Interview von Jean Asselborn im Télécran

"Ich glaube nicht, dass es eine Methode Asselborn gibt.”

Interview: Télécran (Wolf von Leipzig)

Télécran: Sie sind mit 16 Jahren im Amt der dienstälteste EU-Außenminister. Wenn Sie zurückblicken, was hat sich in dieser Zeit in der Welt geändert?

Jean Asselborn: Der fundamentale Unterschied heute ist, dass Angst das Prinzip der Hoffnung ersetzt. Auch 2004 war die Welt extrem kompliziert, ein Jahr zuvor erst war der Irak-Krieg ausgebrochen. Die Welt war gespalten, was diesen Krieg anging. Doch hofften wir, dass wir den Irak mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft wieder aufbauen könnten. Auch bestand Hoffnung, die Nahost-Region zu stabilisieren. 2005 gab es einen Rückschlag, als der EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, doch dann kam der Lissabon-Vertrag. Damals bestand in Europa und im Rest der Welt die Überzeugung, dass es vorwärts geht, wenn man multilateral - also gemeinsam - handelt. Ich bin niemand, der schwarz sieht, doch heute herrscht Angst, dass alles auseinanderbricht und Europa nach dem Brexit nicht mehr das Europa ist, das wir uns vorgestellt haben. Die 27 stehen wohl zusammen, und es gibt keinen Grund zu verzagen, doch fehlt die Kraft, Situationen zu retten, die schiefgelaufen sind.

Télécran: Woran machen Sie das fest?

Jean Asselborn: Die Angst lähmt viel. Die internationale Zusammenarbeit und das Völkerrecht haben enorm gelitten. Nehmen wir etwa das Verhältnis zwischen den USA und Russland oder zwischen Europa und Russland. Ich habe schwere Zeiten erlebt, aber wir haben immer wieder einen Ausweg gefunden. Ein Beispiel: Früher war es unvorstellbar, dass ein US-Präsident sagt, dass er nicht abtrete, wenn er die Wahlen verliere. Wenn der Präsident von Swasiland so etwas sagt, erschüttert das nicht die Welt, wenn der US-Präsident so etwas sagt, dann geht das einem schon nahe. Die großen Prinzipien der Außenpolitik basieren auch auf Recht und Gesetze im Land selbst. Wenn diese nicht mehr respektiert werden, wie soll man dann noch eine Grundlage für den Frieden in der Welt finden?

Télécran: Was hat Sie 2004 bewogen, Außenminister zu werden? Weil es nach dem Amt des Premiers das prestigeträchtigste ist?

Jean Asselborn: Mit dem Titel Vizepremier konnte ich nicht viel anfangen. Ich wollte Außenminister werden. Jean-Claude Juncker hatte mir ein großes Ministerium angeboten - ähnlich dem, das François Bausch heute leitet. Doch wenn man wie ich zuvor 23 Jahre Bürgermeister und 20 Jahre im Parlament war, sagt man sich, jetzt machst du etwas Neues, um motiviert zu bleiben. Daher habe ich auch ganz deutlich gesagt, wenn die Sozialisten an die Regierung kommen, dann will ich Außenminister werden.

Télécran: Wie war das, als Sie damals ins kalte Wasser geworfen wurden?

Jean Asselborn: Am 31. Juli 2004 bin ich Außenminister geworden und kurz darauf auf die UN-Generalversammlung im September geschickt worden. Es war nicht so, dass ich gar keine Ahnung von Politik und Außenpolitik gehabt hätte. Zuvor war ich erst Fraktions- und später auch Parteipräsident. Doch von Diplomatie und wie man mit Diplomaten umgeht, davon habe ich ja nichts gewusst, das musste ich in einem Schnellkursus erst einmal lernen. Am Anfang ist man immens bescheiden. Die Stärke von jemandem, der so lange wie ich dabei.., ist, liegt darin, dass die anderen davon reden, wie es war, während ich erlebt habe, wie es war.

Télécran: Jeder Politiker entwickelt mit der Zeit seinen eigenen Stil. Gibt es auch eine „Methode Asselborn"?

Jean Asselborn: Bei jedem, der in der Öffentlichkeit steht und sich äußert, wird gefragt: Was ist seine Methode? Es gab sicher eine Methode Juncker und eine Methode Werner. Aber ich glaube nicht, dass es eine Methode Asselborn gibt. Erstens bin ich gar nicht so wichtig, als dass ich eine Methode bräuchte. Für mich macht es auch keinen Unterschied, ob ich Bürgermeister, Parlamentarier oder Außenminister bin. Auch Außenpolitik wird von Menschen gemacht. Es geht immer darum, der öffentlichen Sache zu dienen. In der Politik und so auch in der Außenpolitik muss man sich in die Materie eingearbeitet haben. Die ist ja iteimer komplex und nie schwarzweiß. Erst wenn man eine gewisse Sicherheit erlangt hat, kann mat(seine Sache gut vertreten.

