Jean Asselborn au sujet de la situation en Ukraine

"Es wird Konsequenzen geben"

"In der Ukraine warten die Menschen auf einen Hoffnungsschimmer, dass die internationale Gemeinschaft es mit Russland fertigbringt, dieses Land wieder auf eine andere Schiene zu setzen."

Michael Strempel (ARD): Herr Asselborn, hat der Westen, haben vielleicht auch Sie das unterschätzt, wie sehr Russland das getroffen hat, dieser Einflussverlust in den letzten 20 Jahren?

Jean Asselborn: Ich glaube, es sind zwei Komponenten die hier spielen. Das Erste ist natürlich was Sie angedeutet haben, das kommunistische System ist zusammengebrochen, und selbstverständlich parallel dazu auch die territoriale Stärke der Sowjetunion.

Ich war mit Jean-Claude Juncker 2005 einen Tag im Kreml, und wir haben Präsident Putin in unserer Eigenschaft als Präsidentschaft des Europäischen Rates einen ganzen Tag lang befragt, und mit ihm sprechen können. Und man hat schon damals gesehen, dass eigentlich sein Ziel ist, diese Strafe der Geschichte, wie er das gesehen hat, zu korrigieren.

Die zweite Komponente ist natürlich auch – als Luxemburger kann ich das vielleicht besser sagen als ein Deutscher – aber was die Nato angeht kam der Appetit über dem Essen. Ich glaube, wir sind als Nato näher und auch intensiver an Russland herangerückt als das abgemacht war direkt nach dem Fall der Mauer. Und das hat die russische Seele getroffen. Und ich glaube, dieser Nato-Russlandrat ist zwar ein Korrektiv, das aber selbstverständlich die Russen nicht beruhigt.

Michael Strempel: Aber es herrscht im Moment tiefes Misstrauen. Und Präsident Putin hat heute auf seiner Pressekonferenz auch gesagt, dass er sich im Grunde hintergangen fühle, denn auch die Vermittlermission der EU, drei Außenminister waren ja in Kiew, hatte etwas anderes vereinbart als das was nachher passiert ist. Eigentlich sollte ein geregelter Übergang der Ukraine stattfinden. Das hat nicht geklappt. Putin sagt, das ist ein Wortbruch. Hat er denn da so Unrecht?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass das meines Erachtens von der russischen Seite übertrieben wird. Sie sehen ja, dass dieses Papier von Frank-Walter Steinmeier, von Sikorski und auch von Fabius eigentlich ja nicht unterschrieben wurde, es wurde nur paraphiert von der russischen Seite, und auf einmal soll das die ganze Referenz sein.

In diesem Papier war ein erster wichtiger Punkt, wie kann man es fertigbringen, die Gewalt – es waren an diesem Tag als das geschrieben wurde, am 21. Februar, über 80 Menschen gestorben in der Ukraine – zu stoppen. Das war also ein Hauptziel, was aber erreicht wurde.

Es wurde damals gesprochen von einem Übergang, von einer Debatte über neue Verfassung, vorgezogene Präsidentschaftswahlen, und dann schauen wie man die Ukraine wieder auf die Beine bringt.

Aber das war in einer Revolte. Und in einer Revolte kann man nicht rationell jeden Schritt selbstverständlich verfolgen.

Darum, aus meiner Sicht ist das trotzdem ein Argument das ein wenig mit den Haaren herbeigezogen ist.

Ich will auch sagen, dass das andere Argument der russischen Seite, die Verteidigung von russischsprachigen Menschen in der Ukraine, dass man in der Aussenpolitik Russlands immer wieder das Prinzip der Nichteinmischung wie eine Fahne hochhält, dass die russische Seite zurzeit genau das Gegenteil macht. Es ist aber halt nicht so, dass alle russischsprachigen Menschen in der Ukraine jetzt in Lebensgefahr sind.

Also ich glaube, dass man hier es fertigbringen müsste noch im Dialog auch mit der russischen Seite dies abzuschwächen.

Michael Strempel: Herr Asselborn, im Moment ist allerdings nicht die Zeit des Dialoges, sondern die Zeit der Krise. Die russische Intervention, muss man ja fast schon sagen, auf der Krim, hat auch den Ruf nach Sanktionen laut werden lassen.

[Reportage]

Michael Strempel: Also, Sanktionen sind mehr als kompliziert. Jean Asselborn, wenn Russland sich nicht auf dem Verhandlungswege bewegen lässt, für welche Sanktionen plädieren Sie denn?

Jean Asselborn: Ich glaube, Sanktionen sind ein sehr abwertendes Wort in der diplomatischen Sprache. Es wird Konsequenzen geben. Wir haben auch Konsequenzen angedeutet, zum Beispiel was Sotchi angeht, auch dass man die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen einfriert.

Wenn man Sanktionen sagt, und vielleicht diese Reise dann im Kopf macht wer in der letzten Zeit sanktioniert wurde von der Europäischen Union – Lukaschenko, dann Assad in Syrien, dann Janukowitsch, der wirklich ein Mensch war der ja vielen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt war –dann setzt man Präsident Putin auf dieselbe Stufe. Das ist schon eine Reise, glaube ich, wo das Ziel dieser Reise verfehlt sein kann.

Es darf nicht zu einer Debatte um Sanktionen kommen. Das muss auch die russische Seite wissen.

Allerdings ist es ganz klar, dass, wenn man morgen oder übermorgen russische Soldaten, russisches Militär in der Ukraine sieht, das die Staatsgewalt an sich zieht, dann kommt eine Debatte hoch, die, glaube ich, in alle Richtungen gehen kann.

Es kommt dann auch natürlich die Frage, wie soll die Nato sich erweitern in Länder die jetzt noch nicht Mitglied sind der Nato? All dies wird kommen, und wird fatalerweise vielleicht für ein ganzes Jahrzehnt die Beziehungen mit Russland zerstören, zwischen der Europäischen Union und Russland zerstören. Denn dem muss Einhalt geboten werden.

Und ich glaube, Herr Strempel, wir diskutieren vielleicht zu viel über Russland, wir müssten mehr über die Ukraine diskutieren. In der Ukraine warten die Menschen auf einen Hoffnungsschimmer, dass die internationale Gemeinschaft es mit Russland fertigbringt, dieses Land wieder auf eine andere Schiene zu setzen.

Michael Strempel: Jean Asselborn, vielen Dank für diese Einschätzungen. Noch ist die Zeit der Diplomatie ja nicht vorbei. Herzlichen Dank nach Luxemburg.

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