"Erwarte, dass Gibraltarfrage gelöst wird"

Interview von Jean Asselborn im "Deutschlandfunk"

Interview: Deutschlandfunk (Jürgen Zurheide)

Deutschlandfunk: Der Brexit allein ist ja schon kompliziert genug. Die Beziehungen zwischen Europa und Großbritannien müssen geregelt werden nach der Scheidungsvereinbarung. Das alles ist noch nicht in trockenen Tüchern, zumindest was die Zukunft betrifft. Aber könnte es am Wochenende noch einmal Sand im Getriebe gehen? Denn die Spanier haben jetzt gesagt, so wollen und können wir im Moment nicht zustimmen. Da steht mit einem Mal Gibraltar mitten in der Tür. Was machen wir denn damit? Über all das wollen wir jetzt reden mit Jean Asselborn, dem Außenminister Luxemburgs, den ich erst mal ganz herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Asselborn!

Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Zurheide!

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, bei den vielen Fragen, wo man jetzt anfangen kann, weiß ich gar nicht – erst mal, kommt der Gipfel beziehungsweise wird er noch möglicherweise abgesagt wegen dieser Spanien- und der Gibraltar-Frage? Oder sagen Sie, das ist viel heiße Luft?

Jean Asselborn: Nein, er wird nicht abgesagt werden. Man muss natürlich das, was Spanien vorgetragen hat am letzten Monat im Allgemeinen Rat, wo also die Europaminister waren und auch der Premierminister von Spanien, muss man ernst nehmen, das ist ganz klar. Aber es wäre unernst, glaube ich, wenn man da keine Lösung finden würde. Da wird man höchstwahrscheinlich eine interpretative Erklärung des Europäischen Rates ausarbeiten – die ist vielleicht schon ausgearbeitet – dass alles, was Gibraltar betrifft, dass alles, was sich darauf bezieht, zwischen Spanien und Großbritannien, auszuhandeln ist. Ich glaube, da kommt man raus.

Deutschlandfunk: Das heißt, Sie sagen, das Anliegen ist durchaus berechtigt, das kann nicht ohne Einverständnisse von Spanien passieren, wenn es da zu Änderungen kommt. Da, sagen Sie, haben die Spanier grundsätzlich erst mal recht?

Jean Asselborn: Es ist eine sehr, sehr komplizierte Geschichte, die man eigentlich schwer auch juristisch erklären kann. Die Spanier haben Angst, dass eine Verlängerung der Übergangsphase nach 2020 auch auf Gibraltar angewendet wird. Aber es ist, glaube ich, auch natürlich nicht nur eine rationale Herangehensweise. Alles, was Gibraltar angeht, ist für Spanien extrem – sie sind immer extrem nervös darum. Aber ich glaube, dass ganz klar in einer Erklärung des Europäischer Rates das zu lösen ist. Das ist jedenfalls das Empfinden, das ich habe, und natürlich auch der Wunsch.

Deutschlandfunk: Okay. Dann kommen wir zu den anderen Themen, die sind ja dann schwierig genug. Ansonsten könnte man sagen, das, was im Moment auf dem Tisch liegt, zumindest von europäischer Seite, geht das? Die britische Seite oder präziser Frau May hat schon zugestimmt. Oder wie sehen Sie da im Moment die Gefechtslage?

Jean Asselborn: Zuerst, Herr Zurheide, ich glaube, wir dürfen das klar sagen: Wir stehen unmittelbar am Beginn eines sogenannten End Games, wie das politisch bezeichnet wird, über einen politisch widernatürlichen Prozess, den wir ja Brexit nennen, und wo es keinen Sieger geben wird, wo das Ziel eigentlich optimale Schadensbegrenzung ist. Was wichtig ist, ist trotzdem, dass in den letzten zwei Wochen ein Durchbruch auf dem Tisch jetzt liegt. Die Unterhändler haben, glaube ich, viel gute Arbeit geleistet. Ich kann Ihnen nur wiedergeben, was ich gemerkt habe am letzten Montag, als wir den Rat hatten der Europaminister. Es sind drei Sachen mir da aufgefallen. Das Erste ist viel Lob für Barnier – ich glaube, das war eine Herkulesarbeit –, aber auch zweitens das Erstaunen Verschiedener, dass wir trotzdem zu 27 noch zusammenstehen können – was wichtig ist. Und dann das Dritte, das ist, glaube ich, auch nicht zu unterschätzen, dass keiner mehr aufmachen will – die Büchse der Pandora wurde von vielen dann evoziert. Sie wissen, dass, als Pandora die Büchse geöffnet hat, nur Laster und Untugenden entwichen sind. Hier sagt man, Neuverhandlungen könnten eine politische Untugend sein, darum will man das nicht, sodass wir trotzdem auch auf der Schiene sind als Europäische Union, die 27, dass man indirekt natürlich Theresa May helfen will, dass sie das hinbekommt. Das ist natürlich eine Sache, wo wir nur Zuschauer sind in der Europäischen Union, aber wo der Wille ganz klar besteht, jetzt eben, wie ich gesagt habe, im Rahmen dieser Schadensbegrenzung zu einem Einvernehmen zu kommen.

