Interview von Jean Asselborn im Deutschlandfunk

"Wir bestimmen nicht die Agenda von Präsident Trump"

Interview: Deutschlandfunk (Jörg Münchenberg)

 

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, die iranische Reaktion kam schneller, als von vielen sicherlich erwartet. Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach jetzt die Gefahr eines direkten militärischen Schlagabtausches zwischen den USA und dem Iran?

Jean Asselborn: Wenn nicht alles täuscht, glaube ich, dass wir trotzdem vielleicht auf Entspannung setzen können. Es scheint ja, wie wenn es eine dosierte Antwort des Irans gewesen wäre. Die Amerikaner haben auch nicht direkt zurückgeschlagen. Ich lese heute Morgen, dass Nancy Pelosi gesagt hat, Amerika und die Welt können sich keinen Krieg zwischen Amerika und dem Iran leisten. Das ist absolut richtig. Sarif, der iranische Außenminister, hat ja auch gesagt, dass sie keine Eskalation wollen. Vielleicht war es wirklich eine dosierte Antwort der Iraner, um nicht Soldaten zu treffen, aber trotzdem zu zeigen, dass sie natürlich imstande sind, amerikanische Basen anzugreifen. Das könnte, wie ich sage, noch einmal ein Zeichen der Entspannung sein.

Deutschlandfunk: Auslöser der neuerlichen Spannungen ist ja die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die USA. Wie ist da Ihr Eindruck? Gibt es eine amerikanische Nahost-Strategie, einen Plan, wie man sich derzeit positioniert im Nahen Osten?

Jean Asselborn: Ich glaube, seit 9/11 sucht Amerika eine Strategie im Nahen Osten. Amerika weiß, was die Konsequenzen des Krieges mit dem Irak im Jahre 2003 sind. Was Amerika nicht so weiß oder, glaube ich, versteht, ist, dass wir auch im Nahen Osten nicht nur Syrien und Iran/Irak haben, sondern auch Israel und Palästina, und hier werden weiter sehr große Fehler aus meiner Sicht gemacht von den Amerikanern. Ob sie eine große Strategie haben, das bezweifele ich. Natürlich, wenn Sie mir dieselbe Frage für Europa stellen, muss ich da auch passen.

Deutschlandfunk: Die kommt noch!

Jean Asselborn: Aber ich glaube, das Allererste, was die Europäische Union jetzt in dieser Situation machen muss, ist in dieser Phase dieses Wort Deeskalation, was ja vielleicht etwas ist, was einer sagt, der nichts zu melden hat, aber aus unserer Sicht, aus europäischer Sicht, glaube ich, ist es wirklich eine Warnung und auch ein Ratschlag auch aus der Geschichte der Europäischen Union, dass das ernst zu nehmen ist. Und ich bin auch überzeugt, dass es in Amerika auch noch Menschen gibt, die an eine kultivierte Diplomatie glauben, und dass Beschwichtigung aus unserem Munde, aus dem europäischen Munde auch etwas sehr Wichtiges ist.

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, lassen Sie uns noch mal kurz bei den USA bleiben. War es aus Ihrer Sicht ein Fehler, den iranischen General zu töten?

Jean Asselborn: Wissen Sie, ich war in der UNO-Vollversammlung 2017, als Präsident Trump gesagt hat, die Souveränität eines Landes ist eigentlich heilig. Das hat er nicht getan, was den Irak angeht, mit der Tötung. Zweitens: Ich sage das, ohne vielleicht jetzt anzustoßen, aber es sind Anzeichen in den USA, seit Präsident Trump am Ruder ist, dass eine ziemlich flexible Auslegung des internationalen Rechts zu Tage kommt. Ich glaube, das ist etwas, wo der Schluss gezogen werden kann, dass die Stärke nur zählt und nicht mehr das internationale Gesetz. Hier, glaube ich, muss Amerika — und es gibt ja eine große Debatte auch in Amerika darüber — selbst wieder zu sich finden.

Deutschlandfunk: Es war ein Fehler?

Jean Asselborn: Es war etwas, was sehr Nahe an einem Fehler ist, ja.

Deutschlandfunk: Auf der anderen Seite gibt es ja den Vorwurf an die Europäer, Herr Asselborn, dass man die Aggression des Iran gerade in den Nachbarregionen, Libanon zum Beispiel, Syrien, aber auch Irak, letztlich viel zu lange hingenommen hat, um auch nicht das Atomabkommen zu gefährden.

Jean Asselborn: Ja! Aber wissen Sie, das Atomabkommen war ja etwas, wo wir als Europäer 13 Jahre lang daran gearbeitet haben, damit der Iran keine Atombombe besitzt und auch keine Atombombe nutzt. Das war ein sehr harter Weg bis 2015 und hier, glaube ich, bin ich ganz kategorisch, das ist ein großer Fehler gewesen von den Amerikanern, dieses Abkommen zu zerschlagen. Wir als Europäer sind, geographisch gesehen, sehr nahe am Nahen Osten, am Mittleren Osten. Wir haben mit diesem Abkommen eine gewisse Influenz auf Iran bekommen. Wir haben niemals gesagt, dass wir die iranische Außenpolitik, dass wir die unterstützen. Die Menschenrechtslage im Iran ist katastrophal. Aber es war ein Weg, damit wenigstens der Iran keine Atombombe besitzt, und das kaputtzuschlagen war etwas, was, glaube ich, auch in den nächsten Jahren noch sehr weh tun wird. Darum ist auch unser Vorschlag — und das werden wir am Freitag noch mal verstärken — der Iran hat jetzt Schritte unternommen, um die Zentrifugen wieder anzuschmeißen und die Limitierung der Zahl nicht mehr zu beachten, hat aber auch gesagt, dass er bereit ist, wieder alles rückgängig zu machen —, dass wir den Iran, sagen wir mal, anspornen, nicht total auszusteigen. Das hätte fatale Folgen, glaube ich, wenn der Iran die Atombombe hat, auch für die Länder um den Iran wie Ägypten, wie Saudi-Arabien oder die Türkei.

