist etwas anderes als unsere. Die sagen nicht dass wir schnell reagiert haben. Die sagen heute noch dass wir zu large waren, dass wir zu spät reagiert haben.

Bayrischer Rundfunk: Die sind ja auch nahe dran.

Jean Asselborn: Aber trotzdem haben wir alle auf einen Nenner gebracht bis jetzt. Und diese Einheit gegenüber den Sanktionen, gegenüber anderen Dispositionen, hat trotzdem auch europäische Stärke gezeigt.

Bayrischer Rundfunk: Haben eigentlich, Herr Kurz, die Europäer den richtigen Ton, und den richtigen Umgang mit Putin gepflegt? Haben sie eigentlich alles klug getan um ihn an manchen Stellen der Entwicklung nicht das Gesicht verlieren zu lassen?

Sebastian Kurz: Also ich glaube im Nachhinein ist es immer leicht der Europäischen Union die Schuld zu geben, das wird in anderen Bereichen getan, also kann man es bei der Ukraine ja auch gleich machen. Ich glaube, also zumindest für mich, aber wahrscheinlich auch für die meisten anderen, waren viele der Schritte ja nicht absehbar. Wir haben, glaube ich, alle nicht damit gerechnet, dass der Präsident der Ukraine, Janukowitsch, damals das Asozierungsabkommen nach jahrelangen Verhandlungen nicht unterschreibt. Wir haben nicht damit gerechnet, dass danach die Maidan-Bewegung so stark ist, dass er das Land verlassen muss. Wir haben nicht damit gerechnet, dass Russland danach die Anektion der Krim durchführt, und dann sogar noch im Osten der Ukraine Separatisten unterstützt. Das heisst, ich glaube vieles war nicht vorhersehbar.

Ich halte es für absolut richtig dass die Europäische Union sich zuständig fühlt, und hier auch nicht wegsieht. Aber wenn Sie mich fragen, sollte es ein brutaleres Auftreten geben, oder einen noch schärferen Ton gegenüber Russland? Dann würde ich sagen, ich glaube nein, denn am Ende des Tages wird es eine Lösung nur mit Russland, und nicht gegen Russland geben können.

Und wenn wir es nicht schaffen das Blockdenken zwischen eurasischer Zollunion und Europäischer Union aufzulösen, dann wird die Ukraine, genauso wie einige andere Länder, stets in diesem Spannungsfeld bleiben, und darunter leiden.

Bayrischer Rundfunk: Herr Asselborn, Sie sind ja genau so wie Herr Kurz auch Realpolitiker. Sie leben ja nicht irgendwo in Ihrem Aussenamt abgeschottet von der Welt. Sie wissen, ich habe es vorhin angesprochen, was die Wirtschaft sagt, was die Wirtschaftsführer sagen. Die sagen, also wir akzeptieren, es gibt einen Primat der Politik, die haben das so entschieden, wir folgen dem, wir halten uns daran, aber Freunde, passt auf das kann nicht über einen längeren, und noch längeren, und immer wieder längeren Zeitraum geschehen. Wie sehen Sie das realpolitisch?

Jean Asselborn: Ihre Frage ist die richtige Frage. Wie gehen wir mit Putin um, denn Putin ist die Figur, die selbstverständlich in der Mitte steht?

Wir haben als Luxemburg jetzt im zweiten Semester die Präsidentschaft der Europäischen Union. Vor 10 Jahren hatten wir sie. Damals war ich mit unserem Premierminister einen ganzen Tag im Kreml. Und da, 2005, hat Präsident Putin wiederholt was Sie kennen: die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts ist der Zusammenbruch der Sowjetunion. Und hier hat man diese ganze Angst oder den Frust gesehen, wie dieser Mensch eigentlich jetzt versucht mit Mitteln die vielleicht einer geleiteten Demokratie eher näherkommen als einer, sagen wir einmal, liberalen Demokratie – wenn eine Demokratie ein Adjektiv braucht. Das verstehen wir.

