Interview mit François Bausch im Tageblatt

"Zwei neue NATO-Mitglieder im Juni?"

Interview: Tageblatt (Sidney Wiltgen)

Tageblatt: Vor zwei Monaten haben Sie in einem Tageblatt-Interview erklärt, dass die EU-Mission in Mali auf "wacklege Féiss" steht. Nun also die Ankündigung, dass die EU ihre Ausbildungsmission EUTM stoppen will …

François Bausch: Das mussetwas differenzierter betrachtet werden. Die EU hat entschieden, ihre Aktivitäten in Mali zu reduzieren. Das bedeutet, dass die Ausbildung der Truppen, die nachher in den Einsatz kommen, starkzurückgefahren wird. Für die EU ist das ein weiterer Schritt, um den Druck auf die malische Militärjunta zu erhöhen, da wir nicht wollen, dass von der EU ausgebildete Soldaten mit russischen Söldnern von der Wagner-Gruppe zusammenarbeiten.

Tageblatt: Was bedeutet das für die Luxemburger Soldaten, die im Rahmen der EU-Mission vor Ort sind?

François Bausch: Wir werden nicht morgen abziehen, da wir vorerst noch ein Mandat bis Juni haben. In den nächsten Wochen wird entschieden, ob das Mandat verlängert wird oder ob wir uns umorientieren werden. Die Tendenz geht aber Richtung Truppenabzug. Wir würden unser Mandat dann lediglich um zwei bis drei Monate verlängern lassen, da die21 Luxemburger Soldaten für die Drohnenüberwachung der Mission zuständig sind. Wir können die anderen Truppen nicht einfach so im Stich lassen. Dieser vorläufige Plan kann sich noch ändern, wenn sich die Gegebenheiten vor Ortschlagartig ändern würden. Da bin ich allerdings sehr skeptisch. Die Militärjunta in Mali hat offensichtlich entschieden, sich umzuorientieren.

Tageblatt: Was wird aus Luxemburgs 3D-Politik (Diplomacy, Development cooperation und Defence policy) in der Region?

François Bausch: Die ist durch die Präsenz der UNO weiterhin abgesichert, selbst wenn die EU entschieden hat, ihr Engagement zurückzufahren. Eventuell wird die EU sich auf andere Länder wie Burkina Faso oder den Niger konzentrieren, wenn diese denn damit einverstanden sind. Es besteht weiterhin eine strategische Notwendigkeit darin, die Region zu stabilisieren und nicht komplett islamistischen Kräften oder dem russischen Einfluss zu überlassen.

Tageblatt: Vor zwei Monaten haben Sie gesagt: "Wenn wir Europäer uns heute zurückziehen, sind die Russen morgen da."

François Bausch: Wir Europäer sind ja auf zwei Ebenen in Mali präsent. Wir haben nicht nur eine Ausbildungsmission vor Ort, sondern ein Großteil der europäischen Partner sind auch Teil der UN-Mission vor Ort. Deutschland – mitsamt den Belgiern ein enger Partner Luxemburgs in Mali– hat schon angekündigt, sich nicht aus der UN-Mission Minusma zurückziehen zu wollen. Auch will Europa sich ja nicht aus der kompletten Sahel-Zone zurückziehen. Ich habe in nächster Zukunft Gespräche mit der deutschen und der belgischen Verteidigungsministerin, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Es ist halt so, dass die russischen Söldner im Norden Malis sehr aktivsind. Wenn sich die ersten Berichte eines Massakers, bei dem 300 Zivilisten von russischen Söldnern mithilfe der malischen Armee getötet wurden, bewahrheiten, können wir die bisherige Zusammenarbeit aber auf keinen Fall fortführen.

Tageblatt: Die UN-Minusma bleibt also auch weiterhin vor Ort?

François Bausch: Die tausenden Soldaten, die an der UN-Mission teilnehmen, sind und bleiben vor Ort, um die Zivilbevölkerung zu schützen und sicherzustellen, dass humanitäre Hilfe geleistet werden kann. Diese Mission ist ja auch andersausgerichtet als die europäische Ausbildungsmission; so haben die Soldaten das Recht, sich mit Waffengewalt zu verteidigen. Drei Luxemburger Soldaten stellen die Kommunikation der Mission anhand des GovSat-Satelliten sicher.

Tageblatt: Sie haben im Interview vor zwei Monaten eine kollektive Verantwortung erwähnt, die Europa gegenüber den Menschen in der Region zu tragen habe. Werden diese Menschen nun nicht im Stich gelassen?

