Interview mit François Bausch im Tageblatt

"Luxemburg will kein "Luusspätter" sein"

Interview: Tageblatt (Dr. Dhiraj Sabharwal)

Tageblatt: Wie ist es als Grüner, wenn man den Realisten spielen muss? Armeechef Steve Thull haben wir gefragt, warum er sich Militär, aber nicht Militarist nennt. Wie finden Sie sich in diesem militärischen Spannungsfeldzurecht?

François Bausch: Ich habe den Verteidigungsbereich mit Freude übernommen (räuspert sich unfreiwillig). Als die Regierungsbildung 2018 stattfand, haben wir die innere Sicherheit übernommen. Wir haben diskutiert: Wer übernimmt was? Die "Défense" hat mich wirklich interessiert. Ich bin fundamental davonüberzeugt, dass es ein wichtiger Teil der Außenpolitik ist. Wenn man die "Défense" als Verteidigung der Werte sieht, spielt sie im Dreiergespann Diplomatie, Verteidigung und Entwicklung eine ganz zentrale Rolle. Ich finde, dass in den letzten 20 Jahren …ich würde sogar sagen, dass Charles Goerens (DP) der Letzte war, der nicht unbedingt meine Meinung hatte, aber zumindest versucht hat, etwas anderes aus der "Défense" zu machen. Das war auch ein wenig mein Ziel. Das ist mir auch ein bisschen gelungen. Das sieht man jetzt in Deutschland

Tageblatt:……Darauf wollten wir noch zusprechen kommen

François Bausch: ……Es ist ein Bereich, der zu den Grünen passt. Sie haben sich lange damit schwergetan. Das ist richtig. Die junge Partei ist ausverschiedenen Komponenten des Pazifismus herausgewachsen. Ich war persönlich nie Pazifist im Sinne von, es dürfe nie irgendwo Gewalt angewendet werden. Ich war immer der Meinung, dass Selbstverteidigung ein Recht ist: Wenn ich aggressiert werde, muss ich auch ein Gewehr nehmen können und mich wehren. In meiner Jugend habe ich mich für verschiedene Revolutionen engagiert, wie z.B. Nicaragua usw., weil ich fundamental davon überzeugt war, dass es ein Recht der Völker war, sich zu wehren. Das war immer eine Zerreißprobe für die Grünen. Die ist mindestens bei uns und in Deutschland heute gewonnen. Das Ganze findet inzwischen ein Gleichgewicht, das ganz gut ist. Ich bin froh, dass Grüne, wie z.B. in Deutschland Annalena Baerbock, die Außenpolitik auf eine Art bestimmen, die ich ganz interessant und gut finde. Baerboeck gefällt mir jetzt als Außenministerin besser als im Wahlkampf. Joschka Fischer hatte gesagt, sie habe sich in die sichere "Todeszone" der Politikbegeben (Bergsteigerjargon für jene Zone, wo Gipfel am höchsten sind und das Überleben keine zwei Tage garantiert sein muss, Anm. d. Red.). Sie musste diese kennenlernen. Bei der "Défense" ist es ähnlich. Es ist ein Bereich, der eigentlich zur Außenpolitikgehört. Ich finde das eigentlich ein logisches Außenministerium für die Grünen.

Tageblatt: Wenn es um das Finanzielle geht, sind wir aber nicht mehr in den grünen Werten. Ein Beispiel in Sachen Transparenz: Die 2,5 Milliarden Euro von russischen Geldern, die in Luxemburg eingefroren wurden. Warum zögert Luxemburg so sehr? Anders gefragt: Wie kommen Sie damit klar, diese Werte zu haben, aber in einer Regierung zu sein, wo Sie den Junior der drei Parteien spielen?

François Bausch: Das hat auch viel damit zu tun, wie Wirtschaftspolitik die letzten 20 Jahre in Luxemburg gesehen wurde. Ich will nichts unterstellen. Franz Fayot (LSAP) ganz sicher nicht. Ich glaube, dass er eine ethische Haltung hat, die "ganz an der Rei ass". Auch nicht seinen Vorgängern. Aber wir waren in einer gewissen Hinsicht auch naiv. (Skeptisches Kopfschütteln) Ja, sagen wir mal, bei Franz 'Vorgänger kann man schon nicht mehr von naiv sprechen.

