Interview mir Jean Asselborn im Tageblatt

"Wir lassen uns nicht nervös machen"

Interview: Tageblatt (Armand Back)

Tageblatt: Die EU will ein achtes Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg bringen, können Sie uns schonsagen, was es beinhalten wird?

Jean Asselborn: Auf Details kann ich nicht eingehen, die werden erst beschlossen. Aber es wird sektorielle wie auch personenbezogene Sanktionen geben. Rund um den Tischherrschte Einigkeit darüber, dass wir uns nicht nervös machen lassen – egal, was der russische Präsident Wladimir Putin sagt oder tut. So war es dann auch, wir sind bei unserer Linie geblieben und wollen das auch weiterhintun.

Tageblatt: Bereits an den bisherigen Sanktionen gab es auch im Westen Kritik. Das wird dieses Mal wohl nicht anderssein, oder?

Jean Asselborn: Die Schiene, die wir fahren, ist die richtige. Die Sanktionen wirken. Das dauert alles, aber wirtreffen Russland damit in der Tiefe. 1.200 Unternehmen haben das Land verlassen. Der Aufbau, den Russland 30 Jahre lang geleistet hat, geht ihnen gerade verloren. Forschung, Digitalisierung, alles, was es für eine moderne Wirtschaft braucht, geht in Russland den Bach runter. Die Sanktionen wirken, aber eben nicht von einer Woche auf die nächste. Das wird auch beim kommenden Paket der Fall sein.

Tageblatt: Die EU will auch weiter Beiträge zur Verteidigung der Ukraine leisten. Besteht auch in dem Punkt weitgehende Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten?

Jean Asselborn: Die EU hat der Ukraine bereits fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um sich zu verteidigen, also für Waffen und anderes Material. Hinzu kommt fast die gleiche Summe an Geldern für andere Zwecke. Unter den 27 Mitgliedstaaten gibt es niemanden, der diese Linie anzweifelt – auch Ungarn nicht.

Tageblatt: Zuletzt drohte der Streit zwischen EU- und NATO-Mitglied Griechenland und NATO-Mitglied Türkei wieder zu eskalieren. War das Verhaltendes türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Thema bei den Gesprächen der EU-Außenminister?

Jean Asselborn: Die Türken bohren in griechischen Gewässern nach Rohstoffen und respektieren die griechische Souveränität auf verschiedenen Inseln nicht. Das war selbstverständlich Thema unserer Gespräche. Erdogan stellt sich auch hin, als hätte er den Deal zum Export von ukrainischem Getreide alleine eingefädelt. Er hat geholfen, okay, aber das war trotzdem an allererster Stelle ein Verdienst der Vereinten Nationen. Für uns ist es schwer zu verdauen, wenn Erdogan sonntags beim Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Usbekistan zusammen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Putin auftritt – und derselbe Erdogan dir dann montags bei der NATO erklärt, wo es langgehen soll. Da ist großes Misstrauen und das könnte sich in nächster Zeit noch steigern.

Tageblatt: Putin hat am Mittwochmorgen die Teilmobilmachung angeordnet. Wie war die Stimmung danach bei der UN-Generaldebatte?

Jean Asselborn: Putins Schritt kam ja nicht vollkommen unerwartet. Die Moral der russischen Armee scheint am Tiefpunkt angelangt. Östlich von Charkiw sind sie davongelaufen. Das zeigt der Welt auch, dass Putins Armee nicht das ist, als das er sie jedes Jahr im Mai auf dem Roten Platz bei der großen Militärparade erscheinen lassenwill. Im totalen Gegensatz dazu steht die Motivation der Ukrainer und ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die es schaffen, den Russen mehr als nur Paroli zu bieten – aber eben auch dank der Waffen aus dem Westen. Und die werden wir weiter liefern.

Tageblatt: Bei Selenskyjs Rede per Videoübertragung nach New York gab es Standing Ovations von fast allen Anwesenden. Findet der Westen mehr Unterstützer in seiner bedingungslosen Unterstützung der Ukraine?

Jean Asselborn: Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land. Putins Krieg richtet sich gegen alle Werte und Regeln der Demokratie. Bei Selenskyj sind viele aufgestanden und haben applaudiert– das stimmt. Aber wir sollten uns nichts vormachen. Ich war in Algerien, in Indien, habe auch mitvielen Afrikanern gesprochen und mit vielen Vertretern aus Ländern des Nahen Ostens. Der Krieg der Russen ist da keine Priorität. Das wird als Problem Europas angesehen. Viele dieser Staaten sind in ihrer Verteidigungspolitik abhängig von Russland – die setzen ihre eigene Sicherheit nicht aufs Spiel, um unsere Werte zu verteidigen. Das müssen wir schon selber hinbekommen. Auch wenn sie Selenskyj applaudieren, heißt das nicht, dass sie richtig finden, was wir als Europäische Union oder als Westen im Generellen machen.

Tageblatt: Was bedeutet das für die Europäische Union?

Jean Asselborn: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir uns lange wehren müssen. Jetzt hatten wir einen Rechtsschwenk bei den Wahlen in Schweden, in Italien am Sonntag dürfte es ähnlich laufen – und es kommen noch andere Wahlen. Der Punkt ist demnach: Sind wir als Europäer bereit, politisch mit Argumenten die Demokratie zu verteidigen? Wenn wir die Fragebejahen, müssen wir wissen, dass Putins Krieg in der Ukraine ein Krieg gegen die Demokratie ist. Zurzeit sehe ich niemanden rundum den Tisch der EU-Außenminister, der dem nicht zustimmen würde. Das ist aber kein Sprint, sondern ein Marathon und wir müssen auch am Ende dieses Rennens noch wissen, auf welcher Seite wir stehen – auf der Seite des Angegriffenen oder der des Angreifers.

Tageblatt: Sehen Sie bei China eine Änderung in der Haltung, entfernt sich Peking langsam doch von Moskau?

Jean Asselborn: Ich sehe da keine Veränderung, leider nicht. Die Veränderung, die auffällt, ist die, dass Russland nur noch der Juniorpartner von China ist. Das hat man beim Treffen zwischen Putin und Xi in Usbekistangut gesehen. Vor nicht allzu langer Zeit war das noch andersherum. Interessanter scheint mir das Vorgehen Kasachstans, das bereits klar gesagt hat, dass es Putins Referenden in der Ukraine nichtanerkennen wird. Das ist ein deutlicher Widerstand gegen Russland und eine Entwicklung, die man im Auge behalten sollte, das wissen wir auch als Europäische Union.

Tageblatt: Nach Putins Teilmobilmachung geht in Russland bei zahlreichen jungen Männern die Angst um, in den Krieg ziehen zu müssen. Muss Luxemburg, muss die Europäische Union nicht mehr tun, damit diese Menschen bei uns Schutz finden?

Jean Asselborn: Nach Luxemburg, und auch sonst in der Europäischen Union, haben sich seit Kriegsbeginn bereits viele Russen in Sicherheit gebracht. Aber die allgemeinen Flüchtlingszahlen steigen geraderasant an. Trotzdem müssen wir uns als Europäische Union positionieren, was jene angeht, die jetzt aus Russland flüchten, weil sie nicht in den Krieg wollen. Wir können die nicht einfach im Regen stehen lassen und dürfen die Türen nicht ganz zufallen lassen.

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