Deutschlandfunk

Die Situation in der Ukraine nach dem Referendum

Ein Interview mit dem Aussen- und Europaminister Jean Asselborn

"Das ist ein sogenanntes Referendum, das ja auf keiner Rechtsgrundlage basiert. Es ist also, glaube ich sagen zu dürfen, rechtsstaatlich irrelevant, total illegal und kann deswegen natürlich nicht anerkannt werden."

Peter Kapern (Deutschlandfunk): Herr Asselborn, in welcher Situation sehen Sie nun die Ukraine am Tag eins nach dem Referendum? 

Jean Asselborn: Ja, das Referendum – das ist ein großes Wort, das Sie benutzen. Ich glaube, das ist ein sogenanntes Referendum, das ja auf keiner Rechtsgrundlage basiert, ist also, glaube ich, sagen zu dürfen, rechtsstaatlich irrelevant, total illegal und kann deswegen natürlich nicht anerkannt werden. Vom Resultat weiß man ja nur globale Prozente und ich glaube auch nicht, dass man sich zu lange mit dem Kommentieren des Resultats aufhalten sollte.

Peter Kapern: Aber gleichwohl schafft dieses sogenannte Referendum, wie Sie sagen, Fakten. 

Jean Asselborn: Da bin ich nicht überzeugt. Sehen Sie, Präsident Putin hat gestern gesagt, oder sagen lassen, dass er Verständnis hätte. Er kann sich aber nicht selbst überdribbeln. Er hat sich letzte Woche ganz klar für das Aussetzen ausgesprochen. Ich bin überzeugt, dass er heute eine Formel finden wird. Aber klar scheint mir auch zu sein, sonst stünde ja die Welt auf dem Kopf, dass das Krim-Szenario sich nicht wiederholen wird in der Prozedur. Es gibt dafür auch, glaube ich, zwei Ursachen, die nicht unwichtig sind. Erstens: Man lobt in der Politik ja nicht gerne, aber ich glaube, dass man Deutschland loben muss als Europäer für den Einsatz von der Kanzlerin, aber auch vom Außenminister, die sich ja in der letzten Zeit massiv eingebracht haben, damit Russland einsieht, dass man hier nicht mit dem Kopf durch die Mauer gehen kann. Und das zweite ist: 

Wissen Sie, Präsident Putin hat ja ein Ziel. Das ist, diese euro-asiatische Gemeinschaft zu bauen. Und wenn man sieht die Reaktionen, auch indirekte Reaktionen sogar aus Weißrussland oder aus Kasachstan, dass diese Länder um ihre Souveränität fürchten bei einem solchen Projekt, riskiert er, riskiert Moskau, da zu verlieren, und ich glaube, dass trotzdem, wenn ich so sagen darf, der Rückgang in Moskau auch eingeschaltet wurde. 

Peter Kapern: Möglicherweise haben ja die Kanzlerin und der Außenminister gerade bei uns im Programm Ihr Kompliment verfolgt. Falls nicht, zumindest dem Außenminister können Sie es persönlich noch mal sagen. Den werden Sie heute in Brüssel treffen und da werden, so heißt es, weitere Sanktionen beschlossen. Noch ein paar Akteure der Krise werden nicht mehr in die EU einreisen dürfen. Noch ein paar Konten werden gesperrt. Wird das am weiteren Verlauf der Krise irgendetwas ändern? 

Jean Asselborn: Ich habe sehr viel Respekt vor Ihren Fragen, denn ich glaube, die Frage ist richtig. Aber wir dürfen als Politiker – und da ist auch Außenminister Steinmeier genau auf meiner Linie – heute nicht die Hauptbotschaft wieder auf diese Sanktionen fokussieren. 

Ja, eine Liste wird uns vorgelegt werden zur Annahme, das werden wir auch mit großer Wahrscheinlichkeit tun, wo verschiedene Personen – aber das sind vor allem Ukrainer, mit einer einzigen Ausnahme – Einreisen und auch Einfrieren von Konten, die da getätigt werden. Ich glaube, das ist etwas mehr als ein Dutzend. Und es sind zwei juristische Personen, also in zwei Fällen, wo auf der Krim – ich sage, auf der Krim – Betriebe konfisziert wurden. Die stehen mit auf der Liste. Es sind also vor allem Ostukrainer. Dies alles geschieht in der zweiten Phase. Wir sind nicht in der dritten Phase. Das ist eine Reaktion, auch ein Zeichen, dass man auch in der Ostukraine die Rechtsstaatlichkeit selbstverständlich respektieren muss. Das ist eine Reaktion der Europäischen Union. Ich gebe Ihnen Recht, dass das die Lage nicht verbessern wird, aber heute müssen wir uns konzentrieren auf eine Hauptbotschaft, und die ist nicht die Sanktionen. 

Peter Kapern: Sondern? 

Jean Asselborn: Ja, die Hauptbotschaft wird sein, die Europäische Union muss die OSZE und den Vorsitzenden Didier Burkhalter, der ja auch in Brüssel sein wird – das soll die absolute Priorität sein -, stark unterstützen, damit unter der Führung von der OSZE ein nationaler Dialog in der Ukraine eine Chance bekommt, dass auf lokaler Ebene, auf regionaler Ebene vor den Wahlen in zwei Wochen – das ist ja das Ziel, dass diese Wahlen auch stattfinden können -, dass hier sogar ein Steering Comittee gegründet wird und mit den Regionen auf der lokalen Ebene, wie ich gesagt habe, diskutiert wird. 