Aber wir dürfen als Europäer die predigen dass die Rechtsstaatlichkeit, dass die Menschenwürde, dass die Menschenrechte überall auf der Welt respektiert werden, und auch das internationale Recht, da stimme ich dir ein, Sebastian. Aber wir können keine Abstriche machen von der Verteidigung der Prinzipien des internationalen Rechts.

Wenn das Recht des Stärkeren überwiegt, wie das was geschehen ist auf der Krim, dann glaube ich, können wir die Bude zumachen, dann haben wir, als Europäer die Essenz verloren, und unsere Daseinsberechtigung verloren.

Aber ich bin trotzdem einverstanden, dass eine Lösung nur mit Russland gefunden werden kann. Und wenn ich das sage, ist es nicht gegen Russland. Wenn ich sage gegen Russland, dann heisst das was es heisst, heute wo wir hier sitzen.

Ich hoffe dass das in einem Jahr Geschichte ist, und dass wir wieder das tun können was wir ja zwischen 2009 und 2012 mit Russland getan haben. Wir haben sehr viel zusammen aufgebaut. Die Iran Frage, die Afghanistan Frage: wir haben sehr viel Gemeinsames gemacht.

Und wir hier in Europa, die den Kontinent zu teilen haben mit Russland, wir haben natürlich eine andere – oder wir müssen eine andere Sichtweise haben – als zum Beispiel andere die auf einem anderen Kontinent leben.

Bayrischer Rundfunk: Nun sind ja, Herr Kurz, eigentlich für Putin jetzt bessere Zeiten angebrochen. Er kann eigentlich jetzt wieder mehr darauf bauen, dass Europa nicht mit einer Zunge spricht. Also Stichwort Griechenland, das Ergebnis wird ihm durchaus nicht unangenehm gewesen sein, Stichwort Ungarn. Also diese Athener Koalition ist schon etwas was er sicherlich nicht mit unangenehmen Gefühlen begleiten wird, oder?

Sebastian Kurz: Naja also ich glaube Griechenland wird uns noch viel mehr Sorgen in anderen Bereichen machen.

Was die Aussenpolitik betrifft, der griechische Aussenminister, der neue, war bei der letzten Sitzung dabei, hat alle Beschlüsse mitgetragen, auch die Listung, oder das Vorhaben der Listung zusätzlicher Personen, beziehungsweise die Verlängerung der Listung von schon gelisteten Personen. Also insofern würde ich das nicht überinterpretieren.

Nur einen Satz, weil Sie vorher die Wirtschaft angesprochen haben. Ich glaube die Wirtschaft leidet zurecht, und insofern verstehe ich auch die Klagen der Wirtschaft. Nur ähnlich wie in Deutschland, ist es ja in Österreich auch so, dass die Wirtschaft ja nicht vor allem auf Grund der Sanktionen, oder der Gegensanktionen leidet, sondern die Wirtschaft in Russland ist zusammengebrochen. Der Rubel ist so eingebrochen, dass natürlich jegliche Form von Urlauben im Ausland, in Deutschland oder in Österreich, wesentlich kostspieliger sind für die Russen, und dass sämtliche Exporte aus Österreich oder aus Deutschland nach Russland auch wesentlich kostspieliger sind für Russland. Und das macht unserer Wirtschaft wesentlich mehr zu schaffen. Und das glaube ich ist der Hauptgrund für die Probleme, die wir wirtschaftlicher Natur haben.

Ich würde da nicht zu viel in die Sanktionen hineininterpretieren, die haben die Wirtschaftskrise in Russland alleine nicht ausgelöst.

Bayrischer Rundfunk: Damit sind wir, Herr Asselborn, natürlich schon mittendrin, beim Thema, beim aktuellen Thema Griechenland. Die neue griechische Regierung stellt sich eindeutig, auch wenn es jetzt langsame differenzierende Schritte gibt, aber stellt sich gegen Europa. Ich weiss, dass die Europäer darüber besorgt sind. Auch wenn sie es öffentlich nicht so sagen können, wie sie es hinter verschlossenen Türen sage, aber trotzdem. Besorgt ist der alte Europäer Asselborn über diese Entwicklung.