Tageblatt: Das hatte System.

François Bausch: Da war schon System dahinter. Ich hasse es, ständig Schuldzuweisungen auf die Vergangenheit oder auf meine Vorgänger zu machen. Ich bin in der Verantwortung, dann muss ich mich damit herumplagen und es ist an mir, zu schauen, was passiert. Wenn diese Krise und der Ukraine-Konflikt uns bei etwas den Spiegel vorgehalten hat: Dann müssen wir mit unserer Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik anders umgehen. Wir müssen Standards setzen: Wir können nicht nur wirtschaftliche Interessen beachten ……

Tageblatt: Ein Beispiel: Herr Turmes hat gestern (2.5.2022) gesagt: Man könnte mit Blick auf Öl Sanktionen verhängen …

François Bausch: …Das ist auch richtig. "Et kann een net ëmmer d'Kand mat der Bidden ausschëdden." Man muss auch ehrlich sein. Nehmen Sie zum Beispiel die Gasfrage. Eigentlich müsste man das (Öl-Embargo, Anm. d. Red.) entscheiden. Aber wenn wir das heute entscheiden, dann tun wir etwas, das Putin kurzfristig nicht so sehr schadet, ihn aber mittelfristig arrangiert: Denn dann machen wir uns damit selbst kaputt. Das Problem ist, dass wir uns in diese Abhängigkeit begeben haben. Wir müssen jetzt einen realistischen Weg finden, um daraus zukommen. Das macht Habeck in Deutschland richtig: Er sagt, wir gehen Etappen beim Öl, und er sagt, das Gas ist nicht realistisch. Er sagt, wenn das Gas wegfällt, ist die chemische Industrie zu. Das hat Konsequenzen für Deutschland, aber auch für den Rest von Europa. In Luxemburg haben wir weniger Abhängigkeiten vom russischen Gas. Aber wir sind in Europa eingebettet. Wenn Deutschland ökonomisch Husten bekommt, haben wir Schnupfen. Deswegen kann man diese Frage auch nur europäisch lösen. Wenn ich also sage, man sollte diese Dinge, ökonomisch gesehen, stärker im Auge behalten, heißt das nicht, dass wir kurzfristig so tun könnten, als ob das nicht so wäre. Als wäre uns alles egal und wir schießen uns selbst in den Fuß. Die Wirkung wäre auch kontraproduktiv: Wir würden nicht Putin schwächen, wir würden uns kurzfristig selbst schwächen.

Tageblatt: In der Pandemie haben wir gesehen, dass Frankreich und Deutschland zeitweise sehr starken Druck auf Luxemburg ausgeübt haben. Ist es in der Gasfrage ähnlich? Beiden Finanzen ist das ja auch der Fall. Luxemburg hätte nichts davon abgehalten, gerade in der Gas-Embargo-Frage gegen Putins Regime zu stimmen. Wie groß ist der Druck aus dem Ausland?

François Bausch: Wir haben in der Regierung viel darüber diskutiert. Was uns wirklich bewegt hat: Wenn wir in der Gasfrage Dinge zu sehr Hals über Kopf entscheiden, bekommt vor allem Deutschland Schwierigkeiten. Und Österreich und weitere europäischen Staaten.

Tageblatt: Das passiert aber nicht nur aus Sympathie. Bei anderen Fragen geht Luxemburg punktuell Allianzen gegen seine Nachbarstaaten ein. (In der Taxonomie-Frage suchten wir z.B. den Schulterschluss mit Österreich, um gegen die Aufwertung von Atomkraft und Gas auf EU-Ebene zu klagen, Anm. d. Red.).

