Interview von Jean Asselborn im Deutschlandfunk

"Dies ist kein Abkommen zwischen den USA und Iran"

Interview: Deutschlandfunk (Stefan Heinlein)

Deutschlandfunk: Noch immer sitzt der Schock tief in den europäischen Hauptstädten. Die Leichtfertigkeit, mit der Donald Trump wie eine Abrissbirne das Ergebnis jahrelanger diplomatischer Anstrengungen zum Einsturz bringt, hinterlässt Empörung, Ratlosigkeit und die Angst vor einem endgültigen Ende der transatlantischen Partnerschaft.

In dieser Woche beraten in Brüssel die Außenminister aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit ihrem iranischen Kollegen über die Zukunft des Atomabkommens. Man will versuchen, Teheran bei der Stange zu halten, doch es drohen unruhige Zeiten in der Region. Ein atomares Wettrüsten, möglicherweise militärische Auseinandersetzungen.

Jean Asselborn ist der Außenminister von Luxemburg, ein erfahrener Diplomat und seit vielen Jahren mit dabei bei den Verhandlungen mit dem Iran. Guten Morgen, Herr Asselborn, Bonjour!

Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Heinlein!

Deutschlandfunk: Retten, was zu retten ist – muss das die Devise sein für die Europäer in den Gesprächen mit dem Iran in dieser Woche.

Jean Asselborn: Herr Heinlein, lassen Sie mich etwas loswerden direkt am Anfang, und ich antworte auf Ihre Frage. Wenn man die letzten zehn Jahre sich anschaut in Sachen internationaler Zusammenarbeit, könnte man glauben – Sie haben von der Abrissbirne zurecht gesprochen –, dass nur Idioten oder Träumer am Werk waren. Klimawandel, Paris: war nichts. Internationalen Handel zivilisierter machen: geht nicht. Friedensprozess, Nahost, Zweistaatenlösung: Quatsch. Atomabkommen mit dem Iran: ein schrecklich schlechter Deal, ab damit. Ich glaube, man muss amerikanischer Milliardär sein, um zu wissen, was die Welt braucht, um nicht aus den Fugen zu geraten. Aber ich fürchte mit vielen anderen Menschen, dass die Weltordnung mit der Trump'schen Philosophie des Gesetzes des Stärkeren, begleitet, wie Sie wissen, von Geschrei, von Vorurteilen, von Besserwisserei, dass die Welt immer nervöser wird, instabiler, unmenschlicher wird. Und da kommt meine Antwort: Die Europäische Union muss hier dagegenhalten.

Deutschlandfunk: Wie kann die Europäische Union dagegenhalten? Wie kann man Widerstand gegen Trump und seine Außenpolitik organisieren? Braucht es da schlauen Widerstand, den aber in Europa noch keiner weiß, wie das eigentlich funktionieren soll?

Jean Asselborn: Wir sind in einer total neuen Lage. Ich glaube, das Allererste ist, dass wir uns weder in diesen Sog hineinziehen lassen, noch dass wir Nervosität mit Nervosität beantworten. Dass wir Stabilität zeigen, Entschlossenheit zeigen. Wir wollen, und das müssen wir unseren Menschen in Europa auch klar machen, dass der Iran nicht die Atomwaffe hat, dass die Spirale, das ist das Zweite, im Nahen Osten, der nuklearen Aufrüstung nicht in diese Richtung geht. Das war unser Ziel, daran haben wir zwölf Jahre hart gearbeitet. Und wenn Amerika aus diesem Abkommen aussteigen will, dann ist das eine amerikanische Entscheidung, aber ich will ganz klar betonen, was man immer wiederholen muss: Dies ist kein Abkommen zwischen den USA und Iran. Es ist ein Abkommen, das vom Sicherheitsrat abgesegnet wurde. Die Russen, die Chinesen, die Franzosen, die Briten und die Deutschen stehen dazu mit uns Europäern.

Das, glaube ich, muss man deutlicher in den nächsten Tagen und Wochen unseren amerikanischen Kollegen klarmachen, dass Europa diesen Schritt nicht mitmachen will und dass auch nicht Russland und nicht China diesen Schritt mitmachen wollen.

Deutschlandfunk: Kein Abkommen allein mit den USA, das sieht auch der Iran so. Die iranische Führung hat jetzt der EU eine Frist von 60 Tagen gesetzt, um die weitere Umsetzung des Abkommens zu garantieren. Was kann denn die USA dem Iran anbieten. Allein wirtschaftliche Perspektiven?

Jean Asselborn: Sie wollten vielleicht sagen, die Europäische Union?

Deutschlandfunk: Die Europäische Union, Entschuldigung, ja.

Jean Asselborn: Der Iran braucht dieses Abkommen, das ist ganz klar. Ich glaube, wenn man – ich war drei-, viermal im Iran in den letzten Jahren, wie viele meiner europäischen Außenministerkollegen. Der Iran kann ja nicht nur den Menschen ein Atomprogramm anbieten und den Verkauf von Pistazien.

