Jean Asselborn im Interview mit SWR2 zum Thema Terrorismus und Russland.

"Die Pressefreiheit muss auch einen freien Umgang mit Religion, mit Kirchen beinhalten."

Interview: SRW2 (Rudolf Geissler)

Rudolf Geissler: Bei welchem der beiden Themen rechnen Sie denn am ehesten mit Beschlüssen heute: Eher bei der Frage, wie geht es weiter mit den Sanktionen gegen Russland, oder eher beim Thema Konsequenzen aus dem islamistischen Terror?

Jean Asselborn: Also Herr Geissler, wir werden heute keine Beschlüsse vornehmen. Wir werden die zwei wichtigen Punkte vorbereiten, die Sie jetzt eben genannt haben, Terrorismus und Russland.

Rudolf Geissler: Bei uns in Deutschland steht die Debatte über den Islamismus ähnlich inzwischen im Vordergrund wie in Belgien auch, in dessen Hauptstadt Sie sich zurzeit befinden. Besonders bei uns hier nach dem Demonstrationsverbot für heute in Dresden. Inwieweit stellt sich denn jetzt auch in Brüssel die Frage, ob man die Meinungs- und Pressefreiheit stärken muss, über die EU hinweg?

Jean Asselborn: Lassen Sie mich vielleicht zuerst sagen, solange die Lage wie zum Beispiel in Syrien, Libyen, im Irak, im Sahel, in Nigeria ist, wie sie ist, wird der Terrorismus, der Extremismus, Europa nicht umgehen. Und wir werden heute zuerst noch einmal unsere Kooperation in Sachen Sicherheit mit dem Nahen Osten unterstreichen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga ist bei uns. Wir werden die Strategie gegen Foreign Fighters auf die Schiene setzen. Und selbstverständlich drittens - und das ist, was die Prävention angeht, sehr, sehr wichtig - dass wir einen Anstoß geben, dass die Sicherheitsdienste in Europa und auch zum Beispiel mit der Türkei enger und effizienter zusammenarbeiten.

Rudolf Geissler: Der italienische Ministerpräsident Renzi hat diese Tage eine andere Idee der Prävention wiederbelebt, die nicht ganz neu ist – dass nämlich die EU einen eigenen Geheimdienst aufbaut, der dann auch die Dschihadistenszene ausforschen könnte. Was halten Sie von dieser Idee?

Jean Asselborn: Ich glaube, wenn ich sage, dass man eine effizientere Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste gewährleisten muss, dann sollen wir zuerst mal diesen Schritt machen. Das ist nicht unmöglich. Es gibt schwere Fehler, die gemacht wurden, weil verschiedene Dienste - auch in der Europäischen Union - nicht so intensiv zusammenarbeiten, aber ich habe auch gesagt, zum Beispiel mit einem wichtigen Land wie der Türkei. Und wir sollten, glaube ich, zuerst diesen Schritt wagen.

Rudolf Geissler: Es gibt ja bisher große Widerstände gegen diese Idee eines EU-Geheimdienstes, Widerstände dagegen, das auszubauen. Denken Sie, dass die Widerstände in den Mitgliedsstaaten geringer geworden sind?

Jean Asselborn: Also ich glaube, dass der Ernst der Lage uns aufzwingt – wir sind ja eine politische Union, die auch für die Sicherheit der Bürger da ist – dass wir hier Fortschritte machen werden.

Rudolf Geissler: Lettland hat zurzeit die Ratspräsidentschaft in der EU und in dieser Eigenschaft jetzt vorgeschlagen, auch Russland verstärkt einzubeziehen in den gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen Terror. Grundsätzlich hat Russland das Islamistenproblem ja auch, im Kaukasus, nur, und da sind wir beim zweiten Thema Ihrer Runde heute, Russland leidet momentan mehr unter den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine als unter Terror. Ist da eine Zusammenarbeit ohne Abstriche an den Sanktionen überhaupt denkbar?

Jean Asselborn: Entschuldigen Sie, dass ich einen Moment auf die erste Frage zurückkomme. Ganz kurz – ich glaube, wesentlich sind zwei Sachen noch beim Terrorismus. Das Erste ist, ich weiß, dass Sie in Deutschland diese Bewegung Pegida haben, aber man muss sagen, dass wir im Kampf sind gegen den Terror, das stimmt, aber nicht in einem Glaubens- oder in einem Religionskrieg. Und alles, was Angst macht, was Islamophobie produziert, was abstößt, was stigmatisiert, das ist genau Wasser auf die Mühlen der Barbaren, die unsere Gesellschaftsordnung zerstören wollen. Das müssen wir verhindern. Und das Zweite ist Pressefreiheit. Es ist, und das werden wir heute auch beleuchten, ein sehr hartes Stück Arbeit im Dialog mit den Ländern des Islams. Die Pressefreiheit muss auch einen freien Umgang mit Religion, mit Kirchen beinhalten, denn, eine Einschränkung hieße sich einzuschränken in der Freiheit zu glauben, anders zu glauben, nicht zu glauben oder schlichtweg auch wirklich frei zu denken. Und hier darf man keine Konzessionen machen. Die islamische Welt sieht das mehrheitlich anders. Aber ich glaube auch das Titelbild von Charlie Hebdo ist doch beschwichtigend, und es verdient eigentlich nicht, dass französische Flaggen verbrannt werden. - Was jetzt Russland angeht, vielleicht ein Wort nur, also mit Russland und der Ukraine ist es ein wenig wie im Nahen Osten: Es gibt Vorwärtsbewegungen und es gibt Rückschläge. Ich glaube, dass jeder einverstanden ist, dass wir, was die Sanktionen angeht, was die Krim betrifft, hier keinen Bewegungsraum haben. Aber ideal wäre ja, und das hoffe ich auch, dass es so geschehen kann, dass wir im März in der Lage sind, die Sanktionen zu stoppen und die Sanktionen nicht zu verlängern. Die Sanktionen sind ja nicht da, um Russland zu schwächen, sondern die Sanktionen sind da, um Druck zu machen, dass das Minsker Abkommen umgesetzt wird.

Rudolf Geissler: Voraussetzung für die Lockerung der Sanktionen wären dann aber Fortschritte in der Ostukraine, oder ist es nicht an Bedingungen gekoppelt, aus Ihrer Sicht? 

Jean Asselborn: Doch, die Bedingung ist, dass man sich hinbewegt auf ein Zustandekommen und ein Implementieren, also eine Umsetzung des Geistes von dem Minsker Abkommen: ein Waffenstillstand, der direkt eingeführt wird, und dann der politische Dialog angeführt werden kann. Wissen Sie, es ist ja auch so, dass wir Europäer mit Russland diesen Kontinent zu teilen haben und mit einigen Ländern, die zwischen Russland und der Europäischen Union liegen. Und das, glaube ich, soll man auch friedlich fertigbringen. Moskau wird in der Debatte heute nicht aus der Verantwortung zu nehmen sein, aber wir müssen zeigen, dass wir den Dialog suchen, dass wir Russland nicht destabilisieren wollen, dass Russland unser großer Nachbar ist, mit dem wir auch einen politischen Dialog, zum Beispiel Klimawandel, Energie, Eurasiatische Union aufnehmen wollen.

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