Interview von Jean Asselborn im Tageblatt

"Wofür haben wir Europa dann überhaupt?"

Interview: Tageblatt (Armand Back)

Tageblatt: Wird Luxemburg sich dem auf Malta vor allem von Frankreich und Deutschland ausgehandelten Vorhaben anschließen?

Jean Asselborn: Seit Mitte 2018 hat Luxemburg von fast jedem Boot Menschen aufgenommen. Das wird sich auch nicht ändern. Bislang waren das für Luxemburg 60 Menschen. Das sind Zahlen, die jeder Staat meistern kann, insgesamt sind es schließlich nur wenige Tausend Menschen, die so auf die Staaten der EU verteilt werden müssten.

Tageblatt: Aber beileibe nicht alle wollen mitmachen. Zusagen gibt es bislang nur wenige. Dabei forderten Sie bereits, dass es ein Minimum von zwölf oder 15 Staaten, braucht, damit die Verteilung funktionieren kann. Stellt Luxemburg de Bedingungen?

Jean Asselborn: Nein, wir werden dabei sein. Allerdings kann ich Luxemburg nicht zu einer Quote verpflichten, wie das ursprünglich auf Malta vorgeschlagen wurde. Doch wie es aussieht, wollen Frankreich und Deutschland sich nicht an eine Quote klammern, was die Sache einfacher machen würde.

Tageblatt: Bleibt das Problem, dass viele nicht wollen. Die Visegrad-Staaten nicht, auch Österreich nicht Sogar Portugal und Irland, die bislang regelmäßig eingesprungen sind, zeigten sich bisher zögerlich. Ist das Vorhaben so nicht zum Scheitern verurteilt?

Jean Asselborn: In meinen Augen sollten mindestens zwölf Länder teilnehmen. Am liebsten wären mir ja 27, aber dazu wird es nicht kommen. Doch falls sich nur fünf oder sechs Länder bereit erklären, bringt das wenig. Im Gegenteil: So etwas würde bloß dem ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini in die Hände spielen.

Tageblatt: Sowohl Matteo Salvini von der rechten Lege als auch der Österreicher Herbert Kickl von der rechten FPÖ sind nicht mehr dabei. Ändert das etwas an der zu erwartenden Diskussionskultur morgen beim EU-Treffen?

Jean Asselborn: Ich bin kein Freund dieser beiden Politiker, das dürfte bekannt sein. Und in Italien hat sich mit der neuen Regierung durchaus eine positive Dynamik in. Gang gesetzt Das dürfen wir nicht gefährden. Österreich allerdings ist bei seinen Standpunkten, geblieben, da hat sich nichts verändert, Aber auch bei anderen Lindern fehlt der politische Wille, Ungarn etwa hat im Jahr 2018 nur 35 Menschen den Flüchtlingsstatus zuerkannt - und das bei knapp zehn Millionen Einwohnern.

Tageblatt: Sogar dann, wenn das Treffen der EU-Innenminister ein Erfolg würde, macht die EU in Sachen Migration einen heillos zerstrittenen und zersplitterten Eindruck. Wie ist hier eine gemeinsame Linie zu finden?

Jean Asselborn: Die Idee war, für den Seenotrettungsplan so viele teilnehmende Staaten wie möglich zu finden - um so breit genug aufgestellt zu sein, damit die Reform des Dublin-Systems vorankommen kann. Wir haben das Problem, dass wir keine europäische Migrationspolitik haben. Da frage ich mich, wofür wir Europa dann überhaupt haben! Momentan fragen Griechenland oder Zypern auf zwischenstaatlicher Ebene bei anderen Staaten nach Hilfe an. Das kann doch nicht die Lösung sein, die kann nur europäisch gefunden werden. Aber wir brauchen uns auch nichts vorzumachen: Solange Staaten wie Ungarn 'oder Polen ihre Blockadehaltung nicht aufgeben, wird das nichts. Das. Kann auch die EU-Kommission nicht ändern, das müssen die Mitgliedsstaaten tun - die sind es, die der Reform zustimmen müssen!

Tageblatt: Aber dazu, wie bereits angeschnitten, fehlt vielerorts der politische Wille ...

Jean Asselborn: Ja, und das wirklich Schlimme daran ist, dass sich so Wahlen gewinnen lassen. In. Österreich war das jetzt wieder der Fall. Dort sagt Sebastian Kurz, er habe das Problem der Migration im Griff. Ich finde das eine zutiefst egoistische Einstellung, die mit der Wirklichkeit nichts mehr gemein hat. Niemand kann ausschließen, dass sich die Flüchtlingsbewegungen von 2015 und 2016 wiederholen werden. Und weil der politische Wille nicht mehr da ist, eine solche Herausforderung europäisch zu meistern, wären wir heute noch schlechter vorbereitet als damals.

Tageblatt: Kritiker der Seenotrettung verweisen vor allem darauf, dass solche Rettungen Menschen dazu verleiten würden, den gefährlichen Weg nach Europa erst recht zu riskieren. Was halten Sie diesen Mahnern vor einem Pull-Effekt entgegen?

Jean Asselborn: Sollen wir die Menschen etwa ertrinken lassen? Das geht doch nicht! Humanität muss weiter eine europäische Tugend sein. Menschlichkeit und Pull-Effekt dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Tageblatt: Nun droht neues Ungemach. Der türkische Präsident Erdogan hat angekündigt, militärisch in Syrien gegen die Kurden vorzugehen, um dort syrische Flüchtlinge aus der Türkei anzusiedeln. Bedeutet das für Europa eine Gefahr?

Jean Asselborn: Als EU müssen wir der Türkei weiter finanziell unter die Arme greifen, dort Krankenhäuser und Schulen errichten, das ist die eine Sache. Was Erdogan jetzt vorhat, halte ich aber für sehr gefährlich, da habe ich sowohl menschliche wie politische Bedenken. Assad wird diesen Krieg wahrscheinlich gewinnen. Und was passiert dann mit diesen Menschen? Und wie reagiert der syrische Staat auf eine militärische Präsenz der Türkei im Norden des Landes? Den Menschen dort könnte dort erneut Verfolgung drohen, was wiederum zu Fluchtbewegungen führen würde. Es wäre besser, Erdogan würde sich diesen Schritt noch einmal gut überlegen.

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