Jean Asselborn au sujet de la situation en Ukraine

"Es wäre wirklich mit dem Weltfrieden gespielt, wenn die Antwort auf die Destabilisierung in der Ukraine eine Intervention der NATO wäre"

Interview von Christoph Heinemann (Deutschlandfunk):

Wir haben jetzt Jean Asselborn erreicht, den Außenminister des Großherzogtums Luxemburg. Guten Morgen nach Newport!

Jean Asselborn: Guten Morgen.

Christoph Heinemann: Herr Asselborn, hat Putin den Krieg gewonnen?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass es einen Schimmer von Hoffnung gibt, dass es zu einem Ansatz, zu einer Willensbekundung kommt, eine Waffenruhe nicht mehr auszuschließen, sondern sie anzustreben. Es wird verhandelt über ein schriftliches Abkommen - das hat auch Präsident Poroschenko gestern angedeutet -, zwischen der Ukraine, zwischen den Separatisten, wo Russland natürlich auch dabei eine überragende Rolle spieltIhre Frage, ob Putin den Krieg gewonnen hat, würde ich wirklich nicht bejahen. Aber dass Russland auch ein großes Interesse daran haben muss, dass die Waffen ruhen und dass man zu dem kommt, was eigentlich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg die Regel ist, dass man in Frieden auch dieses Problem versucht, zu lösen.

Christoph Heinemann: Aber Putin hat alles erreicht, was er erreichen wollte.Jean Asselborn: Nein. Putin ist sehr schwer getroffen von den Sanktionen. Finanzpolitisch, wirtschaftspolitisch geht es Russland nicht gut. Er will - und das hat er auch durchblicken lassen -, dass die Schraube der Sanktionen in der Europäischen Union sich nicht noch mehr zudreht. Gestern kam die Botschaft aus Frankreich, von Paris, vom französischen Präsidenten, die Lieferung des Mistral-Schiffes zu stoppen. Das ist schnörkelloser Klartext und ich glaube, dass auch Präsident Putin das ganz klar verstanden hat.

Christoph Heinemann: Herr Asselborn, mit seinem Überfall auf die Ukraine hat Russland gleich vier internationale Verträge verletzt. Muss sich die internationale Gemeinschaft darauf einstellen, dass rechtliche Bindungen und Verträge für Russland künftig keine Rolle mehr spielen?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass Ihre Frage eine Frage ist, wo Sie nicht an der Realität vorbeischießen.

Es ist das erste Mal - und das sieht man nicht nur in der Europäischen Union; das hat man auch gestern in der Debatte der NATO hier gesehen -, dass Angst vor Krieg in der Bevölkerung, und nicht nur in Polen oder in den baltischen Ländern, wieder auf der Tagesordnung steht. Eine Tatsache, die die politische Debatte natürlich sehr stark auch prägt und auch zeigt – das ist der Punkt -, dass die Selbstverständlichkeit des Friedens nicht gegeben ist.

Die NATO ist ein Verteidigungspakt, wie Sie wissen. Gestern bei der Debatte hat man klar auch sehen können, dass nach dem Fall der Mauer die NATO-Mitgliedschaft der neuen europäischen Länder wichtiger war, als in die EU selbst zu kommen. Das versteht man, wenn man die Geschichte dieser Länder sieht. Aber keiner - und das ist wichtig, glaube ich, sehr wichtig auch im großen Kontext Ihrer Frage -, keiner, auch nicht Präsident Poroschenko, hat gestern die Mitgliedschaft in der NATO der Ukraine gefragt. Das ist ein Zeichen der Mäßigung, das ist auch ein Zeichen, das verstanden werden soll im Kreml, nicht nur von der NATO. Die Unterstützung für Präsident Poroschenko, glaube ich, sollte Präsident Putin sich zu Herzen nehmen, um aus dieser Lage herauszukommen.

Ich bin auch überzeugt, dass die ganze Glaubwürdigkeit, die man aufgebaut hat nach dem Fall der Mauer, was Russland angeht, sehr schwer angekratzt ist. Und wir sind in einem riesigen Paradigmenwechsel, wenn man bedenkt, dass im Dezember - das ist ja noch nicht so lange her - 2013 Außenminister Lawrow noch auf unseren NATO-Sitzungen war. Ich bin schon bei etlichen Gipfeln dabei gewesen. Das letzte Mal war auch Lawrow noch in Chicago. Vorher war sogar Putin mit Medwedew bei den NATO-Gipfeln dabei. Es ist ein dramatisches Umdenken jetzt im Gange, aber man muss daraus herauskommen.

Christoph Heinemann: Was folgt daraus? Muss die NATO künftig wieder konkret militärische Auseinandersetzungen mit Russland planen und üben?

Jean Asselborn: Nein. Ich glaube, das, was auch gestern total ausgeschlossen wurde, ist, dass man mit Waffen, mit militärischen Operationen das Problem lösen kann.

Christoph Heinemann: Auch nicht zur Verteidigung?

Jean Asselborn: Die NATO ist ein Verteidigungspakt. Wir wären natürlich in einem ganz, ganz anderen Szenario, wenn NATO-Länder angegriffen werden würden. Dann würde Artikel fünf spielen. Das haben wir gestern auch ganz strikt wiederholt.

Hier sind wir mit einem Problem konfrontiert im Osten Europas, im Osten der Ukraine, wo ich - und da bin ich nicht der einzige - mir nicht vorstellen kann, dass, sagen wir mal, die NATO an der allerersten Front stehen müsste, um das Problem zu lösen. Wir müssen natürlich wissen - das ist auch gestern immer wieder durchgeklungen -, dass wir die Interoperabilität, zum Beispiel die technische Hilfe auch mit der Ukraine und zwischen der NATO und der Ukraine, dass wir die verbessern, dass wir der Ukraine helfen selbstverständlich, dass sie ihre Souveränität verteidigen kann. All das ist auch eine Aufgabe der NATO.

Aber noch einmal: Es wäre, glaube ich, wirklich mit dem Weltfrieden gespielt, wenn die Antwort auf die Destabilisierung in der Ukraine eine Intervention der NATO wäre. Wir müssen alles versuchen, alles machen, und darum haben wir die Sanktionen.

Man darf die Sanktionen ja nicht sehen als Strafe für Russland, sondern als Druck, und der Druck scheint auch zu greifen, dass Russland umdenkt.

Christoph Heinemann: Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Danke Ihnen und einen guten Tag.

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