Télécran: Kritikern zufolge drücken Sie sich oft undiplomatisch aus - so jüngst in der ARD-Sendung „Maischberger", als Sie Österreich vorwarfen zu jodeln, statt in der Flüchtlingskrise solidarisch zu sein.

Jean Asselborn: Ich glaube nicht, dass jeder das so macht, aber das war stärker als ich. Das kann man nur im Nachhinein als verletzend interpretieren. Ich hätte vielleicht besser sagen sollen, „die Regierung jodelt" oder einfach „Österreich schaut weg". Da kann man sagen, in der Diplomatie gehört sich das nicht, aber da spricht halt der Mensch aus mir, der ich nun mal bin, und den kann man ja nicht ändern. Ich will nicht damit verletzen. Ich muss dazu provoziert werden, sonst würde ich nicht so reagieren.

Télécran: Wie sind dieses Amt und Ihr Privatleben auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen? In manchen Jahren reisen Sie mehr als 300000 Kilometer...

Jean Asselborn: Meine Frau und meine Töchter wussten, was auf sie zukommt, ich habe da nicht viel erklären müssen. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. In den zwei Jahren, in denen Luxemburg im Weltsicherheitsrat vertreten war, bin ich 17 Mal nach New York geflogen. Ich erinnere mich an Tage, an denen ich mit dem Koffer nach Hause gekommen bin und am selben Abend schon wieder gepackt habe, um am nächsten Morgen wieder fortzufliegen. Wenn die Corona-Pandemie erst einmal überstanden ist, fängt das wieder an. Momentan wird viel über Videokonferenzen gemacht, aber das ist nicht das Gleiche. Außenpolitik braucht menschlichen Kontakt.

Télécran: Wie hält man das körperlich aus?

Jean Asselborn: Außenminister zu sein ist physisch schon eine Herausforderung - allein schon der „Jetlag". Doch halte ich es gut aus und stecke alles weg. Nur ohne Fahrrad würde ich das nicht schaffen. Es ist ja nicht das Radfahren allein. Es ist der Ausgleich, der Sauerstoff, die physische Anstrengung. Und man hat Zeit nachzudenken. Oft bereite ich, unbewusst, auf dem Rad vor, was ich später sage. Und wenn man einen Berg bezwingt, gibt das einem auch eine gewisse Befriedigung.

Télécran: Welche Eigenschaft oder Erfahrung kommt Ihnen in Ihrem Amt besonders zugute?

Jean Asselborn: Von Nutzen ist mir vor allem gewesen, neben der Arbeit, das Abitur nachzuholen und Jura zu studieren. Ich war 27 Jahre alt, als ich das Abitur machte. Ich erinnere mich noch an die Blicke, als ich damals in die Klasse kam. Die dachten, ich wäre der Lehrer. Im dritten Studienjahr in Nancy wäre ich fast „untergegangen", und das vierte Jahr war hart. Aber ich war damals hochmotiviert, weil ich wusste: Wenn du das nicht schaffst, dann wirst du unglücklich. So hielt ich den Rhythmus vier Stunden lernen, vier Stunden schlafen und so weiter durch. Meine Maîtrise in Droit privé habe ich im Oktober 1981 gemacht. Die Gemeindewahlen in Steinfort waren drei Tage später. Nachdem ich die meisten Stimmen geholt hatte, wurde ich am 1. Januar 1982 Bürgermeister. Der Weg dorthin war nicht leicht, aber ich habe dabei eine gewisse Zähigkeit entwickelt.

Télécran: Sie wollen 2023 wieder in die Wahlen ziehen - ist das, um den Rekord zu brechen?

Jean Asselborn: Nein, den Rekord von Hans-Dietrich Genscher breche ich noch davor. In der Politik ist es wie im Leben: Ich bin letztes Mal mit in die Wahlen gegangen und mit einem ansehnlichen Resultat wieder gewählt worden. Ich wüsste nicht, wie ich das vor mir selbst rechtfertigen könnte, vorzeitig aufzuhören - es sei denn, es passiert etwas, eine Regierungskrise, das akzeptiere ich selbstverständlich. Das Amt ist nicht ohne, ich könnte mir schon ein angenehmeres Leben vorstellen. Aber wenn man gewählt und vom Großherzog vereidigt worden ist, dann macht man sein Mandat zu Ende. Zudem: Wenn ein Minister ankündigt, dass er in einem Jahr aufhört, ist er eine „lahme Ente".

 

Zum letzten Mal aktualisiert am