Jean Asselborn: Also wir müssen aufpassen mit Europa. Es ist ja die Eurozone. Es sind die die nicht in der Eurozone sind. Da müssen wir schon einen kleinen Unterschied machen, auch  mit Griechenland. Der alte Europäer mehr als der österreichische Kollege, macht sich Vorwürfe, ich sage das ganz klar. Weil wir in Griechenland trotzdem auch aus europäescher Sicht das gemacht haben wobei das Resultat ist dass Menschen die eine Rente haben, Menschen die den Mindestohn haben, Menschen die staatliche Zuwendung bekommen müssen, dass die gestraft wurden, manchmal bis zu einem Drittel ihres Einkommens. Und die Oligarchie – die die Schiffe auf dem Meer haben – da haben wir die Augen zugedrückt, da ist nichts geschehen. Und darum sind ja auch die 2 Partein abgestraft worden. Das ist das Eine. Das Andere ist – bei allem Respekt vor den griechischen Wahlen – ich glaube wir sind in Europa, in der Eurozone, trotzdem auf einer Linie wo man, wenn man weiss man hat das Geld was auch 18 andere Staaten haben, dass es verchiedene Regeln gibt die einzuhalten sind. Ich bin nicht sicher, ob man in der Kantine der europäischen Zentralbank ganz locker mit revolutionären, philosophischen Gedankenzügen es wirklich fertig bringt jetzt das Problem in den Griff zu bekommen. Darum wünsche ich mir eigentlich dass nach dieser Woche, Griechenland zeigen muss, dass das Volk eine andere Regierung gewählt hat, dass man zurück kommt und schaut zum Beispill was gestern Draghi und die europäische Zentralbank gemacht haben, wie weh das den Griechen tun kann und dass wir die Solidarität die wir brauchen – die Solidarität die Griechenland braucht – dass wir die aber trotzdem rationell definieren und schauen wie wir helfen können.

Bayrischer Rundfunk: Herr Kurz, das was Herr Asselborn sagt, unterstreichen wir ja. Das ist ja richtig.

Sebastian Kurz: Nicht alles.

Bayrischer Rundfunk:  Aber, trotzdem, die Wahrheit ist auch, diese neue Regierung hat gesagt, wir wollen diesen Reformkurs nicht mehr fortführen, natürlich. Alles hat soziale Begründungen wie Sie es gesagt haben. Aber das hängt natürlich alles mit allem zusammen. Und der Reformkurs ist die Voraussetzung für die Geldgabe.

Sebastian Kurz: Ja, einen Satz würde ich schon gerne dazu sagen, der aus meiner Sicht entscheidend ist. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das haben hier viele europäische Länder, sehr viel Geld in die Hand genommen. Deutschland im Übrigen am meisten, um Griechenland in einer schwierigen Phase zu unterstützen. Meiner Meinung nach durchaus ein begründbarer Schritt, aber es können sich Geldgeber und Unterstützer natürlich erwarten, dass Rahmenbedingungen die vereinbart worden sind auch eingehalten werden. Und ich glaube es sind viele erschrocken als nach den Wahlen die Wahlkampfrhetorik nicht beendet worden ist und aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass ein Land die Unterstützung der Europäischen Union genießt aber gleichzeitig Reformen einstellt und sich zu Reformschritten nicht mehr bekennt, die vorher ausgemacht und vereinbart worden sind.

Jean Asselborn: Ich muss einen Satz dazu sagen. Ich glaube nicht, dass die Reformschritte in dem letzten Jahr der vorherigen Regierung wirklich gemacht wurden. In den vorherigen Regierungen in Griechenland wurden die Menschen, die abhängig sind vom Staat getroffen. Die, die Steuern zu bezahlen haben, wurden nicht getroffen. Und ich glaube das ist was in Griechenland den Sieg von Syriza ausgemacht hat und wir dürfen, Sebastian, nicht jetzt sagen, ja Verpflichtung ist Verpflichtung. Sie müssen ihre Verpflichtungen einhalten. Ich glaube damit müssen wir aufpassen was das Echo sein könnte in anderen Ländern.