Man versucht auch zum Beispiel, was sehr komplex ist, die Religionsgemeinschaften einzubinden. Sie wissen, dass es vor allem drei gibt. Das ist die ukrainische orthodoxe Kirche, die russische orthodoxe Kirche und die griechisch-katholische Kirche. Es ist unheimlich schwer, wenn man hört, für die einen sind es Faschisten, für die anderen sind es Terroristen, aber ich glaube, dass wir auch heute als europäische Außenminister hier davon ausgehen sollen und müssen, dass es in Kiew nicht nur Faschisten gibt und dass es im Osten nicht nur Terroristen gibt. Und wenn man jetzt viel Hoffnung hat auf den 25. Mai – auch Russland hat ja, Präsident Putin hat ja angedeutet, dass das in die richtige Richtung geht -, dann muss in den zwei Wochen, die kommen, hier gearbeitet werden, dass man irgendwie es fertigbringt – ich sage, dass man es irgendwie fertigbringt -, zwischen Kiew und dem Osten ein Gespräch zu führen, um auch die Interessen allgemein der Ukraine im Innern der Ukraine auf eine andere Schiene zu bringen.

Wahlen in der Ukraine müssen stattfinden 

Peter Kapern: Das heißt, die EU-Außenminister wollen heute versuchen, die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, sich mit Vertretern der Separatisten an einen Tisch zu setzen, um die Wahlen am 25. Mai zu ermöglichen? 

Jean Asselborn: Ja. Wir wollen versuchen, alles zu tun, damit die OSZE, wo ja auch Russland und Amerika mit der Europäischen Union und anderen Mitglied sind, dass dieser Dialog stattfinden kann. Wissen Sie, wir wollen ja, um aus der Krise herauszukommen – und da ist ja auch Russland mit impliziert - Russland sagt, in Kiew ist keine oder ist eine illegale Regierung. Und zur gleichen Zeit kann Russland ja nicht arbeiten, damit diese Wahlen nicht stattfinden können. Ich glaube, das wäre ja eine große Kontradiktion. Man muss es in der Ukraine fertigbringen, damit der Wille aller Ukrainer, dass der auch demokratisch ausgedrückt wird. Darum werden diese Wahlen stattfinden. 

Peter Kapern: Aber noch einmal nachgefragt, Herr Asselborn. Es geht darum, dass die ukrainische Regierung sich an einen Tisch setzt mit den Separatisten? 

Jean Asselborn: Ja. Ich glaube, dass es im Osten auch Menschen gibt, die nicht mit Gewalt operieren. Das muss ja möglich sein. Ich glaube, wenn man überlegt und sieht und hört, dass in Kiew auch vielleicht einige Fehler geschehen sind, nicht nur jetzt in den letzten Wochen, sondern auch in den letzten 20 Jahren überhaupt – Kiew muss nach dem 25. Mai sich mehr um den Osten kümmern. Hier wurde 20 Jahre lang nicht in Infrastruktur investiert, ganze Wirtschaftszweige, nehmen Sie die Kohlemienen zum Beispiel, wurden links liegen gelassen. Das ist ein großes Problem für die Menschen im Osten und die verdienen es, glaube ich, auch dies zur Geltung zu bringen. Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass im Osten alles nur auf Gewalt aufgebaut ist. Wenn man sieht, dass auch diese Aktivisten, wenn Sie so wollen, oder Separatisten, dass die nicht die massive Unterstützung der Bevölkerung haben – es wurden ja Umfragen gemacht, dass höchstens 25 bis 30 Prozent hier mitgehen, aber dass all die anderen, die große Mehrheit, zwei Drittel der Mehrheit, natürlich eine souveräne, freie Ukraine wollen. Dieser Dialog muss stattfinden und ich glaube, dass dieser Dialog auch sehr wichtig wäre für nach den Wahlen, dass man sich zusammensetzt und eine Verfassung, eine dezentralisierte Verfassung auf die Beine bekommt. 

Peter Kapern: Eine kurze Frage noch zu einem anderen Aspekt dieser Krise. Gestern gab es hier in Deutschland Berichte darüber, dass auf Seiten der ukrainischen Regierung mehrere hundert US-Söldner einer privaten Firma arbeiten. Wissen Sie was darüber und was hat das zu bedeuten, dass dort auf einmal möglicherweise US-amerikanische Söldner auftauchen? 

Jean Asselborn: Das war ja in einer einschlägigen Zeitung in Deutschland zu lesen. Wir haben auch gestern [wird unterbrochen] 

Peter Kapern: Das war die "Bild am Sonntag". 

Jean Asselborn: Ja. Wir haben uns gestern auch selbstverständlich, einige Kollegen, darüber unterhalten. Das ist nicht sehr erbaulich, das muss ich sagen. Ich bin aber jetzt kein Richter darüber. Ich weiß nur, dass in der Transitionsphase alles gemacht werden muss aus Kiew, dass Dramen wie Odessa, wo die Polizei total versagt hat, dass man das verhindert und dass man auch, glaube ich – und das ist wichtig noch – dieser Aufruf gemacht wird, dass militärische Einsätze von Kiew im Osten nicht offensiv ausgerichtet sind, dass sie nur defensiv, wenn es sein muss, ausgerichtet sind, und dass man auch versucht, selbstverständlich in Kiew wirklich alles zu tun, damit dieser Dialog, den ich angedeutet habe, stattfinden kann und dass man nicht mit Methoden operiert, die an irgendwelche schlechten Erinnerungen erinnern, die uns daran erinnern, wie zum Beispiel in anderen Kriegsgebieten – wir sind ja nicht in einem Kriegsgebiet -, in Afghanistan, in Irak oder irgendwo anders, operiert wurde. 

Peter Kapern: Der Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Asselborn, ich bedanke mich für das Gespräch, für Ihre Einschätzungen, danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten, einen schönen Tag nach Brüssel. 

Jean Asselborn: Bitte, Herr Kapern.

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