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, Sie haben es gesagt: Iran hat sich schrittweise seit Mai 2018 vom Atomabkommen entfernt. Am vergangenen Sonntag hat man gesagt, man will sich auch nicht mehr an die Begrenzungen halten, zum Beispiel, was die Anreicherung des Urans angeht. Die Frage ist ja schon: Ist das alles mit dem Abkommen vereinbar? Der Iran sagt ja; viele Experten sagen eigentlich nein.

Jean Asselborn: Das Problem, Herr Münchenberg, ist ganz klar. Mit diesem Vertrag hat der Iran seine Bedingungen zu erfüllen gehabt. Das hat er gemacht, das hat die Inspektion der UNO aus Wien bestätigt — ich glaube, 18mal. Auf der anderen Seite natürlich sind die Sanktionen abzubauen gewesen und das war ja die Idee, dass wieder wirtschaftlicher Kontakt auch aus Europa und aus anderen Teilen der Welt mit dem Iran aufgebaut würde. Das ist natürlich dadurch, dass die Amerikaner diese Entscheidung getroffen haben, hinfällig. Aber im Vertrag selbst kann man Konflikte lösen, ohne aus dem Vertrag auszusteigen. Ich hoffe, dass das vielleicht jetzt, wenn die Lage sich beruhigt, auch in Amerika wieder eingesehen wird, dass man nicht mit dem Iran auf totale Konfrontation setzen soll, sondern versuchen, was wir als Europäer mit sehr viel Mühe gemacht haben, wieder aufzugreifen.

Deutschlandfunk: Aber ist das tatsächlich realistisch? Die Situation eskaliert ja derzeit eher. Iran zeigt auch Härte, auch gegenüber den Europäern. Ist das nicht Wunschglauben, dass man meint, man könne dieses Atomabkommen tatsächlich noch irgendwie retten?

Jean Asselborn: Wunsch oder nicht Wunsch — Sie müssen schauen. Nehmen wir mal an, es kommt jetzt zu einer gewissen Beruhigung. Die Amerikaner haben das Problem ja nicht gelöst, weder im Mittleren Osten, noch mit dem Iran. Das wird, glaube ich, trotzdem auch von den Europäern Anstrengungen erfordern, wie wir da rauskommen. Es gibt eine Idee, die wir, glaube ich, als Europa auch unterstützen sollen. Die ist noch nicht so in die Öffentlichkeit gedrungen, aber dass wir es fertigbringen, auch als Europäer, mit dem Schwerpunkt Golfregion mit dem Iran, dass wir eine Art Helsinki-Prozess in die Wege leiten, wir mit den betroffenen Ländern, wo diese Länder der Golfregion mit Iran natürlich wieder fähig sind, sich Kanäle aufzubauen, um direkten Kontakt zu haben, und dass dann auch, wenn es brennt, Möglichkeiten bestehen, um zu löschen. Das ist zum Beispiel etwas, was wir, glaube ich, auch am Freitag als Europäer anbieten könnten, dass wir da helfen. Wir haben ja als Europäer durch unsere Geschichte eine gewisse Glaubwürdigkeit darin und das wäre etwas, was auch positiv für diese Region wieder zu bezeichnen wäre. Wir können ja nicht weitermachen (und auch die Amerikaner, glaube ich, nicht) immer mit diesen Kriegsdrohungen. Wenn kein Krieg entstehen soll zwischen Amerika und dem Iran, müssen ja andere Möglichkeiten gesucht werden, und die Möglichkeiten sind diplomatischer Natur.

Deutschlandfunk: Noch ganz kurz zu diesem Sondertreffen der Außenminister am Freitag. Gehört zur Vollständigkeit nicht doch auch, dass die Europäer eigentlich vollkommen machtlos sind und letztlich wenig vermitteln können?

Jean Asselborn: Wir als Europäer — das muss man den Menschen auch sagen —, wir bestimmen nicht die politische Agenda von Präsident Trump. Wir Europäer haben auch nicht die Möglichkeit, sagen wir mal, den Iran in seinen militärischen Antworten zu zügeln. Das haben wir nicht. Wir sind keine Militärmacht. Aber ich glaube, dass Europa durch seine Geschichte und durch die Kultur in der Europäischen Union es fertig bringt, ein Partner zu sein für den Iran und für natürlich unsere große Partnerschaft mit Amerika, dass man auf uns hört und jetzt in einer ersten Phase diese Spirale nach oben stoppt und dann in einer zweiten Phase schaut, wie man diplomatisch diesen Ländern helfen kann und auch der Relation zwischen Iran und den USA — zwei große Länder, die auf dieser Welt anders aufgestellt wären, wenn sie nicht kriegerisch gegeneinander stünden.

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