Es sind 80 Millionen Menschen im Iran, zum Teil ganz hoch ausgebildete Menschen. Die erwarten sich etwas. Die erwarten sich von diesem Abkommen, dass sie wieder in die internationale Gemeinschaft eingegliedert werden, dass sie reisen können, dass sie kein Spoiler sind als Land, sondern mithelfen auch, die großen Probleme der Welt sagen wir positiv mit zu lösen. Der Iran braucht dieses Abkommen, sonst, glaube ich, wird eine totale Verklemmung in diesem Land stattfinden. Wir sind alle nicht einverstanden mit der ballistischen Politik des Iran. Wir sind nicht einverstanden mit der Außenpolitik des Iran in vielen Hinsichten. Aber genau darum wollten wir ja näher an den Iran herankommen, ein Druckmittel besitzen und versuchen, diese große Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien natürlich auch mit europäischem Einfluss einzuwirken.

Deutschlandfunk Höre ich aus Ihren Worten, Herr Außenminister Asselborn, ein wenig, ein Stückchen Optimismus, dass das tatsächlich gelingen könnte in den kommenden Tagen im Dialog mit Teheran, dieses Atomabkommen zu erhalten? Einen Optimismus im Übrigen, den auch der deutsche Außenminister durchaus teilt?

Jean Asselborn: Ja, ich glaube, wir haben ja gar keine Wahl. Wir dürfen einerseits von vornherein nicht aufgeben. Andererseits müssen wir natürlich wissen, dass alles sehr [Anmerkung der Redaktion: aufgrund eines Aussetzers in der Telefonleitung leider unverständlich] wird. Aber wir sind, glaube ich, ja nicht verrückt, dass wir in Europa, das nicht allzu weit weg liegt vom Iran, glauben, dass man alles jetzt kaputt schlagen kann und dass eigentlich nur ein Krieg gegen Iran bleibt, um den Iran zu hindern, dass Atomwaffen gebaut werden. Die Amerikaner haben ihre Wahl getroffen – also Präsident Trump, ich weiß nicht, ob das ganz Amerika ist, anscheinend nicht, aber sie wollen aussteigen und sie wollen Sanktionen erhöhen. Dann sollen sie das tun. Aber sie sollen nicht auf uns einwirken, auf unsere Philosophie gegenüber dem Iran und auch unsere wirtschaftlichen Beziehungen.

Boeing zum Beispiel hat einen sehr großen Vertrag, der, glaube ich, fast abgeschlossen wurde, von 20 Milliarden, für 100 Flugzeuge. Es ist nicht tragbar, dass dann Boeing sagt, wenn wir nicht dürfen, dann darf Airbus auch nicht. Es gibt viele große Betriebe, die im Iran sind, aber es gibt auch viel Mittelstand, der im Iran aus europäischer Sicht sehr interessant ist und wo wir aktiv sind. Und hier müssen wir und können wir es fertigbringen, wenn wir zusammenstehen, dass wir hier diese Wirtschaftsverbindungen aus Europa zum Iran auch aufrechterhalten können.

Deutschlandfunk: Europa muss zusammenstehen, das ist sicherlich die Devise. Dennoch die Frage an Sie als europäischen Außenminister: Ist Europa tatsächlich bereit, einen Konflikt, vielleicht sogar den Bruch mit den USA in den kommenden Jahren zu wagen, um tatsächlich dieses Iran-Abkommen und die Beziehungen zu Teheran zu retten?

Jean Asselborn: Es gibt zwei Sachen. Das Erste ist, wir müssen zusammenstehen, sie haben es gesagt. Wir standen in der Iran-Frage in den letzten Jahren meistens zusammen, und zum Schluss ganz stark. Es gab eine Zeit, wo wir viel diskutiert haben über diese Sanktionen, wo wir verschiedentlich uns gestritten haben, aber in der Iran-Frage standen wir zusammen.

Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass man versucht, eine EU-Lizenz zu erarbeiten, legitim Geschäfte zu machen, also immer Schutz für den Mittelstand gegen die sekundären Sanktionen, also exterritorialen Sanktionen, die dann aus Amerika kämen. Das wäre eine Sache. Die zweite Sache ist, wir müssen auch wissen, es gibt große Energiekonzerne in Europa, zum Beispiel Total aus Frankreich hat fünf Milliarden investiert im Iran. Eni, die Italiener haben auch sehr viel investiert. Und wir wollen, dass dieses iranische Öl auch – dass man dieses Geschäft auch machen kann. Ich finde nichts Illegales dabei. Das kann nicht einfach von den Amerikanern dann beschlossen werden, dass das nicht mehr geht. Die haben auch vielleicht …

Deutschlandfunk: Herr Asselborn, lassen Sie mich noch eine Frage stellen. Kann die Krise also auch, das höre ich aus Ihren Worten so ein wenig, ein Weckruf sein, dass man kreativer jetzt und geschlossener auf internationaler Bühne auftritt und endlich eine europäische Außenpolitik umsetzt?

Jean Asselborn: Ja, das ist mein Zweites. Ich wollte sagen, wir sind 500 Millionen Bürger. Wir sind die stärkste Wirtschaftskraft der Welt. Wir sind eine Handelsmacht.

Wir dürfen auf der anderen Seite kein Zwerg in der Politik sein. Wir sind, um es jetzt mal zugespitzt zu sagen, wir sind konfrontiert mit einem Präsidenten in Amerika, der die transatlantische Schiene verlassen hat. Das muss man so sehen. Und darum – es ist nicht Brüssel, es ist nicht die Europäische Union, aber es gibt verschiedene Mitgliedsstaaten, die müssen wachgerüttelt werden, dass sie sehen, dass wir nur zusammenstehen können jetzt und versuchen, das Gemeinsame, das Gemeinschaftliche, für das die Europäische Union gegründet wurde, dass man das in den Vordergrund setzt.

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