Deutschlandfunk: Das heißt, Sie sprechen es damit an, die eigentliche Nagelprobe kommt ohnehin auf einer anderen Bühne. Sie muss durch das britische Parlament. Wagen Sie da eine Prognose?

Jean Asselborn: Sie muss durch das britische Parlament. Sagen wir mal, am Sonntag geht alles klar, für beide Sachen, Artikel 50 und für diese politische Erklärung – es gibt einen großen Unterschied zwischen den zwei Texten. Artikel 50 wird Gesetz werden, um es einfach zu sagen, in Großbritannien und auch in der Europäischen Union. Während die politische gemeinsame Erklärung über die Zukunft juristisch nicht bindend ist. Das ist sagen wir mal ein Rahmen für effektiv die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Wenn das also alles gut geht, dann bekommt Theresa May diesen Text, und sie wird allen, wie das aussieht, Anfang Dezember das ins Parlament in Westminster geben, das House of Commons vor allem. Und da kommt es zu einem "Mini Full Vote", also ein prinzipielles Votum. Jetzt haben wir ja zwei Hypothesen. Wenn dieses "Mini Full Vote" gut ausgeht, dann haben wir noch nicht das Kind in trockenen Tüchern, denn dann muss das britische Parlament dieses Prinzip in Gesetze formen. Ein Gesetz muss zustande kommen, und das muss vor dem 29. März 2019 dann stehen. Das ist die Bedingung. Wenn dieses "Mini Full Vote" gut über die Bühne geht, noch einmal, und es kommt bis zum 29. nicht zu einem Gesetz in Großbritannien, dann fällt wieder alles zusammen, und wir stehen wieder vor diesem Cliff Edge, das heißt, dass wir ein No-Deal hätten. Das ist also eine der Möglichkeiten. Die zweite Möglichkeit ist natürlich, dass das Votum im britischen Parlament über dieses Prinzip schief ausgeht. Sie wissen, was man hört. Ich hab das auch bei Ihnen gelesen, das sollte eigentlich stimmen, dass ungefähr 80 Tory-Abgeordnete bis jetzt sich dagegen wehren. Nehmen wir mal an, es sind am Ende 40, die Hälfte davon, wenn man optimistisch ist, dann bräuchte natürlich Theresa May 40 Stimmen der Opposition, von Labour. Und Sie wissen, dass Labour offiziell gesagt hat, dass sie da nicht stimmen. Das ist mathematisch eher unmöglich, das hinzukriegen. Aber man darf auch die Stärke von Theresa May nicht unterschätzen. Sie hat Stehvermögen gezeigt.

Deutschlandfunk: Und die Umfragen für sie persönlich steigen gerade wieder.

Jean Asselborn: Ja. Sie zeigt, dass sie eine Linie hat und dass sie die durchzieht. Man muss auch sehen, wie natürlich die Debatte innerhalb der Tory-Partei dann – was die Konsequenzen sind, natürlich, wie das abgewogen wird. Und man muss auch sehen, wie es sich eben bei Labour entwickelt. Das sind Unbekannte. Wir werden bis sagen wir mal Mitte Dezember viel mehr wissen, in welche Richtung das gehen kann.

Deutschlandfunk: Ich will jetzt auch gar nicht da weiter spekulieren, das werden wir sehen. Zum Schluss noch ganz kurz eine andere Frage: Wie sehr ärgern Sie sich eigentlich, dass wir im Moment quasi nur mit diesen ich nenne es mal Aufräumarbeiten beschäftigt sind, die mehr oder weniger zumindest aus europäischer Sicht überflüssig sind, zumindest jener, die Europa weiterentwickeln wollen. Da gehören Sie zu. Welche Debatten über die Zukunft müssten wir denn eigentlich führen?

Jean Asselborn: Man darf nicht unterschätzen – ich glaube, Herr Zurheide, mit dem Votum am 23. Juni 2016 und dann mit dem Votum auch von Herrn Trump in Amerika ist schon ein Knick geschehen. Da ist schon etwas geschehen auch in Europa, auch in der Mentalität, im Bezug zur Europäischen Union, nicht nur in Sachen Populismus und Rechtsauslegung oder Opportunismus. Auch hier ist etwas geschehen, das hängt alles zusammen. Der Multilateralismus ist angenagt. Das sind große Probleme, die sich ganz fest, glaube ich, auch auf dieses Brexit-Problem fokussieren. Wenn wir es zusammen lösen, glaube ich, wäre das eine Wohltat auch in dieser Richtung. Und wenn wir scheitern – und wenn ich sage wir, dann ist das die Europäische Union und Großbritannien, und darum hat die Europäische Union eigentlich auch nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen großes Interesse, das hinzubekommen.

Deutschlandfunk: Das war Jean Asselborn, natürlich wie immer, wie wir es bei Ihnen kennen, mit einem Plädoyer für Europa, und das Ganze um 7:28 Uhr. Herzlichen Dank für das Gespräch. Danke schön!

Jean Asselborn: Bitte, Herr Zurheide!

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