Interview von Jean Asselborn im Lëtzebuerger Journal

"Man darf kein Sensibelchen sein"

Interview: Lëtzebuerger Journal (Pascal Steinwachs)

Lëtzebuerger Journal: Sie sind nun schon seit Juli 2004 luxemburgischer Außenminister. Wie schaffen Sie es, nach all den Jahren immer noch motiviert zu sein?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass ein Außenminister ohne Motivation in etwa mit einem Fahrradfahrer vergleichbar ist, der nichts in den Beinen hat (heftiges Lachen).

Lëtzebuerger Journal: Für Ihre Kritik an Matteo Salvini haben Sie viel Lob bekommen, aber auch viel Kritik einstecken müssen. Wie lebt es sich damit?

Jean Asselborn: Ich kann sehr gut damit leben. Demokratie ist ja etwas, mit dem man umgehen können muss, auch als Politiker. Man darf kein Sensibelchen sein. Demokratie muss in all ihren Facetten erhalten bleiben. Ich fühle mich jedenfalls immer wohl, wenn eine Dynamik besteht, wenn man eine kritische Gegenrede halten kann. Wenn in Europa aber Leute wie Orban, Salvini, Strache und Le Pen das Sagen haben, dann ist Kritik nicht mehr möglich, dann wird die gelebte Demokratie unmöglich. Aus diesem Grund muss man schrecklich aufpassen, und diesen Leute Kontra bieten. Es geht hier um die Demokratie, die auf dem Spiel steht.

Lëtzebuerger Journal: Wer ist schlimmer? Salvini oder der ungarische Regierungschef Viktor Orban, den Sie ja auch schon mal als Diktator bezeichnet haben?

Jean Asselborn: Orban ist hier der Chefideologe, der bereits 2010 mit seiner Politik angefangen hat. Sowohl in der EU-Kommission, als auch im Ministerrat und im Europaparlament sind diesbezüglich Fehler geschehen, hat Orban doch jedes Mal drei Schritte nach vorne gemacht, um dann wieder zwei Schritte zurückzugehen, aber die Tendenz war immer in Richtung illiberale Demokratie. Den jungen Leute, denen wir Europa zu übergeben haben, haben wir aber kein illiberales Europa zu übergeben, sondern ein Europa, in dem die Regeln der Demokratie respektiert werden, ein Europa, in dem die Justiz frei ist, ein Europa, in dem die Gewaltentrennung respektiert wird, ein Europa, wo es freie Medien gibt. Wenn ich mir aber heute Länder wie Polen oder Ungarn anschaue, dann wird dies nicht mehr garantiert.

Ein Wort auch noch zu Salvini: Wer Afrikaner als Sklaven bezeichnet, der spricht die Sprache der 1930 er Jahre. Dies ist etwas, was mich total revoltiert, was auch erklärt, dass meine Reaktian auf die Salvini-Aussagen von meinem Herzen und nicht von meinem Verstand gekommen ist.

Lëtzebuerger  Journal:Warum bekommt die EU die Flüchtlingskrise nicht in den Griff, und hat Luxemburg hier genug gemacht?

Jean Asselborn: Es gibt keine Flüchtlingskrise mehr. Wenn man sich anschaut, wo sich die meisten Leute befinden, denen in diesem Jahr bislang (das heißt bis zum 1. Juli) das Flücht- lingsstatut zugesprochen wurde, dann ist das Deutschland mit 45.800 Personen, dann Frankreich mit 34.000, und dann Italien mit 22.000 Leuten. Die meisten Anfragen gab es indes in Spanien mit 27.600 Leuten, gefolgt von Griechenland mit 26.000, und dann erst Italien mit 18.000, wo es im vergangenen Jahr noch 95.000 Leute waren, derweil in Spanien ein Anstieg um 130 Prozent zu verzeichnen ist, und in Griechenland ein Anstieg von 50 Prozent. Das heißt, die Flüchtlingsproblematik hat sich verlagert. Es ist nicht mehr Italien, das den ganzen Druck zu tragen hat. Vergleicht man diese Zahlen mit den Jahren 2015 und 2016, dann fehlt mindestens eine Null, wenn nicht sogar noch mehr. Die Flüchtlingszahlen sind demnach ganz stark gesunken, so dass man nicht mehr von einer Flüchtlingskrise sprechen kann. Wir bringen es allerdings nicht fertig, uns in der Migrationsfrage auf eine gemeinsame europäische Gesetzgebung zu einigen. Wir haben noch immer nicht den Schritt gemacht, um Dublin zu reformieren, und wir haben noch immer das System, bei dem der ganze Druck auf den Außengrenzen liegt, weil wir es nicht schaffen, dass die Lastenverteilung von vornherein festgelegt wird.

