Interview mit Jean Asselborn im Deutschlandfunk

EU-Außenpolitiker Asselborn: Diplomatische Kanäle offenhalten

Interview: Deutschlandfunk (Dirk Müller)

Deutschlandfunk: All die Drohungen, die Sanktionen, die Ermahnungen, der internationale Druck, die Proteste — sie haben nicht viel gebracht, bislang jedenfalls. Schon wieder ist im Iran ein Mann im Zusammenhang mit den Protesten für mehr Menschenrechte und Reformen exekutiert worden. Ihm wurde offiziell vorgeworfen, während der Proteste im November zwei Angehörige der paramilitärischen Milizen mit einem Messer getötet zu haben. Regierung und Sicherheitsbehörden im Iran zeigen sich unbeirrt, zeigen sich unerschrocken. Und nun kommen die nächsten Sanktionen. Die EU hat das gestern beschlossen gegen rund 20 Personen, die zum Teil der Revolutionsgarden angehören oder in anderen Funktionen mitverantwortlich sein sollen für die Repression im Iran. Wir sind verbunden mit Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der aus gesundheitlichen Gründen bei den Beratungen gestern in Brüssel nicht dabei war. Wir erreichen ihn in Luxemburg. Einen schönen guten Morgen.

Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Dirk Müller.

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, Sanktionen über Sanktionen. Wieviel Ohnmacht ist dabei?

Jean Asselborn: Wir haben im Iran, in diesem Regime, muss man ja festhalten, es mit regelrechten Monstern zu tun, für die ein Menschenleben nichts bedeutet und wo auch der Machterhalt das einzige Ziel ist. Diese Hinrichtungswelle ist ja nicht die erste, aber diesmal soll nicht zufällig ein Exempel statuiert werden, dass die Menschen Furcht haben, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ihre Hoffnungen, ihr eigenes Denken. Die einzige Daseinsberechtigung ist ja, dass man dem Mullah-Regime gefügig ist. Jetzt sagen Sie, was kann Europa tun, was kann die Welt tun. Was mich wirklich aufreibt ist ein wenig: Diese Milliarden Menschen sehen das ja alle in der Welt. Die einen sind, wie Sie sagen, vielleicht machtlos, wollen aber etwas tun.

Die anderen ignorieren es total. Andere machen sich sogar zum Komplizen. Wenn Sie Russland sehen: Es hatte noch nie solch intensive Beziehungen mit dem Iran wie jetzt, vor allem mit Drohnen, die sehr viel Unheil in der Ukraine antun. Dirk Müller, ich glaube, dieser 24.02.2022 hat der Welt vieles von ihrem menschlichen Antlitz genommen, außerhalb der Ukraine, und der Iran ist leider auch ein indirektes Opfer davon.

Deutschlandfunk: Ich möchte das Stichwort noch mal nennen: Ohnmacht. Wieviel Ohnmacht ist dabei?

Jean Asselborn:: Na klar! Wir können ja nur mit den Hebeln agieren, die wir haben. Es ist jetzt das dritte Paket. Es sind jetzt ein paar Dutzend Personen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, vor allem, wie das klar ist, diese Leute von den Revolutionsgarden, die Anführer der Revolutionsgarden. Das ist das, was wir tun können. Diese Basidsch-Milizen, das sind sehr, sehr gefürchtete Milizen, die töten, brutalst vorgehen. Das können wir tun, das haben wir getan. Wir müssen allerdings wissen, mit dem Iran haben wir ein großes Problem, neben den Menschenrechten. Das ist das JCPOA, das Atomabkommen, und wir müssen klar sehen, seit Trump diese Entscheidung genommen hat auszusteigen, dass die Gewinner eigentlich auch nach der Wahl von Ebrahim Raisi die Revolutionsgarden sind, die im Iran alles total kontrollieren.

 

Deutschlandfunk: Aber davon kann ja keine Rede sein, dass diese Verhandlungen wieder aufgenommen werden, aufgrund der politischen Situation. Hat Donald Trump da etwas vorweggenommen, was ohnehin gekommen wäre?

