Interview von Jean Asselborn mit dem Tageblatt

"Sonst steuern wir in Europa auf die Illiberalität zu”

Tageblatt: Sehen Sie das europäische Projekt durch den Flüchtlingsstreit in seinen Grundfesten bedroht?

Jean Asselborn: Entweder wir steuern in Europa auf die llliberalität zu — oder wir sind ein Europa, das solidarisch ist und den Rechtsstaat respektiert. Wir sind in Europa an einem sehr schwierigen Punkt angelangt. 

Tageblatt: Einige Länder wollen die Verteilung von Geflüchteten auf freiwilliger Basis, da sich kein Konsens zu finden scheint, bei dem alle mitmachen. Könnte das nicht doch ein Weg sein, um wieder mehr Einigkeit in Europa zu erreichen? 

Jean Asselborn: Der Europäische Rat hatte unrecht, den Leuten zu sagen. dass wir die Grenzen hermetisch schließen können und dann keiner mehr komme der um Asyl in Europa fragt. Das geschieht nicht! Ich hoffe, dass die, die diese Position verteidigt haben, das einsehen werden. Es geht auch nicht, dass wir die Verteilung auf freiwilliger Basis hinbekommen. Das ging 2015 nicht und das geht auch heute nicht. Wir brauchen verpflichtende Quoten für jedes Land. Sonst hört diese Misere auf den Schiffen im Mittelmeer nicht auf. 

Tageblatt: Wir sind zurzeit aber weit entfernt davon...

Jean Asselborn:  Ja. bis jetzt haben sich acht von 28 EU-Staaten eingebracht. Ich finde esauch kein gutes Beispiel für eine Ratspräsidentschaft, wenn sie nicht zu den Lindern gehört, die helfen, die Menschen von diesen Schiffen herunterzubekommen, damit sie einen Antrag auf Asyl stellen können. 

Tageblatt: Österreichs Verteidigungsminister Mario Kunasek von der rechtsextremen FPÖ schlägt Militäreinsätze in Nordafrika vor, unter anderem um dort über Lager zu wachen. Mit solchen Einsätzen würde man ein „selbstbewusstes Signal" senden. Wie sehen Sie dieses österreichische Modell zum Schutz der EU-Außengrenzen? 

Jean Asselborn: Die heutige Ratspräsidentschaft sollte sich eher Mühe geben in Sachen Solidarität und Rechtsstaat alles zu geben, was möglich ist - und nicht anfangen von Militäroperationen in Nordafrika zu reden. So etwas torpediert die Lösung, die wir brauchen. 

Tageblatt: Welche Herangehensweise würden Sie vorziehen? 

Jean Asselborn: Wir sollten auf die Vereinten Nationen schauen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration wollen gemeinsam mit uns eine Lösung finden. Wir sollten auf sie zugehen und nicht anfangen, mit dem Säbel zu rasseln.

Tageblatt: Immer mehr Politiker in Europa scheinen aber auf Abschottung zu setzen...

Jean Asselborn:  Ich weiss nicht was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sagen, dass jetzt kein Flüchtling mehr kommen würde. Weltweit gibt es 60 Millionen Flüchtlinge. Auch um Europa herum wird es immer Flüchtlinge geben daher brauchen wir eine europäische Lösung. Und dafür wiederum brauchen wir 28 Länder, die bei zwei Sachen mit anpacken: Verantwortung und Solidarität.

 





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