Interview mit Franz Fayot im Luxemburger Wort

"Eine Form von Nation Branding"

Interview: Luxemburger Wort (Marc Schlammes)

Luxemburger Wort: Franz Fayot, welchen Eindruck hinterließen die luxemburgischen Entwicklungshilfevereinigungen bei den rezenten Assises de la coopération nach mittlerweile 15 Monaten Corona-Krise?

Franz Fayot: Sie sind ausgebremst worden, weil sie ihre Projekte nicht verwirklichen konnten. Als Ministerium war uns wichtig, die budgetäre Unterstützung aufrechtzuerhalten und mit der nötigen Flexibilität auf Corona-bezogene Initiativen der Vereinigungen zu reagieren. Eine ihrer großen Herausforderungen war zudem die Organisation der Spendenaktivitäten, ohne die ihr Engagement finanziell nicht überlebensfähig ist.

Luxemburger Wort: Die großen Leidtragenden der Pandemie sind die Menschen in der Dritten Welt. Das zeigt sich jetzt auch bei der Impfkampagne.

Franz Fayot: In der Tat. Der folgende Vergleich veranschaulicht die Dramatik: Während in den entwickelten Ländern mittlerweile jeder vierte Bürger geimpft ist, ist es in den Entwicklungsstaaten einer von500. Daraus ergibt sich das reelle Risiko, dass sich neue Varianten des Virus entwickeln, die irgendwann auch nach Europa gelangen. Wir sollten diese Sorge sehr ernstnehmen. Deshalb stellt Luxemburg nochmals eine weitere Million Euro für die Impfinitiative Covax zur Verfügung.

Luxemburger Wort: Die Assises boten Ihnen die Gelegenheit, die Kooperationsstrategie neu auszurichten mit drei Schwerpunkten: Geschlechtergleichheit, Klimaschutz, inklusive Finanzen.

Franz Fayot: Die Neuausrichtung leitet sich aus den Empfehlungen des Comité d'aide au développement der OECD ab, das unsere Strategie "En route vers 2030" in seiner letzten Bewertung als stichhaltig bezeichnete. Konkret geht es darum, unser finanztechnisches Know-how in der Kooperationshilfe einzusetzen, beispielsweisedurch die Förderung von Privatinvestitionen, die Autonomie der Frauen und Mädchen zu stärken, und Kooperation mit Klimaschutz zu verknüpfen, wissend, dass viele Krisen klima- und umweltbedingtsind.

Luxemburger Wort: Klimaschutz soll ergänzend zur Entwicklungszusammenarbeit erfolgen: Besteht nicht die Gefahr, dass Gelder, die in die Kooperation fließen sollten, nun für Klimaschutz aufgebracht werden?

Franz Fayot: Das verlangt nach einem kohärenten und transversalen Vorgehen. Denn, wie schon erwähnt, der Klimawandel steht mit am Ursprung von vielen Krisen, die die Menschen in der Dritten Welt zu bewältigen haben. Im künftigen PIC* mit Burkina Faso beispielsweise werden wir Projekte zur Wiederaufforstung und Wiederurbarmachung unterstützen und damit konkret gegen die Folgendes Klimawandels vorgehen.

Luxemburger Wort: Wie schwierig ist es, die Geschlechterpolitik in den Fokus zu rücken, was, wie in der rezenten Chamber-Debatte auch thematisiert, traditionelle Gesellschaften wie einen Kulturschock und ein Aufdrängen westlicher Lebensmuster empfinden können?

Franz Fayot: Diese Darstellung ist absolut falsch. Wir drängen niemandem unsere Werte auf. Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit werden von unseren Partnern formuliert und wenn sie beispielsweise Bildung oder Mikrofinanz in ihren PIC einschreiben, dann geschieht dies auf ihren eigenen Wunsch. Nehmen wir das Beispiel Niger, wo Mohamed Bazoum unter anderem mit einer Bildungs- und Familienpolitik gewählt wurde, die wir unterstützen, weil sie Mädchen und Frauen Perspektivenaufzeichnet, die sie bis dato in einem paternalistisch geprägten Umfeld nicht kannten.

Luxemburger Wort: Bleibt die Frage, wie sich die neue Strategie generell mit den klassischen Feldern der Kooperation - Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung - ergänzt?

Franz Fayot: Das eine schließt das andere nicht aus, sondern soll gemäß den transversalen Ansatz ineinandergreifen. Das Know-how, das wir uns in diesen Bereichen erarbeitet haben und mit dem wir in der EU eine Vorreiterrolle einnehmen, werden wir über die Umsetzung der PICs weiter nutzen wollen, ergänzt um die neue Strategie.