Sebastian Kurz: Aber, ich glaube dass natürlich ein Nationalstaat eine ordentliche Freiheit haben muss in welchem Bereich er Reformen setzt. Er braucht eine ordentliche Freiheit auch darin wo er spart, wie das Steuersystem ausschauen soll. Aber bis jetzt hören wir von griechischer Seite ausschließlich Vorschläge die mehr Geld kosten. Und das halte ich doch für sehr mutig von einem Land das eins nicht hat, nämlich Geld. Und insofern volle Berechtigung, dass Griechenland ein eigenes Steuersystem definiert, volle Berechtigung, dass Griechenland entscheidet in welchen Bereichen es Reformschritte gehen möchte aber nur mehr Geld zu fordern und gleichzeitig das zurück zu nehmen was vereinbart worden ist und obendrauf dann noch die Troika beenden zu wollen und somit jegliche Kontrolle zu beenden das ist doch für den Partner, vor allem für den bezahlenden Partner nicht tragbar.

Jean Asselborn: Ich weiß dass Sebastian das nicht so sieht. Aber ich würde aufpassen, dass wenn wir sagen es geht besser in Portugal, es geht besser in Spanien. Wir haben trotzdem noch in Spanien, in manchen Gegenden 40% Arbeitslosigkeit und wenn wir da die Augen zumachen und sagen die Griechen müssen sich verpflichten das zu tun was sie zu tun haben. Dieser Satz ist ok, aber es muss ein Satz daher kommen wo eingesehen wird, dass die Menschen von jetzt an wieder Hoffnung haben, dass die Europäische Union eine Solidarität zeigen kann die nicht eine Solidarität mit der Peitsche ist. Auch in Deutschland, wenn ich das sagen darf: ohne Euro wären nicht so viele Audis, Mercedes und VW verkauft worden. Und darum glaube ich Deutschland hat sehr viel bekommen durch den Euro.

Sebastian Kurz: Nur noch einen Satz dazu. Der Wunsch den wir teilen ist mehr Wachstum in Europa. Nur gibt’s ja Gott sei Dank Beispiele die zeigen, dass Reform und Wachstum nicht im Widderspruch stehen. Irland zum Beispiel im letzten Jahr einen Wirtschaftswachstum von über 4%. Ich glaube, dass es gefährlich ist wenn wir gemeinsame Regeln die ausgemacht sind und die für Stabilität in unserer Europäischen Union zeugen sollen, aufgeben, beziehungsweise Ausnahmeregelungen einführen nur weil einer am lautesten schreit. Ich glaube dass das die Einladung für andere Länder ist sich genau so nicht mehr zu gemeinsam vereinbarten Richtlinien und Reformzielen zu bekennen und es ist vor allem auch die Einladung an die Wähler rechts und linkspopulistische Parteien zu unterstützen die das blaue vom Himmel versprechen und allein deshalb glaube ich sollte wir sehr vorsichtig sein.

Jean Asselborn: Du hast Recht. Aber wenn wir keine andere Antwort wissen, wie nur auf der Linie bleiben, Sebastian, ich sage dir, dann sind die klassischen Parteien auch in Spanien und vielleicht dann in ganz anderen Ländern auch, die kommen unter sehr starken Druck. Darum glaube ich wir müssen die Solidarität neu definieren. Wir müssen Wege finden, dass wir den Menschen, wo ein Reformprogramm ist, nicht noch tiefer in den Boden ziehen, sondern heraus ziehen.

