Interview mit Jean Asselborn im der Frankfurter Rundschau

"Der Einfluss der EU ist leider sehr begrenzt"

Interview: Frankfurter Rundschau (Damir Fras)

Frankfurter Rundschau: Herr Asselborn, wieder einmal ist der Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern eskaliert. UN-Generalsekretär Antonio Guterres fordert, den "sinnlosen Kreislauf aus Blutvergießen, Terror und Zerstörung" sofort zu beenden. Werden die Appelle gehört?

Jean Asselborn: Ich fürchte, die Appelle an ein Ende der Gewalt fallen derzeit nicht auf fruchtbaren Boden. Dazu ist die Lage viel zu verfahren. Ich habe Sorge, dass die Palästinenser eine dritte Intifada beginnen und es zu einer israelischen Bodenoffensive in Gaza kommen könnte. Das wäre eine dramatische Entwicklung, die es unbedingt zu verhindern gilt. Neu in dieser ohnehin schon komplizierten Gemengelage ist: Es gibt zum ersten Mal das Risiko, dass es in Israel selbst zu einer Art Bürgerkrieg kommen könnte. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche irreparablen Folgen das hätte.

Frankfurter Rundschau: Was müsste jetzt geschehen?

Jean Asselborn: Die Hamas in Gaza müsste sofort den Raketenterror gegen Israel einstellen. Das ist inakzeptabel und kriminell. Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür. Dazu wird es aber vorerst nicht kommen. Andererseits müsste die israelische Regierung den Siedlungsbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem sofort einstellen, den die Palästinenser seit Jahrzehnten als erniedrigend empfinden. Doch auch dazu wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kommen. Die Siedlungspolitik von Benjamin Netanjahu ist wie ein Krebsgeschwür. Es wird sich niemals etwas ändern, wenn das so weitergeht. Die Menschen sind in einer Spirale des Schreckens gefangen. Israel hat selbstverständlich das Recht, sich mit militärischen Mitteln gegen den Raketenterror der Hamas zu verteidigen. Doch wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen? Schließlich ändert sich damit nichts, aber auch gar nichts am Grundproblem.

Frankfurter Rundschau: Und das wäre?

Jean Asselborn: Es gibt nur zwei Optionen. Entweder es gibt es eine Zweistaaten-Lösung oder Israelis und Palästinenser leben dauerhaft in einem Staat zusammen, in dem die Palästinenser aber nicht zu einer Gesellschaft zweiter Klasse degradiert werden dürfen. Es darf da nicht zu einem Apartheidsregime kommen.

Frankfurter Rundschau: Am Dienstag treffen sich die EU-Außenminister zu einer Krisensitzung per Videokonferenz. Hat die EU noch Einfluss auf die Konfliktparteien?

Jean Asselborn: Der Einfluss der EU ist leider sehr begrenzt. Wir haben in den vergangenen Jahren dem Nahost-Konflikt leider viel zu wenig Beachtung geschenkt. Auch deswegen habe ich große Zweifel, dass wir jetzt eine gemeinsame, ausbalancierte Position finden werden.

Frankfurter Rundschau: Was meinen Sie damit?

Jean Asselborn:  Wir müssten als EU klar und deutlich sagen: Es gibt nur dann einen Weg zum Frieden, wenn sich beide Seiten im Nahost-Konflikt mäßigen. Nur dann kann es wieder zu Verhandlungen über eine Zweistaaten-Lösung kommen. Aber eine ausgewogene Erklärung dieser Art ist seit Jahren in der EU umstritten. Und leider müssen ihr alle F.U-Außenminister zustimmen. Der Zwang zu Einstimmigkeit wird also wieder eine klare Botschaft verhindern.

Frankfurter Rundschau: Sollte die EU einen eigenen Vermittler in die Region entsenden?

Jean Asselborn: In der gegenwärtigen Lage würde das nichts bringen. Besser wäre es, das sogenannte Nahost-Quartett aus Vereinten Nationen, den USA, Russland und der EU zu reaktivieren. Doch ich bezweifle, dass das sehr schnell geschehen wird. Dabei ist schnelle Deeskalation sehr wichtig, damit nicht noch mehr Menschen sterben. Ich hoffe deswegen, dass Staaten wie Katar und die Türkei versuchen werden, ihren Einfluss auf die Hamas zu nutzen. Gleiches gilt für Ägypten und Jordanien, die sich sehr viel Mühe geben, in Israel zu vermitteln.

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