Interview mit François Bausch im Tageblatt

"Luxemburger Beteiligung ist kein PR-Manöver"

Interview: Tageblatt (Cédric Feyereisen)

Tageblatt: Die neun Menschen mit Verbindung zu Luxemburg sind mittlerweile in Sicherheit...

François Bausch: Ja, die Menschen, die wir evakuieren wollten, haben wir alle evakuiert. Die Familie mit den drei Kindern hat luxemburgische Pässe. Die anderen haben eine Adresse in Luxemburg. Der Einsatz ist über Belgiengelaufen: Die Belgier holten sie in Kabul ab und führten sie bis zum Flughafen.

Tageblatt: Am Anfang sprach die Regierung von sechs Menschen mit Verbindung zu Luxemburg. Mittlerweile sind es neun. Warum?

François Bausch: Als Kabul fiel, sind wir davonausgegangen, dass keine Luxemburger vor Ort wären. Das Außenministerium hat uns am Freitag, dem 13. August noch mitgeteilt, dass sich kein Luxemburger in Kabul befinde. Montagshaben sich dann die Menschenmit Luxemburger Pass gemeldet. Und später haben noch weitere Menschen das Außenministeriumkontaktiert.

Tageblatt: Hätte man nicht früher nachfragen müssen?

François Bausch: Stellen Sie sich mal vor, morgen ist ein Putsch in Thailand zum Beispiel und da sitzt ein Luxemburger am Strand. Der meldet sich ja nicht bei uns, bevor erdorthin reist. Die Luxemburgerin Afghanistan standen nirgendwo auf einer Liste. Man kann sich auch die Frage stellen, warum sie sich nicht früher bei uns gemeldet haben. Sobald wir wissen, dass sich dort Menschen befinden, tun wir das Maximum als Staat, um ihnen zu helfen. Trotzdem hat jeder noch ein Minimum an Eigenverantwortung – dann muss man vielleicht auch den Reflexhaben, zum Telefon zu greifen und anzurufen.

Tageblatt: Warum schicken Sie noch zwei Luxemburger in das Gebiet?

François Bausch: Wir haben mit dem Außenministerium beschlossen – obschon wir eine gute Zusammenarbeit mit Belgien haben –, unsere eigenen Leute nach Afghanistan zu schicken. Diese zwei sind im belgischen Team integriert und sollen sich spezifisch um Luxemburger Fragen kümmern. Die beiden sollen prinzipiell bis nach Kabul reisen – und dann auch nur bis zum Flughafen. Dadurch haben wir eine direkte Linie ins Krisengebiet. Wir wollten uns alle Möglichkeiten geben. Eine Person ist ein Offizier der Armee und kümmert sich um den militärischen Teil. Die andere ist für das Außenministerium im Einsatz. Siebleiben nur so lange vor Ort, wie ihre Sicherheit gewährleistet ist.

Tageblatt: Die USA wollen und müssen sich laut Abkommen mit den Taliban am 31. August aus Afghanistan zurückziehen. Ist das zu früh?

François Bausch: Das hängt davon ab, wie viele Anfragen von Menschen, die aus Kabul rauswollen, noch kommen. Wir haben unsere Leute jetzt erst einmal raus. Sobald die Amerikaner abziehen, ist es fast unmöglich, noch zu bleiben. Sie sind momentan mit 6.000 Soldatenvor Ort und kontrollieren das Gebiet. Der Wunsch, den Flughafen so schnell wie möglich zu räumen, ist definitiv da, denn den momentanen Zustand kann man nicht lange aufrechterhalten.

Tageblatt: War das Chaos am Flughafen nicht vorauszusehen? Hat sich das nicht schon früher angedeutet?

François Bausch: Nein, niemand konnte voraussehen, dass die Regierung innerhalb von zwei Wochen zusammenbrechen würde – oder dass tausende Menschen zum Flughafen laufen würden. Das kam in dem Ausmaß überraschend. Deswegen hat es auch ein paar Tage für die Koordination gedauert. Die Europäer – und das muss man auch sagen – waren am Anfang nicht gut organisiert, doch nach dem NATO-Außenministertreffen vergangene Woche hat die Koordination wesentlich besser funktioniert. Die Europäer haben jetzt auch relativ schnellihre Leute aus Afghanistan bekommen.

Tageblatt: Was halten Sie generell davon, wie der Rückzug der Amerikaner abgelaufen ist?

François Bausch: Das ist eine Katastrophe. Zwei Sachen: In der EU gab es eine große Skepsis gegenüber der Idee, sich so schnell zurückzuziehen. Trotzdem muss man noch malbetonen, dass niemand erwartet hat, dass Kabul so schnell an die Taliban geht. Das sagt natürlich etwas über die Glaubwürdigkeit des afghanischen Regimes aus –sonst wäre ein Zusammenbruchinnerhalb von zwei Wochen nicht möglich gewesen. Zweitens ist es verständlich, dass die Vereinigten Staaten ihre Leute aus dem Gebiet ziehen wollen. Ich mache mir jetzt vor allem große Sorgen über die Migrationsdiskussion, die momentan in Europa die Runden macht. Ichfürchte, dass die ganze Flüchtlingsproblematik wieder ähnlich chaotisch diskutiert wird wie in der Vergangenheit. Das war ein Desaster und hat die EU in ein schlechtes Licht gerückt.