Jean Asselborn: Dirk Müller, Sie wissen: Was wir verhindern wollten während zwei Jahrzehnten als Europäische Union ist, dass der Iran eine Atombombe hat. Dieses Regime, das müssen Sie sich vorstellen, sie sind jetzt bei der Anreicherung bei 60 Prozent. Das ist nicht mehr sehr weit von 90 Prozent. Dann haben sie die Atomwaffe, auch unter diesen Bedingungen. Früher hat man immer auf Russland gehört. Ich kann mich daran erinnern. Hundertmal hat Lawrow gesagt, auch wir wollen nicht, dass der Iran eine Atombombe besitzt. Aber das hat sich alles gedreht und das ist in unserem Interesse. Das ist kein Geschenk an den Iran gewesen, aber in unserem ureigenen Interesse, dass der Iran nicht die Atombombe besitzen kann.

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, um jetzt Ihr Wort zu nennen: Das heißt, in Punkto Atomwaffen-Verhandlungen sind Sie auch bereit, ist die EU auch bereit, mit Monstern zu verhandeln?

Jean Asselborn: Es geht ja um die Sache. Ich glaube, dass wir ganz realistisch sein müssen, Dirk Müller. Wir sind hunderte Kilometer entfernt von Verhandlungen. Wir sind nicht mehr da. Das ist aber nicht gut. Das will ich damit sagen. Wir sind nicht mehr da. Wir wissen, dass dies gestoppt ist und dass der Iran weiter das tut, was er schon vor zwei Jahrzehnten angefangen hat zu tun, nämlich Uran anzureichern, um eine Atombombe zu besitzen. Und Sie wissen, wie die Welt heute funktioniert. Der, der die Atombombe hat, hat ein ganz anderes Gewicht auf der Welt, kann vieles diktieren, was andere nicht haben. Da sind wir als Demokraten selbstverständlich — wir sind ja eine Demokratie, die Europäische Union — machtlos dagegen. Wir wollten durch Verhandlungen das hinkriegen.

Deutschlandfunk: Schnüren wir, Herr Asselborn, vielleicht noch mal dieses Sanktionspaket, wenn ich das so nennen darf, noch mal auf, beziehungsweise die Sanktionsfrage. Wenn Sie da von Monstern reden, wie auch immer definiert: Präsident Ebrahim Raisi, den haben Sie eben ja auch genannt, der Regierungschef zum Beispiel. Ich nenne mal andere Namen: Alexander Lukaschenko, ein noch prominenterer Name: Wladimir Putin. Warum gibt es immer noch keine Sanktionen gegen die Staatschefs?

Jean Asselborn: Gegen die Staatschefs? Gegen Lukaschenko gibt es sie ja.

Deutschlandfunk: Als Präsident persönlich?

Jean Asselborn: Ja, ja. Da wurden Sanktionen verhängt. Das Problem ist ja nicht, gegen wen wir die Sanktionen verhängen. Das Problem ist, wie effizient können wir mit Sanktionen umgehen. Sehen Sie Russland. Ein solches Paket, wie wir es jetzt geschnürt haben, gab es ja noch nie auf der Welt.

Deutschlandfunk: Aber das ist das neunte Sanktionspaket. Also gibt es irgendwann ein 20. Und alles geht so weiter?

Jean Asselborn: Es ist das neunte. Und ja, sicher: Wir können ja nur mit Sanktionen versuchen, zwei Sachen hinzukriegen. Das erste, Putin die Mittel wegzunehmen, dass er diesen Krieg weiterführen kann, und zweitens, auch der Welt zu zeigen, dass es eigentlich unvorstellbar ist. Auch Menschen in China, Menschen in Indien, die sehen doch, was Putin macht, dass Hunderttausende, vielleicht Millionen Menschen, Kinder, Erwachsene, ältere Menschen, dass die im Winter erfrieren, weil er einfach die Energie-Infrastruktur bombardiert. Das kann doch nicht einfach akzeptiert werden. Sie hatten im Bundestag jetzt dieses Statement über den Holodomor, bestimmt wie in vielen anderen Ländern auch, aber vielleicht in zwei Jahrzehnten wird man für die Opfer des Vorgehens Putins, dass er die Menschen erfrieren lässt in der Ukraine, vielleicht auch ein Monument errichten, um an sie zu denken. Das ist die Welt, wie sie heute ist. Es genügt nicht mit Sanktionen. Das ist ein wichtiges Instrument, das wir haben, ein diplomatisches Instrument. Aber wenn alle Moral, alle Zurückhaltung, jeder Respekt vor dem internationalen Recht, wenn das verflogen ist, dann weiß ich nicht, wie wir mit einer, sagen wir mal, zivilisierten Diplomatie und Sie und ich, die eigentlich mal über die Lage in der Welt denken können, wie wir da vorgehen.

