Bilanz von Étienne Schneider zur Regierungsarbeit der vergangenen 12 Monate

"Wir müssen da durch"

Interview: Joëlle Merges

Luxemburger Wort: Herr Minister, welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr Blau -Rot -Grün?

Étienne Schneider: Zwischenmenschlich und auf Parteiebene läuft es innerhalb des Regierungsbündnisses ausgezeichnet. Unsere Beziehungen sind von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet, wir gehen partnerschaftlich miteinander um. Ganz ehrlich: Ich könnte mir vorstellen, mit jedem meiner Regierungskollegen den Urlaub zu verbringen. Derart freundschaftliche Beziehungen gab es in der vorherigen Regierung nicht. Der kalte Wind, der uns ins Gesicht weht, schweißt uns noch enger zusammen. Was die inhaltliche Bilanz angeht: Unser Ziel ist es, Reformen in die Wege zu leiten, um das Land zu modernisieren, und das tun wir auch. Manche werfen uns eine leere Bilanz vor. Ich verweise auf den Haushalt der neuen Generation, auf die Veröffentlichung der sektoriellen Leitpläne, auf die Indexregelung oder die Neuerungen bei der Polizei, um nur einige Vorhaben aus meinen Zuständigkeitsbereichen zu nennen. Selbst wenn man uns schlecht gesonnen ist, und ich meine das nicht sarkastisch: Die zahlreichen, und zum Teil heftigen Reaktionen von vielen Seiten beweisen zumindest, dass wir handeln, anders als manche vorherige Regierungsmitglieder das taten. Wenn die Bürger ab dem nächsten 1. Januar feststellen, dass sie unter den Reformen nicht so sehr leiden, wird sich die Situation wieder beruhigen. Wir müssen jetzt da durch.

Luxemburger Wort: Hat Sie der Widerstand gegen die Reformpläne der Koalition überrascht?

Étienne Schneider: Die Umfragen beweisen, dass die Bürger sehr wohl zu Reformen bereit sind - aber nicht bei sich selbst. In diesem Land hat sich ein korporatistisches Denken eingebürgert; wir wollen nicht nur bleiben, was wir sind, wir wollen auch bewahren, was wir haben. Das geht aber leider nur, indem wir uns verändern. Die Regierung könnte sich zurücklehnen und so weiter machen wie bisher, also die öffentlichen Finanzen aus dem Ruder laufenlassen. Damit wären die Probleme nicht gelöst, aber jeder wäre zufrieden. Und wir wären uns sicher, dass wir wiedergewählt würden. Uns bleiben jetzt noch vier Jahre, um unsere Reformvorhaben durchzuführen. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, dann leben wir am Ende der Legislaturperiode in einem moderneren, dynamischeren und wirksameren Land, als es derzeit der Fall ist.

Luxemburger Wort: Sind das jetzt die Satzbausteine, die Sie für den Fall einer Wahlniederlage einüben?

Étienne Schneider: Nein. Ich war und werde nie abhängig von der Politik sein. Ich kann mir zu jeder Zeit vorstellen, etwas anderes zu machen. Das trifft auch auf meine Kabinettskollegen zu. Den Typus des Berufspolitikers, der auf seine politische Karriere angewiesen ist um zu überleben, gibt es zumindest in dieser Regierung nicht mehr.

Luxemburger Wort: Die Meinungsumfragen können Sie nicht kalt lassen.

Étienne Schneider: Die Umfragen enttäuschen mich schon, sie sind aber - wie ich bereits erwähnte - der Beweis dafür, dass die Bürger Reformen eigentlich befürworten. Nun macht diese Regierung damit aber Ernst, und dann ist es vielen auch wieder nicht recht - vielleicht weil die Menschen das spätere Gesamtbild nicht sehen, das uns vorschwebt.

Luxemburger Wort: Vielleicht müssen Sie es besser erklären.

Étienne Schneider: Das ist gut möglich, ich gebe zu, dass die Kommunikationspolitik verbesserungsfähig ist. Aber diese Regierung hat mit schwierigeren Bedingungen zu kämpfen als ihre Vorgänger. Die vielen Indiskretionen machen den Job nicht gerade einfacher. Ein Kabinett, das nicht in Ruhe Ideen erörtern kann, ohne zu befürchten, dass dies gleich der Presse zugespielt wird, kann nicht ordentlich arbeiten. Genau so ist es, wenn die Presse eine Meldung in die Welt setzt, ohne deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, wie zum Beispiel die Meldung des TV6cran über angebliche Unzufriedenheit bei der Kriminalpolizei. Das gab es so vorher nicht. Wir verwenden viel Zeit und Energie damit, solche und andere Falschmeldungen zu korrigieren.

Luxemburger Wort: Befürchten Sie nicht, dass die schlechte Stimmung sich auf das konsultative Referendum im kommenden Jahr niederschlägt?

Étienne Schneider: Es wäre schade, das Referendum als Sanktionsinstrument gegen die Regierung Zu missbrauchen, zumal es nach langen Jahren ein erster Versuch der direkten Demokratie ist. Wie auch immer die Volksbefragung ausgeht - wir werden das Ergebnis respektieren. Es geht nicht um die Regierung, sondern um die Meinung des Volkes zu seiner Verfassung.

Luxemburger Wort: Vielleicht wäre das Regieren ja einfacher, wenn die Koalition ihre Sanierungsmaßnahmen im Dialog mit den Sozialpartnern ausgearbeitet hätte.

