Jean Asselborn zur Debatte um Spitzenposten in der EU

Interview: Julia Kastein (MDR)

MDR: Herr Asselborn, jetzt sind ja schon fast 4 Wochen vergangen seit der Europawahl, und die Staats- und Regierungschefs haben sich immer noch nicht auf einen Kandidaten einigen können. Stattdessen scheint es eben ein grosses Geschacher und Gezerre zu geben hinter den Kulissen. Wie erleben Sie das? Ist das dem Amt angemessen?

Jean Asselborn:  Es ist, wie Sie richtig sagen, ein europapolitisches Stellungsgeschacher. Vor allem Grossbritannien ist ja, sagen wir einmal, der eigentliche Anführer von diesem Spiel. Grossbritannien macht natürlich vor allem Innenpolitik. Die Spezifizität der Briten ist ganz klar, immer gegen den Strom halten, gegen den Strom der sich auf dem Festland zusammenbraut. Ich glaube dass Cameron zeigt, dass er ein überzeugter Brite ist, und dass eben Juncker zum Beispiel ein überzeugter Europäer ist, und hier muss er sich distanzieren. Ich glaube dass Cameron ganz klar die Wahlen von 2015 vorbereitet, und da kommt ihm diese Debatte hier zurecht.

MDR: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die wirbt nun ja aber ständig dafür die Briten gleichwohl einzubinden, und will ihnen nun auch irgendwie inhaltlich entgegenkommen, wenn es eben um die Aufgabenteilung geht zwischen Brüssel und den Nationalstaaten. Es ist ja eine ständige Forderung der Briten, dass die Nationalstaaten wieder mehr Befugnisse haben sollen. Ist denn diese Form des Appeasements, nenne ich mal, die Merkel da vertritt, die Richtige, Herr Asselborn?

Jean Asselborn: Also ich bin ja nicht hier um Madame Merkel zu kritisieren oder zu loben. Ich kann sie verstehen, und das machen ja alle Politiker in der Europäischen Union, dass wir Grossbritannien nicht verlieren wollen, und Grossbritannien wird ja auch nach Cameron weiter existieren, und die Europäische Union auch. Ich glaube dass es schade und schlecht wäre für die Europäische Union, wenn Grossbritannien ausscheren würde. Aber Grossbritannien hat ja, glaube ich, auch eine grosse Aufgabe jetzt in den nächsten Monaten zu bewältigen, nämlich zu schauen dass Schottland nicht ausschert. Die Katastrophe für Grossbritannien wäre wenn diesgeschehen würde, und nicht der Name des nächsten Kommissionspräsidenten. Darum, ich verstehe dass Madame Merkel sich einsetzt. Allerdings, muss man auch sagen, dass aber die Essenz der Europäischen Union nicht in Frage gestellt werden darf durch die Briten. Wir werden noch heftige und interessante Debatten haben, aber ich glaube im letzten Augenblick, oder im entscheidenden Augenblick wird abgestimmt werden, so wie das in den Verträgen steht, und dann schauen wir wer eine Mehrheit hat.

MDR: Aber wie ernst zu nehmen sind denn die Ausstiegsdrohungen der Briten?

Jean Asselborn: Die Briten spielen ihr Spiel bis zum Ende, da bin ich davon überzeugt. Und das heisst [wird unterbrochen]

MDR: Also keine leere Drohung?

Jean Asselborn: Nein, das ist keine leere Drohung. Ich glaube die Position von Cameron wird sich nicht ändern. Cameron denkt nicht an Europa an erster Stelle, er denkt an die Wahlen von 2015. Und je europakritischer er ist, je besser steht er in Grossbritannien da. Das ist die Realität, die wir sehen müssen.

MDR: Nun hat sich Bundeskanzlerin Merkel ja gestern mit der dänischen Regierungschefin getroffen, Herr Asselborn, und da ging es natürlich auch um Personalien. Und Helle Thorning-Schmidt wird ja sowohl für das Amt der Kommissionspräsidentin als Nachfolgerin von, nein, Entschuldigung, und Helle Thorning-Schmidt wird ja sowohl für das Amt der Präsidentin des Rates, als Nachfolgerin von Herman Van Rompuy gehandelt, als eben auch als Kommissionskompromisskandidatin sozusagen, falls man sich auf Juncker nicht einigen kann. Wäre das die Lösung?

Jean Asselborn: Eine lange Frage, Madame, kurze Antwort.

MDR: Ja, ich stelle sie nochmal, Herr Asselborn. Ich stelle die Frage noch einmal, Sie haben völlig Recht, okay. Nun hat sich ja Bundeskanzlerin Merkel gestern mit der dänischen Regierungschefin getroffen, und da ging es natürlich auch um Personalien. Und Helle Thorning-Schmidt wird ja beispielsweise auch als Kompromisskandidatin gehandelt, falls man sich nicht auf Juncker einigen kann. Ist sie das?