Deutschlandfunk: Jetzt noch mal abschließend zu diesem Kapitel die Frage: Sanktionen gegen Wladimir Putin: Würden Sie da unterschreiben, würden Sie da mitmachen?

Jean Asselborn: Klar! Putin ist ein Kriegsverbrecher.

Deutschlandfunk: Macht aber keiner in der EU.

Jean Asselborn: Das Problem, was wir haben, ist: Denken wir noch immer, ob es möglich ist, mit, sagen wir mal, kleinen Schritten, mit Gefangenenaustausch, mit Saporischschja, mit dem Getreide-Abkommen, denken wir, ob es in Amerika ist oder ob es in Europa ist, daran, dass doch eines Tages dieser Knoten aufgemacht werden muss mit kleinen Abkommen, dass man zu einer diplomatischen Lösung kommt. Das ist das Problem, was man als Außenpolitiker im Kopf haben muss. Schlägt man alles kaputt, oder versucht man, noch irgendetwas aufrechtzuerhalten, um diplomatisch dann eingreifen zu können. Das ist, glaube ich, erinnert an die Revolutionsgarden. Die dominieren den Iran und wenn wir die Revolutionsgarden als solche auf die Liste setzen, dann wissen sie, dass kein Weg mehr möglich ist zu irgendeiner Verhandlung über das Atomabkommen. Natürlich, was wir ja tun, in Russland oder auch im Iran, dass wir gezielt Menschen auf die Listen stellen, die wir identifizieren können und die wir dann auch sanktionieren.

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, wir haben uns kurz vorher begrüßt, als die Nachrichten im Deutschlandfunk liefen. Da haben Sie mich gefragt, reden wir auch über die Korruptionsaffäre, über die Korruptionsvorwürfe innerhalb der Europäischen Union, gegenüber Mitarbeitern und einem Mitglied des Europäischen Parlaments, Vizepräsidentin Eva Kaili. Müssen wir tun, weil Sie es sind und immer offen über solche Themen reden. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Jean Asselborn: Ja, das war ein Schock. Aber wissen Sie, gestern Abend wurde in der Europäischen Union wieder gezeigt, die Europäische Union kann, wenn sie will. Wir haben ein Paket geschnürt, wo wir endlich auch diese 18 Milliarden Hilfe, makrofinanzielle Hilfe für die Ukraine hinbekommen haben, wo wir die Minimalbesteuerung auf 15 Prozent für die Betriebe hinbekommen haben, wo wir auch Ungarn gesagt haben, zweimal Ungarn gesagt haben, dass es in der Europäischen Union nicht mehr geht, dass nichts toleriert wird, wenn man die Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptiert. Das ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Zum Europaparlament: Ich traue dem Europaparlament zu, dass das Europaparlament aufklären wird und natürlich die Maßnahmen ergreifen wird gegen die, die verantwortlich sind für diese Korruptionsgeschichte, und dass auch das Europaparlament das hinbekommt, neue strengere Regeln, vor allem was den Umgang mit Drittstaaten angeht, dass das Europaparlament das hinbekommt. Wir haben gestern Abend ein Zeichen gesetzt was eindeutig und richtig ist. Orbân hat diesen Kampf gegen die Europäische Union entschieden verloren. Die Korruption, das nicht respektieren der Rechtsstaatlichkeit wurde gebrochen, und das ist sehr wichtig.

Deutschlandfunk: Das wird Orbân sich auch gesagt haben. Auf der anderen Seite gibt es jetzt die Vorwürfe gegen Brüssel selbst beziehungsweise gegen Teile des Europäischen Parlaments. Vertrauensverlust. Ist der groß?

Jean Asselborn: Wenn schnell reagiert wird, glaube ich, darf man nicht generalisieren. Natürlich ist der groß und man darf nicht Orbân zulassen, dass er triumphiert. Darum war es wichtig, was gestern Abend geschehen ist.

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