François Bausch: Es ist auch Eigennutz. Ich bin ehrlich, weil Deutschland Europas Wirtschaftsmotor ist: Wenn Deutschland Probleme bekommt, bekommen wir alle Probleme. Es ist nicht, weil wir irgendwelche hehren Prinzipien hätten. Wenn das Öl-Embargo entschieden wird, ist das ein Schritt, der wirklich wehtun wird. (Das Interview wurde am3. Mai in Riga/Lettland geführt, am 4. Mai kündigte die EU eingeplantes Öl-Embargo gegen Russland an, Anm. d. Red.) In der Zwischenzeit konnten sich verschiedene europäische Staaten anders aufstellen, damit das eher möglich wird.

Tageblatt: Sie haben eigentlich an meiner Frage vorbei geantwortet: Gab es oder gibt es Druck auf der einen oder anderen Ebene …?

François Bausch: Nein, es gibt keinen Druck aus dem Ausland auf uns.

Tageblatt: Einen Austausch?

François Bausch: (leichtes Zögern) Nö. Wir haben einen ganz guten Austausch. Es gibt höchstens Meinungsverschiedenheiten, wie man z.B. aus der Abhängigkeit aussteigt. Wir sind nicht mit Frankreich einverstanden: Herr Macron will eher Nuklearenergie pushen. Da haben wir "eng déck Meenungsverschiddenheet". Da sind wir eher auf Deutschlands Seite. Aber es gibt keinen globalen Druck, dass wir mitmachen müssen. Es gibt eher ein Problem zwischen den osteuropäischen Staaten und Westeuropa. Das ist ganz sicher. Die Staaten, die am ehesten betroffen sind oder am ehesten betroffen wären, sind eher westeuropäische Länder wie Österreich und Deutschland. Momentan haben wir es mit Blick auf die Ukraine und Putin fertiggebracht, in Europa relativ homogen zu handeln. Das habe ich eigentlich in Europa in der Form in den letzten acht oder neun Jahren nicht erlebt. Auch nicht in der NATO damals. Das ist beeindruckend.

Tageblatt: Ihre Partei hat sehr starke Werte. Aber nochmals: Wie vereinbaren Sie die grünen Ur-Werte von "Wir verteidigen Menschen" und gleichzeitig tun wir uns doch eher schwer mit Sanktionen gegen umstrittene russische Gelder auf Konten in Luxemburg?

François Bausch: Noch mal: Es geht hier nicht um unsere eigenen Finanzen. Es geht hier wirklich darum ……

Tageblatt: Das spielt ja aber eine Rolle …

François Bausch: Nein, Nein. Es geht wirklich darum, dass wir in Europa ziemlich schnell Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und in die soziale Misere katapultieren würden. Es geht mehr um …

Tageblatt:…Gemeint sind aber die Finanzen von russischen Oligarchen. Und die damit verbundene Transparenz…

François Bausch: …Ja, das betrifft jetzt die russischen Oligarchen. Da kann man auch härter sein. Das ist meine Meinung. Damit habe ich kein Problem.

Tageblatt: Ist das in der Regierung ein Thema?

François Bausch: Nein, wir sind uns da auch in der Regierung einig. Wir haben, also ich glaube, wir haben …

Tageblatt:…Das ist ja aber "mou".

François Bausch: Nein, das stimmt nicht.

Tageblatt: Aber im Vergleich zu dem, wie Sie gelegentlich argumentieren? Wenn es nicht weich ist, dauert es aber lange, um fair zu bleiben.

François Bausch: Ja, also ich habe nicht das Ressort Finanzen …

Tageblatt:…Sie sind Vizepremier- und Verteidigungsminister …

François Bausch: …Der Premier und wir alle in der Regierung teilen die Einschätzung, dass wir nicht zulassen können und wollen, dass der Finanzplatz Luxemburg als "Luusspätter" angesehen würde– also, dass wir alles durchgehen lassen würden. Bei der anderen Frage, und die ist wichtiger: Da würde es darum gehen, dass wir Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben würden.

Tageblatt: Woran denken Sie konkret?

François Bausch: Die ganze Chemie-Industrie Deutschlands. Wenn die ausfällt, hat das automatisch eine Implikation auf all die anderen Wirtschaftszweige. Inklusive Luxemburg.