In Luxemburg haben wir seit 2015 rund 3.500 Leuten das Flüchtlingsstatut zugesprochen, und ich glaube nicht, dass unser Land dadurch ärmer geworden ist. Im Gegenteil! Das Land ist reicher geworden, wir haben neue Kulturen und Gebräuche bekommen. Wir haben auch mehr Intelligenz in unser Land bekommen, und das sollten wir als Chance ansehen, insbesondere weil wir ja wissen, dass die Vereinten Nationen festgestellt haben, dass die Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten immer älter werden.

Lëtzebuerger Journal: Wohin steuert die EU, wenn immer mehr rechte und populistische Politiker an die Macht kommen?

Jean Asselborn: Da muss ich etwas ausholen. Im Ersten Weltkrieg sind 20 Millionen Menschen gestorben, im Zweiten Weltkrieg 60 Millionen, und zwischen den beiden Weltkriegen hat es gebrodelt und gegärt. Europa wurde dann auch hauptsächlich deshalb ins Leben gerufen, auf dass Deutschland und Frankreich sich nicht mehr bekämpfen, und etwas gegen den Nationalismus getan wird. Deshalb sind auch die verkappten Reden des amerikanischen Präsidenten so gefährlich, der von einem Patriotismus und einer nationalen Souveränität spricht. Dabei ist Nationalismus der Anfang des Malheurs des 20. Jahrhunderts. Europa wurde aber auch gegründet, um aufzuzeigen, dass wir eine Gemeinschaft sind. Anfangen hat Europa mit sechs Mitgliedstaaten, dann mit neun, dann mit zwölf, dann mit 15..., und dies, um die großen Probleme der. Zeit als Gemeinschaft zu lösen. Leider aber gibt es inzwischen wieder Länder, die den Begriff der Gemeinschaft und politischen Solidarität nicht mehr kennen.

Lëtzebuerger Journal: Mit den rechten und populistischen Politikern wird die Rechtsstaatlichkeit immer mehr untergraben. Dass der Frieden in Europa nicht durch Verträge garantiert wird, hat das 20. Jahrhundert zur Genüge bewiesen. Garantiert wird der Frieden durch die Werte der Demokratie, des Respekts, der Toleranz und der Menschenrechte. Was waren der schlimmste und der schönste Moment in Ihrer Karriere als Außenminister?

Jean Asselborn: Hier neigt man dazu, immer die aktuelle Situation zu nehmen. Was mich allerdings in den vergangenen 15 Jahren am meisten bedrückt hat, das ist der Verfall des Friedensprozesses zwischen Israel und Palästina. Hier bewegen wir uns total in die falsche Richtung. Dann ist da aber auch der Umgang des US-Präsidenten mit dem Multilateralismus. Der schönste Moment in all den Jahren war immer derjenige, wenn ich Leute aus dem Gefängnis befreien konnte, die dort aus politischen Ursachen einsaßen. Schön war aber auch, wenn ich Leuten in meiner Funktion als Immigrationsminister helfen konnte, ein neues Leben in Freiheit aufzubauen, und ihnen die Angst zu nehmen.

