Jean Asselborn au sujet des développements politiques en Russie, son homologue allemand Frank-Walter Steinmeier et l'actualité politique européenne

Tageblatt: Was sagen Sie zur Amnestie-Aktion von Vladimir Putin?

Jean Asselborn: Ich bin der Meinung, dass es sich um eine gute Sache handelt, wenn so viele Menschen aus dem Gefängnis entlassen werden. Die pussy Riots und Chodorkowski sind dabei. Ich kann dem nichts Negatives abgewinnen. Deshalb will ich das jetzt auch nicht zerreden. Dass das jetzt etwas mit Sotschi zu tun haben könnte ... Es ist klar, dass Sotschi ein sehr wichtiges Ereignis für Putin darstellt. Indirekt kann man auch sagen, dass noch ,andere Probleme bestehen, die in den letzten Tagen gelöst worden sind. Da ist zum Beispiel die Lösung im Falle des Greenpeace-Schiffs.

Tageblatt: Wie langfristig wird, Ihrer Meinung nach, dieser eher milde Kurs von Putin seine Wirkung entfalten?

Jean Asselborn: Ich denke, dass Sotschi für die russische Seele sehr wichtig ist. Ich wage es zu hoffen, dass das, was jetzt geschieht, ein Zeichen ist, das nicht im Laufe der Zeit an Wirkung verliert, wenn Sotschi vorbei ist - dass Russland sich auf menschenrechtlicher Ebene öffnet. Ich wage es zu sagen, dass mit Hinblick auf all das, was mit der Ukraine passiert ist, wir Russland ein wenig verstehen müssen.

Tageblatt: Inwiefern?

Jean Asselborn: Mit dem Fall der Sowjetunion waren Abermillionen Menschen in einer sehr schlechten Situation. Darunter viele russische Bürger in den ehemaligen Sowjetstaaten. Viele dieser Bürger sind es immer noch. Das war eine schreckliche Niederlage für die russische Seele. So weit, so gut. Ich verstehe auch noch, dass Russland versucht, Strukturen zu schaffen, um ein Konstrukt zu besitzen, das ihm eine Einflussnahme in diesen 'verlorenen' Ländern ermöglicht. Was ich weniger verstehe, ist die Denkweise in Russland, dass man einerseits auf der Welt an vielen Orten mit der internationalen Gemeinschaft gut zusammenarbeiten kann: man denke an den Iran, Afghanistan, den Nahen Osten. Aber sobald es um Länder geht, die nahe zwischen Russland und Europa liegen, setzt eine wirkliche Verkrampfung ein. Ich denke, dort müsste man versuchen, etwas zu tun.

Tageblatt: Wie stellen Sie sich diese Vorgehensweise vor und wer könnte dort eine Rolle spielen? Zum Beispiel der neue deutsche Bundesau-Benminister Frank-Walter Steinmeier?

Jean Asselborn: Der Außenminister in Deutschland hat einen Einfluss sowohl auf Russland als auch auf die Länder der östlichen Partnerschaft. Dort müsste etwas getan werden, um diese russische Verkrampfung zu lösen. Ich denke eine Steigerung hiervon lautet: „Das ist mein Gebiet, das ist dein Gebiet“. Das kann ja nicht im Interesse der Russen und auch nicht der Europäischen Union sein. Das spiegelt sich am besten in der Ukraine wider. Die Ukraine braucht Russland. Vieles, das auf wirtschaftlicher Ebene in der Ukraine passiert, läuft bilateral mit Russland. Und die Ukraine braucht auch die Europäische Union. Russland und die EU sind strategische Partner. Es müsste also eine Zusammenarbeit möglich sein.

Tageblatt: Zahlreiche Beobachter nennen Steinmeier einen Russland-Freund. Wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Jean Asselborn: Russland-Freund ist ein großes Wort. Ich denke, dass Herr Steinmeier in seiner ersten Amtszeit erkannt hat, so wie es die luxemburgische Außenpolitik auch erkannt hat, dass man nicht gegen Russland spielen soll. Dass man auch versuchen soll, sich in die Rolle von Russland hineinzudenken. Ohne selbstverständlich einen Jota, von dem, was beispielsweise Menschenrechte angeht, Abstriche zu machen. Deswegen: Russland-Freund und Russland-Feind und Amerika-Freund sowie Amerika-Feind: mit solchen Begrifflichkeiten muss man sehr gut aufpassen. Steinmeier lässt sich auch nicht in irgendeine Schublade stecken, so weit ich seine Philosophie beurteilen kann. Was aber stimmt: nur ein Deutscher wie Steinmeier kann das Gespür dafür haben, was es braucht, um eine Verbesserung der aktuellen Situation herbeizuführen. Es müssen Schritte aufeinander zu gemacht werden. Es darf nicht gegeneinander gearbeitet werden. Man kann hier wiederum nicht behaupten, Steinmeier stellt sich auf die eine Seite, Angela Merkel auf die andere.

Tageblatt: Was halten Sie davon, dass Steinmeier zuerst nach Polen gereist ist?

Jean Asselborn: Polen ist ein Land, das wegen seiner Geschichte Russland kennt und das auch historische Erfahrungen mit der Ukraine hat. Polen ist in diesem Beziehungsgeflecht ein Schlüsselland. Dass Deutschland mit Polen - ein Land aus dem Westen, ein Land aus dem Osten - zusammenarbeiten könnte, wäre eine Möglichkeit, um die Lage zu beruhigen.

Tageblatt: Sie haben Deutschland zuletzt für sein mangelndes Verständnis in der Europapolitik kritisiert. Welche Reaktionen gab es darauf?

Jean Asselborn: Ich habe keine Kritik geübt, sondern eine Feststellung gemacht. Ich habe nur gesagt, dass Deutschland das größte und wichtigste Land in der Europäischen Union ist. Und dass das, was in der Europäischen Union - ich bin jemand, der hört, was in anderen EU-Staaten gesprochen wird und spüre, was sich dort tut - gemacht wurde, unumgänglich war. Aber: das, worin man genauso viel Energie investieren muss, ist, mehr Wachstum zu schaffen, um Europa nicht in eine Situation zu bringen, in der es mit Abbau, Sanktionen und mit Regularisierungen identifiziert wird, die eigentlich darauf abzielen, dass es der Wirtschaft gut geht, aber, dass sich daraus kein 'Mehrwert für das Soziale ergibt. Ich bin der Meinung, dass man solch eine Feststellung machen kann als Drittland, das zwischen Deutschland und Frankreich liegt. Das Soziale darf der wirtschaftlichen Komponente nicht untergeordnet werden.

Tageblatt: Wie interpretieren Sie Steinmeiers Kritik, dass es zu einer "Vergipfelung" der Politik in Europa gekommen ist?

Jean Asselborn: Die Vergipfelung der Politik bedeutet, dass die Institutionen mittlerweile so zugeschnitten sind, dass alle Entscheidungen nur noch auf den EU-Gipf ein getroffen werden. Dass nicht mehr tiefgründig genug gearbeitet wird. Das bedeutet, dass die EU-Kommission nicht mehr das Primat der Politik hat, sondern der Europäische Rat, weil alles zwischen den einzelnen Regierungen geklärt wird."

Dernière mise à jour