Jean Asselborn au sujet de l'accès humanitaire en Syrie

"Auf beiden Seiten gab es rote Linien"

"Ich möchte mich im Namen der Regierung bei Luxemburgs UN-Botschafterin Sylvie Lucas und ihrer gesamten Mannschaft herzlich bedanken. Sie haben monatelang hervorragende Arbeit geleistet. Die Suche nach einem Konsens zwischen den USA und Russland war eine sehr anspruchsvolle Herausforderung. Auf beiden Seiten gab es rote Linien. Unsere Diplomaten wurden sehr ernst genommen, weil Luxemburg keine politischen Interessen im Syrien-Konflikt verfolgt. Diese diplomatische Leistung und Haltung hat zur einstimmigen Verabschiedung der UN-Resolution durch die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats beigetragen."

Tageblatt: Wie kam die UN-Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation in Syrien zustande?

Jean Asselborn: Diese Resolution basiert auf einer Initiative von Luxemburg und Australien. Die Idee, eine humanitäre Lösung für Syrien im UN-Sicherheitsrat zu suchen, kam im Großherzogtum zustande. Am 21. April 2013 fand auf Schloss Senningen ein Treffen statt. Dort haben sich zwei nicht-ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats -Luxemburg und Australien - darauf geeinigt, auf eine präsidentielle Erklärung hinzuarbeiten. An diesem informellen Treffen nahmen u.a. hochrangige Akteure wie der Präsident des International Peace Institute, Terje Rød-Larsen, und Mitglieder des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sowie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz teil. Es wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert. Die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien war das erklärte Ziel. Das war von Anfang an klar.

Tageblatt: Bis zur Verabschiedung der UN-Resolution war es jedoch ein steiniger Weg.

Jean Asselborn: In der Tat. Der UN-Sicherheitsrat konnte sich beispielsweise im Juli 2013 nicht zu einer einheitlichen Stellungnahme zu Syrien durchringen. Russland blockierte den Textentwurf von Luxemburg und Australien. Am 2. Oktober 2013 war es dann aber so weit: Eine präsidentielle Erklärung zur Erleichterung des humanitären Zugangs in Syrien wurde vom Sicherheitsrat verabschiedet - zum gleichen Zeitpunkt hat die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen begonnen. Die syrische Regierung wurde aufgefordert, den Opfern des Bürgerkriegs unverzüglich den freien Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen. Der Hintergrund war die enorme Verschlechterung der Lage der Menschen in Syrien, wie es in der vom Sicherheitsrat verabschiedeten präsidentiellen Erklärung hieß.

Tageblatt: Die präsidentielle Erklärung wurde aber als warme Luft kritisiert, da sie im Gegensatz zu einer UN-Resolution rechtlich nicht bindend ist.

Jean Asselborn: Das stimmt. Sie war aber inhaltlich identisch zur verabschiedeten UN-Resolution. Die Erklärung war somit eine zentrale Grundlage. Auch wenn sie rechtlich nicht bindend war und somit keine direkten Effekte erzwungen werden konnten und sich niemand an die Appelle des Sicherheitsrats halten musste. Aber wir haben uns direkt nach dem 2. Oktober mit Australien beraten, ob die Chance bestünde, eine UN-Resolution auf den Weg zu bringen. Das ist uns schließlich in guter Zusammenarbeit mit Australien und Jordanien gelungen.

Tageblatt: Welchen Einfluss haben Luxemburgs Diplomaten in diesem Prozess ausgeübt?

Jean Asselborn: Ich möchte mich im Namen der Regierung bei Luxemburgs UN-Botschafterin Sylvie Lucas und ihrer gesamten Mannschaft herzlich bedanken. Sie haben monatelang hervorragende Arbeit geleistet. Die Suche nach einem Konsens zwischen den USA und Russland war eine sehr anspruchsvolle Herausforderung. Auf beiden Seiten gab es rote Linien. Unsere Diplomaten wurden sehr ernst genommen, weil Luxemburg keine politischen Interessen im Syrien-Konflikt verfolgt. Diese diplomatische Leistung und Haltung hat zur einstimmigen Verabschiedung der UN-Resolution durch die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats beigetragen.

Tageblatt: Kommen wir zu den genauen Inhalten der Resolution. Welche Forderungen stellt der Sicherheitsrat?