Étienne Schneider: Ich bin ja auch dafür, dass wir den Sozialdialog wieder pflegen. Wenn wir aber jede Einzelmaßnahme des Zukunftspakets mit jedem Berufsverband und jeder Interessenvereinigung hätten im Detail abstimmen müssen, dann wäre unter dem Strich von den 258 Einzelmaßnahmen zur Konsolidierung des Staatshaushalts keine übrig geblieben. Die Art und Weise, wie wir das Zukunftspaket geschnürt haben, war meiner Meinung nach vertretbar. Wir werden aber mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern ab nächstem Jahr einen regelmäßigen Dialog führen, der sich am europäischen Semester orientiert. Vor allen in Entscheidungsphasen, wie z. B. das Erstellen der nationalen Stabilitäts- und Reformprogramme, werden die Sozialpartner so mit einbezogen, um ihre Sicht über die Lage am Arbeitsmarkt oder die Wettbewerbsfähigkeit einfließen zu lassen. Bei der Ausarbeitung der Steuerreform sollen die Gewerkschaften aktiv mit eingebunden werden.

Luxemburger Wort: Wie will die Koalition die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Lage am Wohnungsmarkt entspannen?

Étienne Schneider: Im Wohnungsbau haben wir 10 000 Neubauten in Aussicht gestellt - das ist beachtlich. Beachtlich ist auch der Erfolg der Jugendgarantie. Darüber hinaus müssen wir die Bemühungen zur Diversifizierung des Wirtschaftsstandorts fortsetzen; Branchen wie die Bio- und Umwelttechnologie sowie der ICT-Sektor tragen ihre Früchte; schön wäre es, wenn die Arbeitsplätze mit Bewohnern aus dem Inland besetzt werden könnten. Deswegen spielt die Bildungspolitik eine wichtige Rolle; uns muss es gelingen, die jungen Leute in Branchen mit Wachstumspotenzial zu orientieren. Die Binnenbeschäftigung wächst Jahr für Jahr um zwei Prozent; jedoch gehen diese Jobs oft nicht an unsere Arbeitslosen, weil diesen häufig die Qualifikation fehlt. Diesen Menschen bietet u. a. der Logistiksektor eine Chance. Deswegen liegt mir diese Branche sehr am Herzen.

Luxemburger Wort:  Können Sie versprechen, dass diese Regierung es in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besser macht als ihre Vorgängerin?

Étienne Schneider: Ich verspreche zumindest, dass wir es mit allen Mitteln versuchen. Ob es uns gelingt, hängt auch von äußeren Umständen oder Faktoren ab, die wir nicht im Griff haben nehmen Sie die Luxleaks-Enthüllungen, die mit Sicherheit wirtschaftliche Konsequenzen für das Großherzogtum haben werden.

Luxemburger Wort: Stichwort Luxleaks, Stichwort Ende des Bankgeheimnisses: Wie soll das Geschäftsmodell Luxemburg in Zukunft aussehen?

Étienne Schneider: Zunächst einmal hat beides nichts miteinander zu tun.

Luxemburger Wort: Aber es beweist, dass es in Zukunft immer schwieriger wird, Nischen zu besetzen.

Étienne Schneider: Der Begriff "Nische" ist für mich nicht negativ behaftet, wir werden an unserer Politik der Kompetenznischen auch in Zukunft festhalten; der Finanzplatz etwa im Bereich der Fondsindustrie, im Islamit Banking oder als Renminbi-Plattform. Und in der Wirtschaft werden wir die erwähnten Technologiesektoren weiterentwickeln. Der Standort Luxemburg verfügt über eine Reihe von Trümpfen, die im Anschluss an die Steuerharmonisierungsbemühungen auf internationaler Ebene noch stärker zum Tragen kommen werden. Dann werden die Unternehmen sich nämlich dort niederlassen, wo sie ausgezeichnete Infrastrukturen und gut ausgebildete mehrsprachige Mitarbeiter finden. Mir ist es um die Zukunft nicht bange.

Luxemburger Wort: Im Rückblick auf die vergangenen Monate: Hätten Sie etwas anders gemacht?

Étienne Schneider: Ich hätte einiges anders gemacht, aber nicht im Kern, sondern in der Herangehensweise.

Luxemburger Wort: Wie geht es Ihrer Partei?

Étienne Schneider: Es ist schon fast rührenswert, wie viele Menschen sich um meine Partei sorgen. Meiner Partei geht es wie den anderen beiden Regierungsparteien auch: Wir müssen besser kommunizieren, unsere Vorhaben besser erklären. Eine Partei, die außerhalb von Wahlperioden nicht den Mut für zwingend notwendige Reformen aufbringt, ist ohnehin sinnlos. Wir müssen jetzt eine Reihe von schwierigen Entscheidungen geschlossen durchstehen, in der Hoffnung und Überzeugung, dass sich die Lage bis zu den nächsten Wahlen bessert und die Wähler unseren Gestaltungswillen anerkennen. Ich bin überzeugt, dass die LSAP-Mitglieder hinter der Regierungspolitik stehen.

Luxemburger Wort: Sie gehen also nicht davon aus, dass die Basis, aufgestachelt durch den OGBL, demnächst den Aufstand ausrufen wird?

Étienne Schneider: Nein, davon gehe ich nicht aus.

Luxemburger Wort: Ein guter Vorsatz für 2015?

Étienne Schneider: (überlegt lange) Das ist die schwierigste Frage, die Sie mir stellen. Ich könnte jetzt sagen, alles tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen oder die Wirtschaft zu stärken, aber das tue ich täglich, dafür braucht es nicht Neujahr. Eine ehrliche Antwort? Ich möchte mir mehr Zeit nehmen für die Menschen, die mir nahe stehen.  

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