Bayrischer Rundfunk: Ist klar, aber jetzt sage ich Ihnen Herr Asselborn und Herr Kurz was die Menschen in Kürze sagen werden, nach dem 28. Februar oder auch in den Monaten danach. Die werden sagen, schau mal, die Europäer haben wieder Zeit gekauft. Schau mal die Griechen haben wieder Zeit gekauft, es werden Kredite verlängert, es werden Zinsen gesenkt. Es wird vertagt bis auf den Sankt Nimmerleinstag, eine Lösung ist das nicht. Eines Tages wird das Geld weg sein und wir werden alle bezahlen. Wir nennen das dann alle nicht mehr Schuldenschnitt oder Schuldenerlass, sondern das ist das Salamistückchen was dann Stück für Stück kommt. Aber das ist im Grunde ein Befund mit dem müssen Sie dann als verantwortliche Minister auch umgehen wenn Sie wiedergewählt werden wollen.

Sebastian Kurz: Drum darf die Europäische Union ja hier auch nicht einknicken.

Bayrischer Rundfunk: Aber ein anderes Thema. Es geht ja eigentlich nur mehr zum Teil um sparen oder nicht sparen. Da kann man mit guten Argumenten streiten. Die einen so, die anderen so. Es geht doch eigentlich darum, dass dieses Wahlergebnis in Griechenland uns eigentlich gezeigt hat wie an dem linken Rand und wie an dem rechten Rand sich plötzlich ganz neue starke Kräfte bilden. Und das muss Ihnen doch Sorgen machen, oder?

Sebastian Kurz: Ja natürlich und insofern glaube ich….

Bayrischer Rundfunk: Was wollen Sie dagegen setzen in Ihrer Politik?

Bayrischer Rundfunk: In Griechenland ja.

Sebastian Kurz: Also was man dagegen setzen kann ist nur eine vernünftige Politik und auch ein klares Aufzeigen von Grenzen. Wenn die Europäische Union Griechenland nachgibt bei all seinen Forderungen. Dann ist das die Einladung die zu wählen die sich nicht solidarisch verhalten wollen und es ist die Einladung die zu wählen die am lautesten schreien und allein deshalb halte ich es für absolut notwendig hier nicht einzuknicken und als Europäische Union auch wenns mal unangenehm wird weiterhin dafür zu stehen wofür wir eigentlich diese Gemeinschaft gebildet haben. Auch in der gemeinsamen Außenpolitik. Natürlich kann jedes Land in jeder Sitzung mit einer Veto-Drohung einsteigen. Aber es wird dann nicht mehr funktionieren. Ich glaube es ist entscheidend, dass man in der Europäischen Union für das kämpft was man vertritt. Dass man sich für die eigene Meinung einsetzt aber natürlich am Ende des Tages stets den Willen zum Kompromiss hat und wenn es jetzt Politiker gibt die hier mit einer anderen Herangehensweise starten, dann glaube ich muss die Gemeinschaft zeigen, dass das nicht im Geist der Europäischen Union ist.

Jean Asselborn: Ich komme ja aus einem Land wo man auch französische Kultur vehikuliert und auch die Angst, die Sebastian haben kann, die in Griechenland geschehen ist. Wir sind in Frankreich nicht weit weg bei Le Pen mit 30%. Was ist das Futter mit dem Le Pen lebt? Das ist "schmeiß die Ausländer raus dann ist die Arbeitslosigkeit besiegt. Geht aus dem Euro raus dann ist die ökonomische Krise besiegt." Das ist das Fundament auf dem der Front national mit den xenophobischen Auseinandersetzungen lebt und nach dem 11. Januar geht das nicht in eine Richtung sondern das bleibt stabil. Wenn wir sehen auch wie in verschiedenen nordischen Ländern der Nationalismus Fuß fasst. Wenn wir sehen was in Holland ist, leider wo jetzt die stärkste Partei wieder die Partei ist die keiner will.

Bayrischer Rundfunk: Wenn Sie das sehen, dann ist was notwendig?