Jean Asselborn: Es ist eigentlich die Umsetzung der präsidentiellen Erklärung. Ziel der Resolution ist es, den notleidenden Menschen in Syrien zu helfen. Gemeint sind alle vom Konflikt betroffenen Zivilisten, die vor jeder Form der Gewalt, wie sie das internationale Recht und das humanitäre Recht definieren, beschützt werden sollen. Jegliche Angriffe auf Zivilpersonen sollen beendet werden. Die Verwendung von Waffen in besiedelten und besetzten Gegenden muss aufhören. Hierzu zählen Bombardements und Luftangriffe. Man denke an den Einsatz von Fassbomben, die Zivilisten willkürlich verletzen und töten. Es wird dazu aufgerufen, die Belagerung u.a. folgender viel bevölkerter Städte zu beenden: Homs, Nubl und Zahra (Aleppo), Ost Ghouta (ländliches Damaskus), Darayya (ländliches Damaskus).

Hunderttausende Menschen leiden in diesen Regionen. Hungersnöte als Kampfmethode müssen enden. Der humanitäre Zugang muss von allen Konfliktparteien innerhalb Syriens und über die Landesgrenzen hinweg gewährleistet werden. Gemeint ist z.B. die ärztliche Betreuung: Die Hilfskräfte müssen die schnellsten Routen nutzen können. Die Konvois müssen beschützt werden. Zivilgebäude wie Schulen und Krankenhäuser müssen entmilitarisiert werden. Jegliche Form von Folter gegen Zivilisten, vor allem in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen, ist tabu. Der Straffreiheit soll ein Riegel vorgeschoben werden. Wer gegen das internationale und humanitäre Recht verstößt, muss sich vor der Justiz verantworten. Alle Terrorakte, die Al-Qaida nahe Akteure begehen, werden verurteilt. Außerdem wird eine politische Lösung im Rahmen der Genf-11-Verhandlungen befürwortet.

Tageblatt: Welche Rolle spielt Generalsekretär Ban Ki-moon bei der Umsetzung der Resolution?

Jean Asselborn: Die Resolution fordert vom Generalsekretär, über die Einhaltung der Resolution zu wachen. Alle Konfliktparteien in Syrien müssen die Resolution berücksichtigen. 30 Tage nach Inkrafttreten muss er dem Sicherheitsrat über die Einhaltung der Resolution Bericht erstatten. Danach wiederholt sich dieser Prozess im 30-Tage-Rhythmus. Besonders wichtig: Wenn aus den Informationen des Generalsekretärs hervorgeht, dass die Resolution nicht respektiert wird, will der Sicherheitsrat weitere Schritte unternehmen. Wie diese aussehen, wäre von der jeweiligen Situation abhängig. Zentral ist die Botschaft, dass die Nichteinhaltung der Resolution Konsequenzen hätte.

Tageblatt: Die Inhalte der Resolution klingen ermutigend und sind im Sinne der Zivilbevölkerung. Ist ihre Umsetzung jedoch realistisch, obschon keine Sanktionen im Falle einer Nichteinhaltung vorgesehen sind?

Jean Asselborn: Direkte Sanktionen waren nicht möglich. Die offene Formulierung, dass der UN-Sicherheitsrat weitere Schritte unternehmen wird, wenn niemand die humanitären Forderungen respektiert, ist deshalb zentral. Kommt es zu bedeutenden Verstößen, kann der UN-Sicherheitsrat nicht mehr wegschauen. Kapitel 7 der UN-Charta kann aber nicht zum Zuge kommen. Das ist eine Bedingung von Russland. Moskau will keine militärische Intervention in Syrien.

Tageblatt: Wie haben Sie Russlands Diplomaten bei der Ausarbeitung der UN-Resolution erlebt?

Jean Asselborn: Sie hatten eine klare Linie. Ihre Position war oft sehr zäh. Aber: Moskau hatte großes Verständnis für Luxemburgs Anliegen und Standpunkte. Wir haben dafür sehr große Anerkennung erhalten. Es fand ein russischer „dégel“ statt. Russland weiß wie alle anderen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, dass die humanitäre Situation in Syrien nicht tragbar ist. Ich werde Außenminister Lawrow am Dienstag in Moskau treffen.

Tageblatt: Bleibt die politische Dimension des Syrien-Konflikts: Kann die Resolution zu einer Befriedung Syriens beitragen?

Jean Asselborn: Ich bin mir bewusst, dass durch die Resolution nicht alle Probleme gelöst werden. Das Gleiche gilt für die anderen Staaten im UN-Sicherheitsrat. Allerdings haben wir als Luxemburg dazu beigetragen, die Lage der Syrer zu verbessern. Es mussten zahlreiche rote Linien beachtet werden. Die Resolution ist somit ein Schritt in eine bessere Zukunft für Syriens Zivilbevölkerung.

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