Tageblatt: Werden wir denn etwas ausdiesen Fehlern lernen?

François Bausch: Das ursprüngliche Vorhaben, Al Kaida aus dem Land zu entfernen, ist gelungen, aber danach gab es keinen richtigen Plan. Daraus müssen Lehren gezogen werden. Trotzdem dürfen wir daraus nicht schließen, dass wir nie mehr irgendwo eingreifen dürfen. Vielmehr muss man sich fragen, was nach einem Eingreifen getan werden muss. Das sind wichtige Fragen. Ein militärischer Einsatz soll nur das allerletzte Mittel sein. Das Militär soll bei der Stabilität helfen – aber Stabilität entsteht nicht durch das Militär. Dafür ist eine Entwicklungsperspektive durch Strukturen und die Regierung nötig – beides war in Afghanistan nicht gegeben.

Tageblatt: Wie wurde entschieden, wo die luxemburgischen Ressourcen eingesetzt werden?

François Bausch: Das Europäische Lufttransportkommando (EATC) hat alle Einsätze koordiniert und definiert, wen wir wann mit welchem Flugzeug evakuieren. Das ist eine Bündelung von Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Ohne diese Zusammenarbeit hätten die Einsätze nicht funktioniert. Stellen Sie sich vor, jeder hätte für sich daran gearbeitet – Luxemburg hätte absolut keine Möglichkeit gehabt, sich einzubinden. Deswegen ist es auch nicht relevant, wer in welchen Flieger einsteigt und wessen Logo auf der Maschine ist. Sie sind alle mitgenommen worden, so wie sie gekommen sind.

Tageblatt: Der luxemburgische A400Mist allerdings nicht in Kabul gelandet, weil er nicht die nötigen Zertifizierungen hatte...

François Bausch: Wir haben das Flugzeug noch nicht lange (Anm. d. Red: seit Oktober 2020). Damit man dort landen darf, muss man viele Stunden Übungen durchlaufen. Ein Abgeordneter hat in einem Tweet gefragt, warum das Flugzeug zudem Zeitpunkt in Frankreich flog. Diese Flüge gehören zu den Übungen, die absolviert werden müssen, um die Lizenzen zu bekommen. Die Ausbildungen haben sofortnach der Lieferung angefangen. Trotzdem hat der Luxemburger A400M an dem Einsatz teilgenommen: Unser Flugzeug ist mit Material der belgischen Armeenach Islamabad geflogen. Es war Zufall, dass die Maschine zu dem Zeitpunkt frei war – es hätte auch eine andere sein können. Es wird eben das Flugzeug genommen, das gerade bereitsteht.

Tageblatt: Ist die Beteiligung unserer Flugzeuge denn wirklich nötig oder ist das nur ein PR-Manöver?

François Bausch: Ich musste schmunzeln, als ich das in einer Zeitung gelesen habe. Das war definitiv keine PR-Aktion. Die belgische Armee musste Material nach Islamabad bringen und unser A400M-Flugzeug war bereit für diesen Einsatz. Wir haben nie gesagt, dass wir unser Flugzeug spezifisch benutzen wollen, um die Luxemburger zu evakuieren. Am Anfang wurde sofort kritisiert, warum wir nichtjede Menge Flugzeuge dort hinschicken. Wir müssen aber zuerst wissen, was die dort machen sollen. Es ergibt keinen Sinn, einfach Flieger zu entsenden.

Tageblatt: Wann haben Sie herausgefunden, dass Luxemburgerin Kabul festsitzen?

François Bausch: Am vergangenen Montag.

Tageblatt: Sie waren noch bis Samstag im Urlaub. Warum sind Sie nicht eher zurückgekommen?

François Bausch: Warum hätte ich aus den Ferien zurückkommen sollen? Herr Asselborn war auch noch bis Samstag weg. Ich kann Ihnen sagen, meine letzte Ferienwoche war ziemlich "verschass" – ich saß von morgens bis abends am Telefon. Wo sind wir denn? Wir können doch nicht anfangen, darüber zu diskutieren, dass ein Minister kein Recht hätte, in den Urlaub zu fahren …

Tageblatt: Das habe ich so nicht gesagt.

François Bausch: Doch, das stand doch so in der Zeitung. Nach dem Motto: "Der ist im Urlaub". Es war so oder so vorgesehen, dass ich samstags aus dem Urlaub komme. Also wo war das Problem?

Tageblatt: Hat der Urlaub denn nicht die Koordination erschwert?

François Bausch: Nein, absolut nicht. Ich hatte Kontakt mit meinen Leuten. Ich hätte in Luxemburg nicht mehrmachen können als in Italien. Ich habe von Montag bis Freitag mit meinen Leuten telefoniert. Man muss trotzdem mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben. Offiziell war niemand aus Luxemburg in Kabul. Das waren alles Privatleute, die sich nirgendwo gemeldet hatten und dann montags angerufen haben. Ich konnte alles, was ich zu tun hatte, tun –während meines Urlaubs, will ich betonen.

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