Jean Asselborn: Ja, dann ist das notwendig. Da, Sebastian glaube ich, sind wir ein wenig auseinander. Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur sagen können „die Regeln, die Regeln, die Regeln“. Dann müssen wir die Regeln ändern. Denn wenn wir diese Regeln beibehalten und wir sehen dass die Arbeitslosigkeit noch größer wird mit europäischen Programmen – das ist ja das Problem was in Griechenland gesehen wurde – dann funktioniert das nicht. Es sind ja auch Leute wie Stiglitz und andere die sagen ihr müsst weg kommen, ihr müsst mehr Kraft, mehr Einsatz für das Wachstum zeigen. Und dann kommt das Problem Wachstum. Die Deutschen sagen ohne Reformen kein Wachstum. Die Franzosen sagen, wenn wir kein Wachstum haben, bringen wir keine Reformen fertig. Das ist eben das Genie der Europäischen Union, dass wir Wege finden müssen zwischen diesen Thesen. Denn sonst glaube ich, dass das was die Menschen als Menschen, nicht jetzt als Regierung von der Europäischen Union erwarten – dass sie aus dem Loch geholfen bekommen, wenn es ihnen schlecht geht, sondern und nicht dass sie nicht noch mehr hinein gesteckt werden – dann geht das verloren und dann ist der Sinn der Europäischen Union verloren. Das ist ein wichtiger Punkt.

Bayrischer Rundfunk: Herr Kurz, folgen Sie dem Merkel-Weg?

Sebastian Kurz: Natürlich unterstützen wir den Weg. Weil ich glaube dass ein nach unten nivellieren in der Europäischen Union uns nicht weiter führt. Und wann ist Wachstum möglich wenn man eine kompetitive Wirtschaft hat und was ist das Problem der Griechen, ja in erster Linie, dass sie diese Wirtschaftsstruktur nicht haben und die müssen aufgebaut werden und was die rechts- und linkspopulistischen Parteien betrifft, ich glaube natürlich kann man sich jetzt drüber wundern warum Le Pen oder in Österreich eine FPÖ so stark sind, aber wir müssen ja auch ehrlich sein zum Beispiel was das Thema Integration betrifft, da haben klassische Regierungsparteien, auch in Österreich, eben viel zu lange weg gesehen. Wir haben in Österreich jahrzehntelang Zuwanderung gehabt, haben mittlerweile rund 20% Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich und trotzdem war es bis vor Jahren nicht möglich zuzugeben, dass Österreich ein Zuwanderungsland ist und man hat gleichzeitig auch im Integrationsbereich so gut wie nichts unternommen um Integration, Spracherwerb möglich zu machen. Und wenn die Politik glaubt so tun zu können als gäbe es keine Probleme in dem Bereich, dann darf man sich nicht wundern wenn rechtspopulistische Parteien stärker werden. Denn wenn man die Probleme und Fehlentwicklungen angreift….

Bayrischer Rundfunk:  Können wir noch ganz kurz auf ein Thema kommen was sozusagen ein weiteres Szenario, Krisenszenario, Bedrohungsszenario ist, das ist im Grunde die Bedrohung durch den IS, den sogenannten islamischen Staat. Herr Asselborn Sie haben im August 2014 gesagt, der islamische Staat wird sich nicht nur auf den Irak oder Teile von Syrien beschränken, das kann ganz schnell überschwappen nach Europa. Das ist leider schneller eingetreten als erwartet. Herr Kurz Sie waren glaube ich, vor wenigen Tagen im Irak. Was haben Sie dort erlebt?

Sebastian Kurz: Ja, leider Gottes und das war das dramatischste, unfassbares Leid. Wir haben 2 Flüchtlingslager besucht wo soweit man sehen kann, kleine Zelte sind, wo auf 6 Quadratmetern siebenköpfige Familien zusammen leben. Wir haben in der Region mittlerweile 10 Millionen Menschen die auf der Flucht sind. 20 Millionen Menschen die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, also es ist unfassbar was diese IS-Terroristen ausgelöst haben und an Leid verursacht haben. Wir haben Gott sei Dank Luftangriffe aber auch und andere die sich entschlossen den IS-Terroristen in den Weg stellen und auch durchaus den einen oder anderen Erfolg in den letzten Monaten erzielen konnten und das dramatischste aus meiner Sicht ist aber dass es zusätzlich zu den IS-Terroristen vor Ort auch noch über 5.000 Menschen aus Europa gibt die sich diesen Terroristen angeschlossen haben. Allein aus Österreich rund 170 Personen die in den Kampfeinsatz in den Irak und nach Syrien gezogen sind. Und das glaube ich ist neben der außenpolitischen Aufgabe die wir haben, auch unsere Pflicht in Europa. Wir müssen besser werden in der sicherheitspolizeilichen Kooperation und in den Maßnahmen gegen diese Terroristen und wir müssen im Präventionsbereich mehr tun, dass sich nicht noch mehr junge Menschen von diesen Terroristen lassen.