Luxemburger Wort: Insbesondere die west-afrikanischen Partner - Burkina Faso, Mali, Niger - erleben seit Jahren eine zunehmende politische Instabilität: Inwieweit ist eine wirksame Kooperationshilfe noch möglich?

Franz Fayot: Wenn Regionen aufgrund der prekären Sicherheitslage zu Tabuzonen werden, dann macht das unsere Arbeit vor Ort gewiss nicht einfacher. Im Gegenteil: Das wirft uns und unsere Partner um Jahre zurück, weil gemachte Fortschritte, beispielsweise bei der guten Regierungsführung, in sich zusammenbrechen. Das gleicht einer Sisyphus-Arbeit.

Luxemburger Wort: Kann diese Situation in absehbarer Zeit zu einer Anpassung bei den Partnerländern führen?

Franz Fayot: Da der Kampf gegen die extreme Armut die oberste Priorität der luxemburgischen Kooperation ist, ist unser Einsatz in der Sahel-Zone gerechtfertigt. Hinzukommt, dass wir uns dort als anerkannter Partner etabliert haben, dessen Stimme Gehör findet. Wir stehen aber dort wie anderweitig auch vor der Herausforderung, ob und inwieweit das bilaterale Engagement noch zu einem Mehrwert führt. In Myanmar haben wir ein letztes bilaterales Projekt beendet und auch in El Salvador und Nicaragua gestaltet sich die Lage zunehmend problematisch.

Luxemburger Wort: Wenn Sie sagen, Luxemburg sei ein anerkannter Partner: Inwieweit spielt eine Rolle, dass diese Kooperation frei von politischen und wirtschaftlichen Zielen ist?

Franz Fayot: Das macht einen großen Unterschied und trägt zu unserer Glaubwürdigkeit bei. Wir verfolgen keine wirtschaftlichen Interessen, haben keine machtpolitische Agenda und schleppen keinen Kolonialballast mit. Das erleichtert uns den Zugang zu und Umgang mit unseren Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit.

Luxemburger Wort: Seit langem gehört Luxemburg zu den Musterschülern in der Kooperationshilfe: Wird dieses Engagement ausreichend von der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Franz Fayot: Das zu vermitteln sehe ich als eine der prioritären Aufgaben an; wir sind denn auch dabei, einen Kommunikationsplan zu entwerfen. Wir müssen den Stellenwert der Entwicklungshilfe als einen der drei Pfeiler unserer Außenpolitik darlegen und deren Strahlkraft hervorheben: Mit dem einen Prozent, gemessen am BIP, das wir investieren, gehören wir einem exklusiven Club an Geberländern an und haben uns im Laufe der Jahre eine immense Exzellenz aufgebaut. Die luxemburgische Kooperation ist auch eine Form von Nation Branding.

Luxemburger Wort: Inwieweit erleben Sie im Alltag den Widerspruch zwischen Wirtschaftsressort und Entwicklungsministerium?

Franz Fayot: Diese Gefahr der Gegensätzlichkeit sehe ich nicht. Wir applizieren das Prinzip, dass Entwicklungshilfe nicht an wirtschaftliche Ziele geknüpft werden darf. Es gibt keine "aide liée". Vielmehr erlebe ich, dass sich beide Bereiche ergänzen und sehe meine Aufgabe als Minister auch darin, Synergien zu schaffen zwischen Privatwirtschaft und Kooperationshilfe. Ein solcher Bereich ist die Digitalisierung, wo die Kommunikationsplattform emergency.lu ein gelungenes Beispiel ist.

Luxemburger Wort: Ein anderes Beispiel, wo beide Bereiche aufeinandertreffen, ist das Lieferkettengesetz zur Wahrung sozialer und ökologischer Kriterien.

Franz Fayot: Wir sollten diese Diskussion in aller Offenheit angehen, ohne Fassadismus zu praktizieren. Am Ende sollten die Bestimmungen eine positive Wirkung auf die Lieferketten haben, sei es bei der Vermeidung von Kinderarbeit, dem Erhalt der Artenvielfalt, dem schonenden Umgang mit Ressourcen. Und wir sollten die europäische Agenda im Auge behalten; wenn die Problematik demnächst in Brüssel reglementiert werden soll, ist es dann sinnvoll, jetzt ein nationales Gesetz zu formulieren? Im Übrigen habe ich schon jetzt veranlasst, dass die Business Partnership Facility eben auch eine Klausel enthält, die dazu verpflichtet, die Menschenrechte in den Lieferketten zu schützen.

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