Jean Asselborn: Also komplexe Frage, einfache Antwort. Wenn Jean-Claude Juncker, oder einfach gesagt, wenn die EVP den Präsidenten der Kommission bekommt, was nach dem Resultat der Europaparlamentswahlen der EVP zusteht, dann sind es die Sozialdemokraten, die ganz alleine, ohne irgendeine Hilfe, auch nicht aus Berlin, entscheiden werden wer Präsident des Europäischen Rates wird. Und ich glaube hier, das zeichnet sich auch an, dass François Hollande, der ja auch ein wichtiger Spieler ist in der Europäischen Union, dass er selbstverständlich mit allen Sozialdemokraten dann zusammen einen Vorschlag machen wird wer dann Ratspräsident werden soll. Ein Vorschlag der natürlich in dem ganzen Paket eingebunden ist. Das ist Sache. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es anders läuft.

MDR: Aber das heisst, jetzt noch einmal konkret, Juncker Kommissionspräsident, und vielleicht Frau Thorning-Schmidt Ratspräsidentin?

Jean Asselborn: Nein, Sie dürfen mir nichts in den Mund legen was ich nicht gesagt habe. Ich habe gesagt [wird unterbrochen]

MDR: Deshalb frage ich.

Jean Asselborn: Ich habe gesagt, wenn die EVP den Kommissionspräsidenten bekommen würde, wird die Sozialdemokratie in Europa den Ratspräsidenten bekommen. Mehr habe ich nicht gesagt.

MDR: Und wer soll es sein?

Jean Asselborn: Da müssen Sie und ich uns noch ein wenig gedulden.

MDR: Kommen wir noch einmal kurz zu einem anderen Thema, Herr Asselborn. Es geht ja auch in diesen Tagen um den Stabilitätspakt. Frankreich und Italien wollen den offenbar ein bisschen flexibler auslegen dürfen, etwa wenn es um den Abbau ihrer Schuldenlast geht. Sollte die EU da tatsächlich etwas gnädiger sein im Umgang mit den Krisenländern, auch wenn Angela Merkel beispielsweise das überhaupt nicht will?

Jean Asselborn: Nein, Angela Merkel hat ihre Vision von Europa, und die habe ich zu respektieren, und respektiere sie auch. Aber es geht hier um mehr, es ist keine theoretische Debatte, es geht um die Zukunft Frankreichs, auch um die Zukunft Italiens, vielleicht auch verschiedenen Anderen, verschiedene andere Länder in der Europäischen Union. Wenn wir es fertigbringen, und hier in diesem Moment ist dazu die Debatte, dass Investitionen in diesen Ländern in die Zukunft, Investitionen in Universitäten, in öffentliche Infrastrukturen, in Krankenhäuser und so weiter, wenn hier eine Graduierung, sagen wir einmal eine Abschwächung für die Marktkriterien geschehen könnte, glaube ich nicht dass der Euro zusammenbersten würde, und dass man dadurch auch diesen Ländern, die investieren müssen damit wieder Wachstum kommt, dass man denen entgegenkäme. Und das ist eine Debatte die interessant ist, und die muss geführt werden.

MDR: Letzte Frage Herr Asselborn. Noch einmal kurz zu den Personalien, und zu dem Zeitplan. Ende nächster Woche ist ja schon der nächste Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Wie wichtig ist es denn dass sie dann einen Kandidaten präsentieren?

Jean Asselborn: Ja, ich glaube dass diese Debatte nicht abgeschlossen ist. Es geht natürlich um den wichtigsten Posten, das ist der Posten des Kommissionspräsidenten. Wenn da ein Einvernehmen besteht, dann wird an diesem ganzen Paket auch gearbeitet werden. Ich kann Ihnen beim besten Willen, und ich glaube keiner noch zu diesem Zeitpunkt in Europa kann sich da vorwagen, und ich will das auch nicht. Wir müssen nur auf etwas achten. Die Menschen in Europa, die wollen nicht nur wissen wer Kommissionspräsident wird, oder Ratspräsident wird, oder hoher Repräsentant. Europa muss sich mit den Themen, muss sich mit der Substanz wo sie erwartet wird, muss sich damit auseinandersetzen können. Und darum hoffe ich dass vielleicht schon Ende nächster Woche, aber dann ganz schnell im Juli alle Karten auf dem Tisch liegen.

MDR: Okay. Herr Asselborn, ganz herzlichen Dank dafür.

Jean Asselborn: Bitte. Tut mir leid dass ich ein wenig evasiv war mit Ihnen, aber ich kann nicht mehr.

MDR: Nein, nein, das ist Ihr gutes Recht. Alles gut. Herzlichen Dank dafür. Schönen Dank noch. Tschüss.

Jean Asselborn: Okay, okay, Tag.












 



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