Bayrischer Rundfunk: Das ist der Punkt Herr Asselborn wo, fragt der Journalist natürlich wieder, wo bleibt die gemeinsame, Sie haben es angesprochen, europäische Sicherheitspolitik? Wo bleibt die gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik. Ich sage es noch einmal, ich sage es nicht als Vorwurf. Sie sind inzwischen ja Feuerwehrleute die getrieben sind und ständig nur Brände in dieser Welt löschen.

Jean Asselborn: Ich weiche den Fragen nicht gerne aus.

Bayrischer Rundfunk: Doch.

Jean Asselborn: Aber ich sage Ihnen, nur eins. Dieses Phänomen IS wird nicht von Europa gelöst werden. Das Phänomen IS wird gelöst werden wenn alle arabischen Länder sagen dass Allah nicht da ist und ihnen beibringt, dass man mit der Kalaschnikow im Namen Allahs soll die Menschen umbringen. Das ist das erste. Und wir haben da große Fortschritte gesehen. Wir haben gesehen, dass die arabische Liga sich dagegen stellt. Wir sehen auch, dass Saudi-Arabien sich bewegt, dass auch Katar in die richtige Richtung sich bewegt. Ich hoffe auch, dass die Türkei wirklich mithilft. Das ist das wo wir als Europäer auch müssen, nicht Professor spielen, aber wirklich sie stützen und sie ermutigen auf diesem Weg zu gehen. Die Flüchtlingsproblematik. Ich war in Addis Abeba auf der Afrikanischen Union vor einer Woche. Wenn sie sehen wie die Menschen in Äthiopien – und das ist ja nicht das allerärmste Land – zu leben haben, wenn sie wissen was im Sahel alles, in Zentralafrika, in Mali und so weiter los ist, dass diese Menschen da keinen anderen Ausweg wissen wie sich in die Hände von Schlepperbanden zu begeben und nach Norden zu kommen, nach Europa zu kommen. Wir müssen im Jahr 2015, als Europäische Union die Milleniumgunst ernst nehmen. Denn wenn wir die nicht Ernst nehmen und Geld weg nehmen von der Kooperationshilfe machen wir einen schweren, schweren Fehler.

Bayrischer Rundfunk: Zum Schluss eine Frage an sie beide. Wann brauchen wir sie beide eigentlich nicht mehr? Weil es einen europäischen Außenminister gibt?

Jean Asselborn: In einer Minute.

Sebastian Kurz: Ich hoffe, auch wenn es eine gemeinsame europäische Außenpolitik gibt, Länder trotzdem noch Werte und Interessen zu vertreten haben und das ist meiner Meinung nach die Hauptaufgabe eines Außenministers.

Jean Asselborn: Also wenn wir nicht in München jetzt wären, wären die Hotelpreise viel billiger, das sage ich Ihnen. Aber im Ernst. Die Sicherheitskonferenz ist trotzdem etwas wo wir uns sehen, wo viele Menschen zusammen kommen, wo wir über das Leid in der Welt reden können oder wie Joschka Fischer einmal gesagt hat: "Wir stehen am Hochofen der Außenpolitik und wir müssen versuchen wirklich das fertig zu bringen, dass dieser Hochofen nicht explodiert". Wir haben Arbeit, wir haben Arbeit.

Bayrischer Rundfunk: Ok, ich bedanke mich bei Ihnen beiden für dieses offene Gespräch am Vorabend dieser 51. Münchner Sicherheitskonferenz.

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