Lëtzebuerger Journal: Wie viele Flugmeilen haben Sie eigentlich während all den Jahren angesammelt?

Jean Asselborn: Ich habe keine Ahnung; aber bestimmt genug...

Lëtzebuerg Journal: Wie erklären Sie sich, dass Sie nun schon seit längerem der beliebteste Politiker des Landes sind, obwohl Sie ja meistens im Ausland weilen?

Jean Asselborn: Man kann sich nur sehr schwer selbst bewerten. Wenn es aber deswegen sein sollte, dass ich meine Arbeit anständig gemacht habe, dann freut mich das natürlich. Ein Außenminister, der nicht im Ausland ist, ist so etwas wie ein Förster, der nicht im Wald ist. Was mich bei diesen Umfragen aber auch freut, das ist, dass ich in meiner Flüchtlingspolitik, die offensiv war, richtig verstanden wurde.

Lëtzebuerger Journal: Was hat diese Regierung falsch gemacht?

Jean Asselborn: Ich beschränke mich lieber darauf aufzuzählen, was diese Regierung richtig gemacht hat. So haben wir es geschafft, die Staatsfinanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, obwohl uns am Anfang der Legislatur rund eine Milliarde Euro durch den Wegfall der Einnahmen aus dem elektronischen Handel gefehlt haben. Heute haben wir immer noch ein AAA-Rating. Daneben haben wir eine Steuerreform gemacht, die nicht nur den Betrieben, sondern auch den Leuten zugute gekommen ist.

Auch haben wir sehr intensiv am Ruf von Luxemburg gearbeitet. Ich habe immer gesagt, dass wir mit den Tricksereien aufhören müssten. Inzwischen stehen wir an der Spitze der Länder, die am transparentesten sind. Kein Luxemburger fühlt sich wohl, wenn unser Land dazu benutzt wird, dass multinationale Betriebe keine Steuern bezahlen.

Wichtige Reformen haben wir aber natürlich auch in der Gesellschaftspolitik gemacht. Ich hätte mir zum Beispiel nie vorstellen können, dass das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ohne Religionsstreit geregelt werden könnte.

Lëtzebuerger Journal: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem langjährigen guten Freund Frank-Walter Steinmeier?

Jean Asselborn: Natürlich. Mindestens einmal pro Woche telefonieren wir miteinander, öfters auch häufiger, und wenn ich in Berlin bin, dann gehe ich ihn natürlich auch zu ihm. Privat wird er mich demnächst in Luxemburg besuchen kommen.

Lëtzebuerger Journal: Wie fit sind Sie im Moment? Ihr Arbeitspensum pro Woche?

Jean Asselborn: Ich habe in diesem Jahr bereits 10.000 Kilometer hinter mir - viel im Regen. Mein Arbeitspensum ist sehr hoch und nicht immer einfach zu bewältigen. So musste ich, um nur ein Beispiel zu nennen, vor einigen Wochen von Rom nach Skopje und zurück; hierfür waren wir 20 Stunden unterwegs und mussten sechs Flugzeuge nehmen. Geschlafen haben wir jedoch nur drei Stunden. Ich kann nicht sagen, wie viele Stunden ich arbeite, aber es ist hart - und das Fliegen ist auch hart...

Lëtzebuerger Journal: Was macht ihr Privatleben?

Jean Asselborn: Alles in bester Ordnung.

Lëtzebuerger Journal: Was machen Sie, sollte Ihre Partei nach dem 14. Oktober die Wahlen verlieren, und Sie damit auch Ihr Außenministeramt los sein. Bleiben Sie der Politik erhalten oder ziehen Sie sich in gerade erwähntes Privatleben zurück?

Jean Asselborn: Ich setze jetzt alles dran, dass es am 14. Oktober gut ausgeht. Alles was nach dem 14.Oktober ist, das entscheide ich nach dem 14. Oktober.

Was geben Sie Ihrem eventuellen Amtsnachfolger mit auf den Weg?

Jean Asselborn: (keine Antwort).

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