Tageblatt: Das ist die Embargo-Frage. Das hat aber nichts mit Finanzen zu tun, die bei uns geparkt sind oder durch Luxemburg gehen?

François Bausch: Man kann ja aber nicht sagen, dass wir in Luxemburg nichts getan hätten. Wir haben ja unsere Hausaufgaben gemacht. Yuriko Backes ist ganz klar auch auf der Linie, um wirklich zu schauen, dass Luxemburg …wir haben kein Interesse daran, dass wir …Wir haben als Finanzplatz kein Interesse daran …

Tageblatt:…Eigentlich schon. Sie haben es vorhin selbst gesagt: Wir haben 20 Jahre lang solch ein Modell aufgebaut. Wir haben noch 2019 Russlands Ex-Premier Dmitri Medwedew in Luxemburg empfangen …

François Bausch: Natürlich. Wir hätten uns bei vielem vielleicht vorher die Frage stellen müssen, was zu uns gekommen ist. Das ist eine andere Diskussion. Aber jetzt in diesem Konflikt und mit Blick auf die Oligarchen und was von Sanktionen entschieden wird, tun wir das, was getan werden muss …

Tageblatt:…Das ist ziemlich langes Warten.

François Bausch: Wir dürfen aber auch nicht vergessen: Die Sanktionen wurden seit Februar entschieden. Das läuft seit rund zwei Monaten. Luxemburg stand aber nie auf der Bremse, wenn es darum ging, etwas zu entscheiden.

Tageblatt: Es geht ja auch hier darum, etwas offenzulegen. Man kann das ja pro-aktiv tun, ohne dass Deutschland zu schaden kommt. Man sagt, wir haben dieses oder jenes, und dann entscheidet man, was damit passiert.

François Bausch: Ja, aber der größte Druck kommt bei der Frage vom Gas …

Tageblatt:…Ja, aber die Russen haben doch so bestimmt noch das Gefühl "Mat de Lëtzebuerger kënne mer jo".

François Bausch: (leicht herunterspielend, aber ruhig) "Jooooo."

Tageblatt: Versuchen wir nicht gerade ein Luxemburger Modell zu schützen, das schon lange da ist, und das wir nach Kriegsende erhalten wollen?

François Bausch: Premier Bettel hat noch zweimal probiert, mit Putin ein Gespräch zu führen. Aber er hat damit aufgehört. Das war aber auch, weil in Europa die Botschaft lautete: "Komm, wir versuchen ihn zur Besinnung … ihn irgendwie an den Verhandlungstisch zurückzubekommen", also als noch eine Verhandlung möglich war. Das hat aber jeder aufgegeben. Ich glaube, mit diesem Menschen ist nicht zu reden.

Tageblatt: Warum stimmt die Chamber denn so ab beim Gas-Embargo? Sie können jetzt von der Gewaltenteilung sprechen. Aber Ihre Partei geht eigentlich idealistisch heran. Doch auch "déi gréng" geben dem Premier eine "carte blanche" und auch Ihnen als Vizepremier, um ihnen Verhandlungsspielraum zugeben? Wie passt das zusammen mit dem, was wir eigentlich tun wollen? Einerseits helfen wir militärisch, andererseits sind wir zurückhaltend im finanziellen Rahmen.

François Bausch: Ich bin der Meinung, wir sollen in einem europäischen Kontext verhandeln. Es geht nur gemeinsam als Europa. Und alle gemeinsamen europäische Positionen …

Tageblatt:…Aber das schmerzt doch niemanden?

François Bausch: Wir haben in Europa eher offensive Positionen vertreten und standen neben der Bremse. Aber es muss eine europäische Entscheidung kommen. Dazu stehe ich, weil ich glaube, dass das falsch wäre, daran zu glauben, dass man als einzelnes Land etwas bewirken könnte. Die Stärke Europas war bislang mit Blick auf die Ukraine-Krise, dass Europa zusammenstand und gemeinsam Entscheidungen getroffen hat. Das muss auch so bleiben.

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