François Bausch: Nein, denn wir ziehen uns ja weder im Bereich der Kooperation, noch im Bereich der Diplomatie komplett zurück. Wir müssen gegenüber der Militärjunta jedoch ein deutliches Zeichen setzen. Abgesehen davon, dass die Militärjunta noch immer keinen Fahrplan für demokratische Wahlen vorlegen konnte, ist die Kooperation mit den russischen Söldnern der Wagner-Gruppe nicht tragbar. Wenn das vorher erwähnte Massaker sich tatsächlich so ereignet hat, ist das ja nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Situation nicht in die richtige Richtung entwickelt. Die russischen Söldner der Wagner-Gruppe sind einfach enorm brutal. Rechtsstaatlichkeit ist für die ein Fremdwort. Eine solche Vorgehensweise führt ja auch nicht zu einer breiten Akzeptanz des Regimes in der Bevölkerung – ein weiterer Grund, warum wir weiterhin Druck ausüben wollen. Weiterhin Druck ausüben und gleichzeitig das Land nicht komplett aufgeben – das ist ein Tanz auf Messers Schneide.

Tageblatt: Hat sich an der Vorgehensweise der russischen Söldner mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine etwas verändert?

François Bausch: Nein, die Lage ist in der Hinsicht stabil – auch wenn wir jetzt mit einem Massaker konfrontiert sind. Jedoch war die Wagner-Gruppe im Norden des Landes ohnehin sehr aktiv. Es sind jedoch keine weiteren Söldner zum bisherigen Kontingent hinzugestoßen. Insgesamt ist die Lage aber sehr schwer einzuschätzen, weil die russische Regierung jedwede Verantwortung von sich weist – auch wenn jedem klar ist, dass es sich bei der Wagner-Gruppe um eine Kreml-gesteuerte Privatarmee von Putin handelt.

Tageblatt: Sie hatten am Donnerstagebenfalls ein Gespräch mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksii Reznikov. Über was wurde konkret gesprochen?

François Bausch: Das Gespräch kam auf Anfrage des ukrainischen Verteidigungsministers zustande. Er hat mir die Situation in der Ukraine noch einmal erläutert und uns für die bisherige Unterstützung gedankt, da wir als kleines Land einen nichtunwesentlichen Beitrag geleistet haben. Er hat dann auch konkrete Anfragen für weitere Hilfslieferungen gestellt, um das Land von den russischen Invasoren zu befreien. Im Rahmen unserer Möglichkeiten habe ich ihm weitere Luxemburger Unterstützung zugesagt. Wir haben als kleines Land jedoch keine großen Reserven und wollen auch nicht einfach alte Lagerbestände in die Ukraine schicken, die dort keinen Nutzen finden.

Tageblatt: Wir haben bisher Panzerabwehrrakten, Geländewagen und Zelte in die Ukraine geschickt. Woraus genau werden unsere Hilfslieferungen dieses Mal bestehen?

François Bausch: Es wird wohl wieder eine Mischung aus letalem und nicht-letalem Material werden. Diesem Prinzip wollen wir treu bleiben. Die Details werden wir in Absprachemit der ukrainischen Botschaft noch klären.

Tageblatt: Viel wurde in den letzten Tagen über mögliche NATO-Beitritte von Schweden und Finnland geredet.

François Bausch: Ich gehe stark davon aus, dass die Anfragen ernst gemeint sind. Bereits beim letzten Treffen der NATO waren Schweden und Finnland anwesend – aufgrund der Kriegssituation haben sich die Gespräche aber in den letzten Tagen und Wochen beschleunigt. Dem Putin-Regime muss einfachklar werden, dass Schweden und Finnland dank russischer Drohgebärden lediglich schneller der NATO beitreten werden. Es darf ja nicht sein, dass Putin entscheidet, ob und wann Mitglieder der Europäischen Union der NATO beitreten wollen. Dabei will ich daran erinnern, dass die beiden Ländersehr lange auf ihrer sicherheitspolitischen Unabhängigkeit bestanden haben. Es handelt sich bei den beiden Ländern ja auch um demokratische Staaten, die die Aufnahmebedingungen für die NATO schnell erfüllen werden. Ich gehe davon aus, dass sich das bis zum NATO-Gipfel im Juni in Madrid konkretisiert hat.

Tageblatt: Putin hat in dem Fall gedroht, ein Teil des russischen nuklearen Arsenals ins Baltikum verlegen zu wollen?

François Bausch: Ich denke, dass die NATO gut beraten ist, sich nicht zu sehr vom Säbelrasseln eines Putins oder Medwedews beeindrucken zu lassen. Wir leben im 21. Jahrhundert, mit russischen Großreichsgedanken muss auch mal Schluss sein.

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