Jean Asselborn au sujet de l'Ukraine

"Weltordnung ohne Moskau funktioniert nicht"

Interview: Christian Ultsch

Die Presse: Sie kommen von einem Treffen mit Heinz Fischer. Sind Sie oft in Kontakt mit ihm?

Jean Asselborn: Wir telefonieren oft. Wir sind ein Trio. Frank -Walter Steinmeier (Deutschlands Außenminister; Anm.), Heinz Fischer und ich - Freundschaft.

Die Presse: Sprachen Sie auch mit Fischer, bevor Putin nach Wien kam?

Jean Asselborn: Ich habe Fischer geraten, Putin zu empfangen und ihm unter vier Augen die richtigen Botschaften zu überbringen. Man kann Außenpolitik nicht auf Sanktionen reduzieren. Wir sollten alles unternehmen, damit Russland wieder zu jenen Ländern zählt, die internationales Recht respektieren. Das Völkerrecht wurde auf der Krim mit Füßen getreten.

Die Presse: Sie sagten früh, Europa müsse akzeptieren, dass Russland die Krim nicht zurückgeben werde.

Jean Asselborn: Wenn man keinen Dritten Weltkrieg riskieren will, ist das die Realität. Die Krim ist de facto nicht mehr Teil der Ukraine. De iure werden wir das selbstverständlich nicht akzeptieren. Es ist illusorisch zu glauben, jetzt eine Lösung finden zu können. Russland wird nicht mit sich reden lassen. Das kann in zehn Jahren anders sein. Ich habe als Politiker eine andere Verantwortung als Sie. Wenn ich morgen aufwache, ist Russland noch immer auf der Landkarte. Ich muss mit Russland versuchen, aus dem Konflikt herauszukommen.

Die Presse: Und wie kann das in der Ostukraine gelingen?

Jean Asselborn: In der Ostukraine gibt es gute Anzeichen für bessere Grenzkontrollen. Aber es zeichnet sich ein erbitterter Kampf um Donezk ab. Offenbar sucht Präsident Poroschenko eine militärische Lösung. Er sollte auf Steinmeiers Appell hören, mit Russland und der OSZE reden. Donezk liegt in der Ukraine, aber die Waffen und grünen Männchen kommen aus Russland. Putin wäre gut beraten klarzustellen, dass er die Separatisten nicht unterstützt.

Die Presse: Glauben Sie, dass Russland die Drohungen der EU mit Wirtschaftssanktionen ernst nimmt?

Jean Asselborn: Russland hat viel verloren. Die Investitionen gingen dramatisch zurück. Was war Putins Ziel? Für ihn ist der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Er wollte den Einfluss Moskaus auf frühere Sowjetstaaten wiederherstellen. Ich war bei der Angelobung von Poroschenko in Kiew. Den meisten Applaus erhielt der weißrussische Präsident Lukaschenko. Putin wird seinen Traum einer Eurasischen Union nicht realisieren können.

Die Presse: Für Wirtschaftssanktionen gäbe es gar keine Mehrheit in der EU.

Jean Asselborn: Es gibt auch keine Ursache für Wirtschaftssanktionen. Das wäre erst der Fall, wenn russische Truppen in die Ukraine einmarschieren.

Die Presse: Inwieweit ist Ihre Position in den wirtschaftlichen Interessen Ihres Landes begründet? Luxemburg ist auf dem Papier der drittgrößte Auslandsinvestor in Russland.

Jean Asselborn: Ich käme Ihnen heuchlerisch vor, wenn ich nicht zugäbe, dass Luxemburg ein wichtiger Finanzplatz für Russen ist. Ich bin zehn Jahre im Amt. Ich weiß: Ein tiefer Streit zwischen den USA und Russland geht auf Kosten Europas. Europa spaltet sich. Ich respektiere, dass baltische Länder anders reagieren als Österreich oder Luxemburg. Für sie ist die Nato wichtiger als die EU. Das ist ihr Schutzwall. Die Reaktionen im Osten kommen aus dem Bauch. Doch man kann die Abhängigkeiten von Russland in Finanz- oder Energiefragen nicht ignorieren. Die Amerikaner haben eine andere Rolle - und nur ein Zehntel des EU -Handelsvolumens mit Russland.

Die Presse: Finden Sie wirklich, dass in der Ukraine vor allem die USA und Russland aufeinanderprallen?

Jean Asselborn: Die US-Außenpolitik steht vor großen Problemen: in Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Israel/Palästina. Russland war in all diesen Fragen nicht kooperativ. In den USA herrscht das Gefühl vor, teilweise gescheitert zu sein. Und da zeigen die Russen, dass ohne sie außenpolitisch nichts läuft. Das ist kein direkter Konflikt zwischen Russland und Amerika. Alles zusammenbringen kann der Iran, wo Russland und die USA sehr intensiv zusammenarbeiten. Ich war im Iran. Ich weiß, wie wichtig es für den Iran ist, dass bis zum 20. Juli in Wien ein Abkommen im Atomstreit gelingt.

Die Presse: Aber es gibt auch viele, die keine Einigung wollen.

Jean Asselborn: Es gibt mehr, die Interesse an einer Einigung haben. Erstens ersticken die Iraner an den Sanktionen. Zweitens wollen sie anders in der internationalen Gemeinschaft präsent sein. In Europa und den USA kenne ich, außer der Tea Party, niemanden, der keine Lösung mit dem Iran will. Auch Russland spielt mit.

Die Presse: War es eine Illusion zu glauben, dass Russland und China die westlich dominierte Weltordnung nach 1989 akzeptieren?

Jean Asselborn: Luxemburg sitzt im Sicherheitsrat. Es ist schwierig, die Interessen Amerikas, Englands, Frankreichs, Russlands und Chinas auf einen Nenner zu bringen. Der russische UN-Botschafter Tschurkin ist oft in einem anderen Film als Samantha Power. Europa und die USA können die Welt nicht so hinstellen, wie sie wollen. Eine Weltordnung funktioniert nicht ohne Russland und China. Der Westen muss sich auch hinterfragen. Tony Blair hält den Irak -Krieg immer noch für richtig, obwohl dort zehntausende Menschen für nichts starben und heute reinste Anarchie herrscht.

Die Presse: Wirkt der Völkerrechtsbruch im Irak bis heute nach?

Jean Asselborn: Das dicke Ende kommt erst. Wenn IS weiter wütet, wird es schlimmer als in Syrien. Eine humanitäre Katastrophe, ein Versagen auf ganzer Linie. Schiiten und Sunniten sind völlig auseinandergedriftet, weil es keine inklusive Regierung gab.

Die Presse: Im syrischen Bürgerkrieg starben 160.000 Menschen. Hätten Sie eine Intervention befürwortet?

Jean Asselborn: Nein. Einzig die Arabische Liga hätte bis zu einem gewissen Grad eingreifen können. Und hätte es im Sicherheitsrat ein Einvernehmen gegeben, hätte man Assad in die Schranken weisen können.

Die Presse: Für die Militärintervention in Libyen sind Sie aber eingetreten?

Jean Asselborn: Das gab es auch ein UN-Mandat...

Die Presse: Und Chaos danach...

Jean Asselborn: In Libyen gab es nie einen richtigen Staat. Gaddafi behandelte Menschen wie Ratten. Die Arabische Liga forderte die Intervention. Wenn man da wegschaut ...

Die Presse: Saddam Hussein ließ zehntausende Menschen ermorden.

Jean Asselborn: Es gibt keine Gebrauchsanweisung für Interventionen. Das Völkerrecht bleibt die einzige Leitschnur.

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